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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Implementierung einer standardisierten Ersteinschätzung als Basis eines Demand Managements in der ambulanten Notfallversorgung (DEMAND)

Meeting Abstract

  • Tobias Herrmann - aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen, Gesundheitssystemanalyse und Gesundheitsökonomie, Göttingen
  • Gerald Willms - aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen, Gesundheitssystemanalyse und Gesundheitsökonomie, Göttingen
  • Alexander Urban - aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen, Gesundheitssystemanalyse und Gesundheitsökonomie, Göttingen
  • Birte Reichenbach - aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen, Gesundheitssystemanalyse und Gesundheitsökonomie, Göttingen
  • Almut Seyderhelm - aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen, Göttingen

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf333

doi: 10.3205/18dkvf333, urn:nbn:de:0183-18dkvf3333

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Herrmann et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die stetig steigende Inanspruchnahme von Notaufnahmen in Krankenhäusern hat in den letzten Jahren große öffentliche und gesundheitspolitische Aufmerksamkeit erfahren. Dabei wurde v.a. die Überbeanspruchung der Notfallressourcen von Krankenhäusern durch Patienten mit nicht dringlichem oder weniger schwerwiegendem Beratungs- und Behandlungsbedarf („primary care patients“) thematisiert. Aufgrund der Sektorentrennung und damit einhergehender unklarer Zuständigkeiten (sowohl aus Patienten- und als auch Versorgungsperspektive) kommt es aber auch zu Unter- und Fehlversorgung von Patienten und so insgesamt zu einer ineffizienten Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Internationale Studien geben Hinweise darauf, dass die Inanspruchnahme von Notaufnahmen durch eine gezielte und standardisierte Patientensteuerung („patient streaming“) in das jeweils passende Versorgungssetting deutlich reduziert werden kann.

Fragestellung: Zentral ist die Frage, ob und wie sich der Einsatz eines Instruments zur standardisierten Ersteinschätzung des Versorgungsbedarfs auf die Patientenströme auswirkt und ob mit einem solchen Instrument eine bedarfsgerechte Versorgungssteuerung unter dem Primat der Patientensicherheit erreicht werden kann.

Das DEMAND-Projekt nähert sich der eingangs skizzierten Problematik aus der Perspektive der (vertragsärztlichen) Primärversorgung, in dessen Zuständigkeitsbereich die Behandlung und Beratung jener Patienten fällt, für deren Versorgung weder die Ressourcen des Krankenhauses noch des Rettungsdienstes benötigt werden. Faktisch sind mit dem Projekt also auch weitergehende Fragestellungen der Organisation der primärärztlichen Notfallversorgung verbunden, weil mit der Implementierung des Instruments auch ein entsprechendes Angebot verfügbar gemacht werden muss, um dem Bedarf von Patienten mit nicht dringlichen Beratungsanlässen gerecht zu werden.

Methode: Beim DEMAND-Projekt handelt es sich um eine explorative Systeminterventionsstudie, in der die Effektivität eines in unterschiedlichen (organisatorischen) Kontexten einzusetzenden Instruments zur Steuerung von Patienten in von diesen als Notfall empfundenen Situationen.

Zielpopulation der Studie sind alle Patienten mit einem akuten Beratungs- und Behandlungsbedürfnis, die in einem definierten Zeitraum (je nach Region/Standort: 10 bis 12 Monate) eine der zwei definierten Erstkontaktstellen der Notfallversorgung im Projekt (der gemeinsame Tresen bzw. der kassenärztliche Bereitschaftsdienst über die Rufnummer 116117) aufsuchen.

Interveniert wird mit einem standardisierten Instrument zur Ersteinschätzung des Beratungs- und Behandlungsbedarfs, das die Patienten in jeweils bedarfsgerechte Versorgungssettings steuert und der ärztlichen Versorgung vorgeschaltet ist.

Die Steuerungseffekte werden quantitativ (Vorher-Nachher-Vergleich) anhand von Routinedaten der beteiligten Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen und qualitativ anhand von Primärdaten (Patienten- und Mitarbeiterbefragungen) bewertet. Projektbegleitend werden unterschiedliche organisatorische Umsetzungsformen der vertragsärztlichen Versorgung in den Modellregionen analysiert.

(Erwartete) Ergebnisse: Da die Intervention noch nicht begonnen hat, liegen noch keine Ergebnisse vor. Es wird erwartet, dass die Inanspruchnahme der Notaufnahmen in den festgelegten Einzugsgebieten der Modellstandorte signifikant reduziert wird. Damit einhergehend wird erwartet, dass die Mitarbeiter in den Notaufnahmen entlastet werden und ihre Arbeitszufriedenheit steigt. Durch die bedarfsgerechte Zuweisung von Patienten wird zudem erwartet, dass sich die Versorgungssituation insgesamt verbessert, Wartezeiten reduziert werden und sich die Patientenzufriedenheit dementsprechend erhöht.

Diskussion: Bereits im Vorfeld der Projektdurchführung wird dem Thema Patientensicherheit im Kontext der Ersteinschätzung eine hohe Bedeutung zugemessen. Die dem Ersteinschätzungsinstrument zugrundeliegenden Algorithmen werden dabei in einer Validierungsstudie von verschiedenen Expertengruppen geprüft, um sicherzustellen, dass insbesondere bei der Unterscheidung besonders dringlicher Notfälle von weniger dringlichen, eine hohe Sensitivität und Spezifität des Instruments gewährleistet sind.

Praktische Implikationen: Sollte sich die Hypothese bestätigen, dass über die Intervention eine Entlastung der Notaufnahmen und eine bessere Versorgung (u.a. im ärztlichen Bereitschaftsdienst) für viele ambulante Notfallpatienten möglich ist, ist eine deutschlandweite Implementierung des Ersteinschätzungsinstruments und des zugrundeliegenden Konzepts in Erwägung zu ziehen. Die begleitenden qualitativen Evaluationen ermöglichen dabei wichtige Erkenntnisse bezüglich einer Implementierung in unterschiedlichen Regionen, Anwendungskontexten und unter verschiedenen versorgungspolitischen Rahmenbedingungen und siedlungsgeographischen Aspekte.