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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Lässt sich die Sensibilität des Krankenhauspersonals gegenüber Schlafproblemen und Schlafmitteln erhöhen? Erste Ergebnisse einer komplexen Intervention

Meeting Abstract

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  • Stephanie Heinemann - Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Allgemeinmedizin, Göttingen
  • Vivien Weiß - Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Allgemeinmedizin, Göttingen
  • Wolfgang Himmel - Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Allgemeinmedizin, Göttingen

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf318

doi: 10.3205/18dkvf318, urn:nbn:de:0183-18dkvf3187

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Heinemann et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Schlaf- und Beruhigungsmittel gehören zu den am häufigsten eingesetzten Medikamenten im Krankenhaus. Oft handelt es sich dabei um stark wirksame Medikamente aus der Gruppe der Hypnotika und Sedativa, z. B. Benzodiazepine und sogenannte Z-Substanzen – mit hohem Risikopotential (Stürze, kognitive Beeinträchtigungen, Suchtgefahr). Diese Über- bzw. Fehlversorgung mit solchen Schlafmitteln hat viele Ursachen, z.B. Wissensdefizite, Mangel an alltagstauglichen Alternativen, Organisationszwänge, Patientendruck, unterschiedliche Sichtweisen der am Geschehen beteiligten Professionen. Diesem Ursachengefüge entsprechend, sollten Interventionen zur Änderung dieser Verordnungspraxis vielseitig bzw. komplex angelegt sein. Das bezieht sich auf die Interventionsmaßnahmen und die Zielkriterien. So sollte nach Intervention nicht nur die Zahl der eingesetzten Schlafmittel zurückgehen. Zugleich sollten Ärzte und Pflegende eine größere Sensibilität Schlafproblemen gegenüber entwickeln und ihr Wissen darüber erweitern. Denn sie sind es, die Patienten beraten und ihnen Alternativen anbieten.

Fragestellung: Kann eine komplexe Intervention die Sensibilität von ärztlichen und pflegerischen Mitarbeitern eines Krankenhauses gegenüber Schlafproblemen und Schlafmitteln erhöhen?

Methode: Nach einer mixed methods-basierten Bestandsaufnahme zur Anwendung von Schlafmitteln in einem Krankenhaus der Regionalversorgung wurde mittels eines partizipativen Ansatzes eine vielseitige Intervention gestartet. Sie umfasste u.a. eine Infokampagne mit großflächigen Postern, eine Übersicht der häufigen Nebenwirkungen direkt am Medikamentenschrank, interprofessionelle Handlungsempfehlungen in Form von Kitteltaschenkarten, Bereitstellung von nicht-medikamentösen Alternativen und Weiterbildungsangebote. Alle Maßnahmen wurden durch Krankenhausleitung, Personalvertretung und internes Qualitätsmanagement aktiv unterstützt. Die Zielgrößen für die Effektivität der Intervention waren: Fachwissen über Wirkung von Schlafmitteln und Kenntnisse der unerwünschten Wirkungen sowie die häufige Behandlung von Schlafproblemen ohne Schlafmittel. In einer Vorher-Nachher-Befragung wurden Mitarbeiter des Krankenhauses um ihre Einschätzung gebeten, wie sicher oder gut informiert sie sich bei diesen Themen fühlen. Anschließend wurde die Selbsteinschätzung vor und nach Intervention unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren (Geschlecht, Berufsgruppe, Abteilung) verglichen – mit adjustierten Odds Ratios und ihren 95%-Konfidenzintervallen als Effektgrößen.

Ergebnisse: Das ärztliche und pflegerische Personal beteiligte sich an der Befragung vor Intervention mit 41% (172/420), nach Intervention – im Abstand von 18 Monaten – mit 38% (150/396). Vor der Intervention schätzen 25% der Befragten Ihr Fachwissen in Bezug auf die Wirkung von Schlafmittel als sehr gut oder gut ein; nach der Intervention waren es 31%. Beim Wissen über unerwünschten Wirkungen war die Differenz zwischen beiden Zeitpunkten etwas ausgeprägter (28% vs. 39%). Dass man sehr häufig bzw. häufig bei Schlafproblemen ohne Schlafmittel helfen könne, meinten 7% vor und 16% nach Intervention. In einer multivariablen Analyse waren die Effekte der Intervention – kontrolliert für Geschlecht, Berufsgruppe und Abteilung – für zwei Themen signifikant: Wissen über Nebenwirkungen von Schlafmitteln (adjustiertes Odds Ratio 1,6; 95%-Konfidenzintervall: 1,0 – 2,7) und Hilfe ohne Schlafmittel (2,5; 1,2 – 5,3).

Diskussion: Die Selbsteinschätzung der ärztlichen und pflegerischen Mitarbeiter eines Krankenhauses zum Wissen über und Umgang mit Schlafmitteln veränderte sich nach Intervention in die gewünschte Richtung. Offensichtlich hat die komplexe Intervention durchaus die Sensibilität gegenüber Schlafproblemen im Krankenhaus erhöht. Allerdings können wir nicht ausschließen, dass ein Hawthorne-Effekt – also das Wissen, an einer Studie teilzunehmen und unter Beobachtung zu stehen – und soziale Erwünschtheit die Veränderung im Antwortverhalten mitgeprägt haben. Weitere Auswertungen zum tatsächlichen Gebrauch von Schlafmitteln vor und nach der Intervention werden zeigen, ob der Eindruck der Mitarbeiter, mittlerweile häufiger ohne Schlafmittel helfen zu können, zutrifft.

Praktische Implikationen: Eine gut geplante und komplexe Intervention kann das ärztliche und pflegerische Personal gegenüber Schlafproblemen und Schlafmitteln sensibilisieren und ihren Wissensstand hierüber verbessern. Zu berücksichtigen ist aber, dass die Prioritäten „auf Station“ doch ganz andere sind und es vermutlich weiterer, im öffentlichen Raum angesiedelter Maßnahmen bedarf, um dem Thema gesunder Schlaf und den Gefahren von Schlafmitteln einen höheren Stellenwert zu geben.