gms | German Medical Science

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Erlebte Aggression in der pädiatrischen Krankenhaustätigkeit

Meeting Abstract

Suche in Medline nach

  • Antje Dresen - IMVR (Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft), Univ. Köln, Medizinsoziologie, Köln
  • Susan Lee - IMVR (Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft), Univ. Köln, Medizinsoziologie, Köln
  • Holger Pfaff - IMVR (Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft), Univ. Köln, Rehabilitationswissenschaft, Köln
  • Eckhard Korsch - Kliniken Köln GmbH, Kinderklinik Holweide, Köln

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf315

doi: 10.3205/18dkvf315, urn:nbn:de:0183-18dkvf3156

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Dresen et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: In Nordrhein-Westfalen war bereits jeder achte Retter Opfer von Gewalt, mehr als jeder zweite berichtet von Beschimpfungen und Beleidigungen. Besonders in den Abend- und Nachtstunden sowie unter Einfluss von Alkohol und Drogen steigt die Wahrscheinlichkeit für derartige Vorfälle, welche die Arbeit von Notärzten, Polizisten, Hilfskräften bei der Feuerwehr, beim Katastrophenschutz und im Rettungsdienst erschweren. Die Bundesregierung hat so kürzlich härtere Strafen für Angriffe auf diesen Personenkreis beschlossen. Niedergelassene Ärzte und Krankenhausärzte sind in das Gesetz nicht mit eingeschlossen. Dabei finden sich auch in dieser Berufsgruppe Hinweise auf erlebte Aggressionen und Gewalthandlungen. Zwar ist dieses Thema im öffentlichen Diskurs kaum präsent. Doch gerade die täglichen Erfahrungen von Ärztinnen und Ärzten in den Kliniken zeugen von Situationen hoch emotionaler, teils aggressiver Kommunikation. Vor allem in den Kinderkliniken wird von „schwierigen Interaktionen“ mit Eltern oder Angehörigen zu behandelnder Kindern berichtet. Erforscht ist dieses Themenfeld kaum. Lediglich zwei Studien von Mackin et al. (2001) und Korsch et al. (2003) haben sich mit aggressivem Verhalten von Eltern und Angehörigen gegenüber Krankenhausärzten in der Kinderheilkunde beschäftigt. Mehr als die Hälfte in der etwa von Korsch et al. (2003) durchgeführten Studie berichten über Situationen - im Median ein Mal pro Jahr - in der sich Ärztinnen und Ärzte als Ziel einer aggressiven Handlung von Eltern oder Angehörigen sahen. Vor diesem Hintergrund wurde nun erneut eine Befragung von Krankenhausärzten in der Kinderheilkunde durchgeführt, um die Facetten und Folgen von Aggression und Gewalt in diesem Setting, auch im zeitlichen Verlauf, offenzulegen.

Fragestellung: Ob, wann und in welcher Form sind die angesprochenen Ärztinnen und Ärzte jemals Ziel einer aggressiven Handlung durch Eltern oder Angehörige geworden? Dazu wurde erfragt, ob dies eine persönliche Belastung war, eine Beeinflussung der kinderärztlichen Tätigkeit zur Folge hatte und wie sich die Betroffenen nach einem solchen Fall verhalten haben.

Methode: Ende 2017 wurden Fragebögen an die Assistentensprecher aller pädiatrischen Abteilungen und Kinderkliniken in Deutschland versandt. Um eine Vergleichbarkeit zu den beiden Studien aus den Jahren 2001, 2003 und einer weiteren eigenen und bisher nicht veröffentlichten Studie aus 2009 zu ermöglichen, lehnt sich der Fragebogen an Mackin et al. (2001) und Korsch et al. (2003) an. Auf eine einmalige Aussendung von 407 Fragebögen haben sich bis März 2018 N=188 Ärztinnen und Ärzte zurückgemeldet. Im Fragenbogen werden die Formen der aggressiven Handlung wie Druckausübung, Beschimpfung, Androhung von körperlicher Gewalt, Versuch der Anwendung von Gewalt und ausgeübte Gewalt und die Erfahrungen mit diesen Situationen abgefragt. Zugleich konnten die Befragten etwa die Inhalte der Beschimpfung, Art der Bedrohung etc. über offene Fragen spezifizieren. Im Zuge der Auswertung werden für die Stichprobenbeschreibung Gruppenverteilungen in Prozent und bei nicht normalverteilten Werten der Median berechnet. Unterschiede zwischen nicht normalverteilten ordinalen Daten werden mit dem Mann-Whitney-U-Test, zwischen metrischen Daten mit dem Kruskal-Wallis-Test und Unterschiede von Häufigkeiten mit dem X²-Test auf Signifikanz geprüft.

Ergebnisse: Ein erster Eindruck der Angaben zeugt davon, dass sich die Erfahrungen mit Aggressionen im pädiatrischen Bereich im Vergleich zu den zitierten Studien verstärkt haben. Abermals werden die Häufigkeiten und Inhalte der aggressiven Vorfälle veranschaulicht und das ärztliche Verhalten reflektiert. Dies reicht von beruhigendem bzw. deeskalierendem Einwirken auf die Situation bis zur inhaltlichen Klärung. Auch aggressive Gegenreaktionen, das Hinzuziehen der Kollegen oder der Polizei, das Ignorieren der Angehörigen und das Verlassen des Handlungsorts werden thematisiert. Zugleich wird herausgestellt, dass Aggression und Gewalt eine überaus relevante Problematik im Rahmen der kinderärztlichen Tätigkeit ist.

Diskussion: Über die Thematik von Aggression und Gewalt im Rettungswesen hinaus, zeugt gerade der pädiatrische Bereich von emotional hoch aufgeladenen Situationen. Allerdings sind diese wie im Rettungsdienst weniger auf Alkohol zurückzuführen, sondern Ausdruck von einer starken Belastung und von Ängsten, die innerhalb einer Familie die Krankheit eines Kindes mit sich bringen kann. Gleichzeitig scheinen Ärztinnen und Ärzte auf solche Situationen kaum vorbereitet zu sein, was eine gelingende Arzt-Patient-(Eltern-)Kommunikation erschwert.

Praktische Implikationen: Obwohl in der Kinderheilkunde Tätige einem hohen Risiko ausgesetzt sind, bei ihrer Arbeit in aggressive Situationen verwickelt zu werden, sind Maßnahmen im Umgang mit diesen noch nicht systematisch impliziert. Aufklärung, Kommunikationstrainings und Supervision können entwickelt und genutzt werden.