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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Geriatrische Versorgung im Emsland – Problemanalyse und mögliche Ansätze zur Verbesserung der Versorgung durch den Landkreis

Meeting Abstract

  • Melanie Görsch - Institut für Community Medicine, Versorgungsepidemiologie und Community Health, Greifswald
  • Ulrike Stentzel - Institut für Community Medicine, Versorgungsepidemiologie und Community Health, Greifswald
  • Franziska Radicke - Institut für Community Medicine, Versorgungsepidemiologie und Community Health, Greifswald
  • Angelika Beyer - Institut für Community Medicine, Versorgungsepidemiologie und Community Health, Greifswald
  • Wolfgang Hoffmann - Institut für Community Medicine, Versorgungsepidemiologie und Community Health, Greifswald
  • Neeltje van den Berg - Institut für Community Medicine, Versorgungsepidemiologie und Community Health, Greifswald

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf236

doi: 10.3205/18dkvf236, urn:nbn:de:0183-18dkvf2364

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Görsch et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Für das Emsland wird zwischen 2015 und 2025 ein Anstieg der über 65-jährigen Bevölkerung um 31,1 % prognostiziert (Kleinräumige Bevölkerungsvorausberechnung, Landesamt für Statistik Niedersachsen, 2015). Ein deutlicher Anstieg der Häufigkeiten altersassoziierter Erkrankungen ist daher zu erwarten. Zudem sind Patienten über 65 Jahre häufig mehrfach erkrankt und ihr Leben wird in vielen Fällen von Funktionseinschränkungen begleitet. Perspektivisch wird daher insbesondere der Bedarf an geriatrischen Leistungen zunehmen. Mit 111 Einwohnern/km² entspricht die Bevölkerungsdichte im Emsland weniger als der Hälfte des Bundesdurchschnitts (230 Einwohner/km²). Leistungserbringer sind vorwiegend in Städten und größeren Orten angesiedelt. Der Zugang zur Versorgung ist für ältere Menschen, die in ländlichen Gebieten leben, abhängig von Infrastrukturen, der individuellen Mobilität sowie Art, Umfang, Kapazität und Erreichbarkeit des Angebotes medizinischer Leistungen innerhalb einer bestimmten Region.

Fragestellung: Welche Probleme bestehen in der geriatrischen Versorgung im Emsland und durch welche Maßnahmen kann eine Verbesserung der Versorgung erreicht werden?

Methode: Mixed-Methods-Design. Auf Grundlage induktiver Kategorienbildung anhand qualitativer Interviews mit 6 Experten (Ärzte, Pflege, Öffentlicher Gesundheitsdienst) wurde ein standardisierter Fragebogen erstellt. Die Studie wurde als hybride Befragung konzipiert und durchgeführt. Der Fragebogen wurde an alle Hausärzte (n=184), Fachärzte der allgemeinen fachärztlichen Versorgung (n=239), Apotheken (n=83), Pflegeeinrichtungen (n=70) sowie Ärzte und Pflegedienstleitungen geriatrischer Abteilungen der Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen (n=102), Sozialverbände (n=10), in der Pflegeausbildung tätige Pädagogen (n=6) im Landkreis Emsland und an Pflegewissenschaftler einer nahegelegenen Hochschule (n=4) versandt. Neben Problemen und möglichen Verbesserungsansätzen wurden auch die Anzahl durchgeführter geriatrischer Assessments, Bewertungen der ambulanten und stationären Versorgungssituation, bestehende Kooperationen zwischen den Leistungserbringern sowie Meinungsbilder zu Qualifikationen niedergelassener Ärzte im Fach Geriatrie abgefragt. Die Auswertung des Datenmaterials erfolgte anhand deskriptiver Methoden.

Ergebnisse: 189 Fragebögen wurden ausgewertet (Response: 25,7 %). Aus der Auswahl der möglichen Probleme wurden von 77,2 % (n=146) der Teilnehmer „lange Wartezeiten auf Facharztbehandlung“, von 64,9 % (n=122) „Hausärztemangel“ und „Mangel an Pflegefachkräften“, von 52,9 % (n=100) „Mangel an in der Geriatrie weitergebildeten Ärzten“, von 49,7 % (n=94) „zu große Entfernungen zu und zwischen den Leistungserbringern“ und von 38,1 % (n=72) „separiertes Arbeiten der Sektoren“ genannt. Diese Auswahl ergänzend benannten viele Teilnehmer den unzureichenden öffentlichen Nahverkehr und mangelndes Medikationsmanagement als Probleme. Größtes Verbesserungspotential für die Versorgung sahen 65,1 % (n=123) der Teilnehmer in der Delegation ärztlicher Aufgaben und einer stärkeren Vernetzung über Berufsgrenzen hinweg (63,5 %; n=120). 66,1 % (n=125) der Teilnehmer geben an, innerhalb der geriatrischen Versorgung bereits mit anderen Leistungserbringern und Akteuren zusammenzuarbeiten. Als Instrument zur Verbesserung der Zusammenarbeit wurde die regionale Patientenakte mit 38,6 % (n=73) am häufigsten genannt.

Diskussion: Die wichtigsten von den regionalen Akteuren identifizierten Probleme sind fehlendes ärztliches und pflegerisches Personal, geringe Zusammenarbeit in den relevanten Versorgungsbereichen sowie eine unzureichend altersgerechte Infrastruktur und mangelndes Medikationsmanagement. In diesem Modellprojekt soll geklärt werden, inwieweit ein Landkreis direkten Einfluss auf die aktuellen Versorgungsstrukturen nehmen kann. Landkreisvertreter können sektorübergreifende Abstimmungsprozesse moderieren. Durch Implementierung alternativer Versorgungsmodelle kann er auch selbst in der Versorgung tätig sein und insbesondere im Bereich Infrastruktur (ÖPNV, Planung von Leistungen der Daseinsvorsorge, Bauplanung etc.) mitwirken.

Praktische Implikationen: Beim Aufbau altersgerechter Infrastrukturen, der Vernetzungsarbeit sowie der Förderung von Modellprojekten kann der Landkreis eine führende Rolle einnehmen. Lange Wartezeiten auf Facharztbehandlung sowie große Entfernungen können in manchen Fällen durch telemedizinische Betreuung überbrückt werden. Hierzu könnte durch den Landkreis ein Telemedizinzentrum eingerichtet und die IT-Infrastruktur betrieben werden. Weiterhin kann der Landkreis an geeigneten Orten Praxisräume einrichten, in denen fest angestelltes Personal (MFAs/NäPas) in Delegation arbeitet. Räume und Personal können wechselweise durch verschiedene Haus- und Fachärzte für Sprechtage genutzt werden. Zudem wäre eine durch den Landkreis eingerichtete Koordinierungsstelle für die Zusammenarbeit verschiedener Professionen denkbar.