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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Unterstützte Kommunikation – zu wenig unterstützt? Eine Evaluationsstudie zur Hilfsmittelversorgung in der Unterstützten Kommunikation (MUK)

Meeting Abstract

  • Sarah Uthoff - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Organisationsbezogene Versorgungsforschung, Oldenburg
  • Jens Boenisch - Universität zu Köln, Pädagogik für Menschen mit Beeinträchtigungen der körperlichen und motorischen Entwicklung, Köln
  • Tobias Bernasconi - Universität zu Köln, Pädagogik für Menschen mit Beeinträchtigungen der körperlichen und motorischen Entwicklung, Köln
  • Lena Ansmann - Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Organisationsbezogene Versorgungsforschung, Oldenburg

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf185

doi: 10.3205/18dkvf185, urn:nbn:de:0183-18dkvf1859

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Uthoff et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Der Versorgungsalltag von Menschen ohne Lautsprache, die auf Maßnahmen der Unterstützten Kommunikation (z.B. Kommunikationstafeln, Sprachcomputer) angewiesen sind, ist derzeit überwiegend von ungeklärten Zuständigkeiten in der Versorgungskette, Hilfsmittel-Fehlversorgungen, fehlenden Qualitätskriterien und Standards, ausbleibender Nachsorge sowie großer regionaler Unterschiede in der Versorgung geprägt. Eine komplexe Intervention in diesem Versorgungsbereich soll zur Verbesserung der individualisierten Versorgung und der Kommunikationsfähigkeit sowie der Lebensqualität von Patient*innen ohne Verbalsprache beitragen. Das zu evaluierende neue Versorgungsmodell geht über einen bestehenden Selektivvertrag mit einer qualitätsgesicherten Diagnostik und Beratung zu UK-Hilfsmitteln hinaus und umfasst im Wesentlichen ein regelmäßiges Patiententraining und bei Bedarf eine Therapie zur Unterstützten Kommunikation. Gesteuert wird dieser Prozess durch ein Case Management und findet in drei spezialisierten Beratungszentren bundesweit Anwendung.

Fragestellung: Die Evaluationsstudie geht der Frage nach, inwiefern die neue Versorgungsform (nVF) der Unterstützten Kommunikation zu einer besseren Kommunikationsfähigkeit sowie Lebensqualität beiträgt und inwiefern die Implementierung der neuen Versorgungsform durch die beteiligten Stakeholder gelingt.

Methode: Zur Berücksichtigung der Komplexität der neuen Versorgungsform und der Heterogenität der Implementierung erfolgen eine summative und eine formative Evaluation. Die summative Evaluation mittels quasi-experimenteller Längsschnittstudie überprüft die Wirksamkeit der neuen Versorgungsform gegenüber der bereits bestehenden Versorgung im Selektivvertrag und der bisherigen Regelversorgung. Patient*innen in der neuen Versorgungsform und im Selektivvertrag werden prospektiv über 24 Monate in die Evaluation eingeschlossen (n = 240 Patient*innen und n = ca. 200 Patient*innen). Die historische Vergleichsgruppe besteht aus Patient*innen, die zwischen 2014 und 2018 in der Regelversorgung außerhalb der beiden Modelle versorgt worden sind (n = ca. 400 Patient*innen). Die Daten für die summative Evaluation werden mittels standardisierter Befragung der fachlichen und privaten Bezugspersonen der Patienten*innen in den drei teilnehmenden Beratungsstellen zu drei Erhebungszeitpunkten (T0: nach Erstberatung, T1: nach Training, T2: nach Therapie) erhoben. Ausgewertet werden die erhobenen quantitativen Daten u.a. mittels multivariabler Regressionsanalysen unter Kontrolle möglicher Confounder.

Die summative Evaluation wird durch eine begleitende formative Evaluation in Form einer querschnittlichen Beobachtungsstudie anhand qualitativer und quantitativer Erhebungen ergänzt. Neben einer Erweiterung der Befragungen von den Bezugspersonen in der nVF um Fragen zur formativen Evaluation, werden qualitative Fokusgruppen mit an der Versorgung beteiligten Professionellen sowie Laien zu zwei Zeitpunkten durchgeführt. Ebenfalls werden Patient*innen mit ausreichenden Kommunikationsfähigkeiten oder deren Bezugspersonen in qualitativen Interviews zum Versorgungsprozess interviewt. Die qualitativen Daten werden inhaltsanalytisch nach Mayring ausgewertet.

Ergebnisse: Das übergeordnete Ziel der neuen Versorgungsform ist die Verbesserung der Versorgung und der Lückenschluss in der Versorgungskette, so dass ein funktioneller Hilfsmitteleinsatz und dadurch eine deutlich verbesserte Kommunikation erreicht werden kann. Mit der Evaluation soll die Wirksamkeit sowie die Implementierbarkeit der neuen Versorgungsform nachgewiesen werden. Erste Ergebnisse der formativen Evaluation werden zum Kongress im Herbst vorliegen.

Diskussion: Während in der marginal existierenden Versorgungsforschung im Bereich der Unterstützten Kommunikation aufgrund der mit den behinderungsbedingten Einschränkungen der Patient*innen einhergehenden Problemen bei der Datenerhebung (z.B. fehlende Sprechfähigkeit, z.T. auch fehlende Lesefähigkeit der Patient*innen, geistige Behinderung, Kindesalter) fast ausschließlich Fallstudien vorliegen, ist das hier vorliegende Studiendesign ein wichtiger Schritt in Richtung Evidenzbasierung in der Unterstützten Kommunikation. Inwiefern die neue Versorgungsform die gesteckten Ziele einer adäquaten Versorgung von Menschen ohne Verbalsprache mit Kommunikationshilfsmitteln sowie einer Steigerung der Kommunikationsfähigkeit und Lebensqualität erreichen kann, wird anhand der summativen und formativen Evaluation untersucht.

Die dreijährige Projektlaufzeit ist im Dezember 2017 gestartet und das Projekt wird vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse der Evaluation der neuen Versorgungsform können zum einen dazu beitragen, die untersuchte Intervention weiter zu optimieren. Zum anderen sollten die Ergebnisse bei einem Nachweis der Wirksamkeit den Anstoß für die Umgestaltung des Versorgungsprozesses mit Hilfsmitteln der Unterstützten Kommunikation geben.