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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Erwartungen und Befürchtungen von Hämophilie Patienten gegenüber neuen Produkten mit verlängerter Halbwertzeit im Rahmen der Patientenumfrage aus der DACH Region

Meeting Abstract

  • Sylvia von Mackensen - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Hamburg
  • Werner Kalnins - Deutsche Hämophilie Gesellschaft (DHG), Hamburg
  • Lino Hostettler - Schweizer Hämophilie Gesellschaft (SHG), Altstätten, Switzerland
  • Jörg Krucker - Schweizer Hämophilie Gesellschaft (SHG), Altstätten, Switzerland
  • Manuela Albisetti - Universitäts-Kinderspital Zürich, Medizinische Poliklinik und Tagesklinik, Zürich, Switzerland
  • Josef Weiß - Österreichische Hämophilie Gesellschaft (ÖHG), Wien, Austria
  • Ingrid Pabinger-Fasching - Universitätsklinik für Innere Medizin I, Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie, Wien, Austria
  • Wolfgang Miesbach - Universitätsklinikum Frankfurt, Hämostaseologie/Hämophiliezentrum, Frankfurt
  • Johannes Oldenburg - Universitätsklinikum Bonn, Institut für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin, Bonn

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf157

doi: 10.3205/18dkvf157, urn:nbn:de:0183-18dkvf1577

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Mackensen et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Hämophilie ist eine sehr seltene, angeborene Blutgerinnungsstörung, die zu spontanen oder traumatischen Blutungen führen kann, die häufig irreversible Gelenkschäden zur Folge haben. Die Behandlung der Hämophilie beinhaltet die intravenöse Substitution des fehlenden Gerinnungsfaktors, wenn eine Blutung auftritt (on-demand) oder vorbeugend (Prophylaxe). In der Regel wird die Prophylaxe-Therapie in Westeuropa vollständig von den Kostenträgern finanziert, die Patienten mit Hämophilie (PwH) ermöglicht, ein relativ normales Leben zu führen. Der Großteil der PwH muss sich 3- bis 4-mal pro Woche spritzen. Diese Notwendigkeit der häufigen Injektionen kann die Therapietreue der Patienten negativ beeinflussen, was zu einer erhöhten jährlichen Blutungsrate und einer Beeinträchtigung der Lebensqualität führen kann. Daher sind Produkte mit verlängerten Injektionsintervallen wünschenswert, was durch Produkte mit verlängerter Halbwertzeit (vHWZ) ermöglicht werden kann.

Fragestellungen: Vor Zulassung von solchen Produkten mit vHWZ haben die Patientenvereinigungen der DACH Region (D=Deutschland, A=Österreich, CH=Schweiz) in eine Umfrage durchgeführt. Diese sollte in Erfahrung bringen, a) was Patienten über die neuen Produkte mit vHWZ bereits wissen, b) welche Erwartungen und Bedenken sie gegenüber diesen neuen Produkten mit vHWZ haben und c) in welchem Ausmaß sie zu diesen Produkten unter Berücksichtigung der Halbwertzeitverlängerung wechseln würden. Hierdurch sollte ermöglicht werden, die Hämophilie-Behandlung an die Bedürfnisse der Patienten anzupassen.

Methodik: Ein Fragebogen zu Erwartungen und Bedenken gegenüber den neuen Produkten mit vHWZ wurde an insgesamt 2.644 Hämophilie A und B Patienten in Deutschland (2015), Schweiz (2016) und Österreich (2016) geschickt. Der Fragebogen enthielt Fragen zu demographischen und klinischen Daten der PwH, Wissen zur Halbwertzeit des aktuellen Faktorkonzentrates (FK) und Einstellungen gegenüber FK hinsichtlich Zufriedenheit mit dem aktuellen FK, Erwartungen gegenüber neuen Produkten mit vHWZ, benötigten Informationen, um eine Entscheidung treffen zu können, bevorzugten Informationsquellen und Erleichterung der Behandlung im Allgemeinen.

Ergebnisse: 1.007 PwH haben den Fragebogen ausgefüllt zurückgeschickt (38,1%). Dreiviertel der Teilnehmer waren erwachsene Patienten, 262 waren Eltern von hämophilen Kindern. Die Mehrheit der Patienten hatte Hämophilie A (84,5%), hatte eine schwere Form (73,7%), erhielt Prophylaxe (57%), hauptsächlich dreimal pro Woche (47,4%) und verwendete rekombinante Produkte (60,2%). 14,9% hatten aktuell oder in der Vergangenheit einen Hemmkörper. Ein Viertel der Hämophilie A Patienten wusste die korrekte Halbwertzeit ihres aktuellen Konzentrates nicht (HA/FVIII: 26%, HB/FIX: 31,1%). Prinzipiell waren die meisten PwH mit ihrem aktuellen Faktor-Konzentrat zufrieden, nur 4% waren eher/unzufrieden, vor allem wegen der der kurzen HWZ ihres FK und den Schwierigkeiten mit dem Handling. Von den neuen Produkten wurde hauptsächlich erwartet, dass man seltener spritzen muss und dass sie wirksam und sicher sind. 59,5% wären bereit, zu vHWZ zu wechseln, wenn sie eine längere HWZ und dieselbe Sicherheit wie beim bisherigen FK und eine bessere Wirksamkeit haben. Gründe gegen einen Wechsel waren Angst vor einer Hemmkörper-Entwicklung und Angst vor unklarer Sicherheit des neuen FK. Hauptinformationsquellen über Produkte mit vHWZ waren der Hämophilie Behandler (77,1%) und der Newsletter der Patientenvereinigung (73,4%). Hinsichtlich einer Verbesserung der Behandlung wünschten sich PwH kleinere Verpackungen, eine andere Art der Applikation und eine bessere Handhabbarkeit der Produkte. Es zeigten sich signifikante Unterscheide zwischen den Ländern bezüglich Behandlungsregime, Produktklasse und Bereitschaft zu neuen vHZW Produkten zu wechseln.

Diskussion: In diesem repräsentativem Survey bei PwH aus der DACH Region konnte gezeigt werden, dass obwohl PwH generell mit ihrem aktuellen FK zufrieden waren, sie bereit wären, zu den neuen Produkten mit vHwZ zu wechseln, vorausgesetzt, dass die Halbwertzeit verlängert ist und die Produkte dieselbe Sicherheit wie das aktuelle Produkt haben.

Praktische Implikation: Die Behandlungslast für Patienten durch häufige Injektionen stellt oft eine Herausforderung für die Betroffenen und deren Angehörigen dar, wie der Survey zeigen konnte. Durch die neuen Produkte mit vHWZ kann der Behandlungsstandard von behandlungsbedürftigen PwH erheblich verbessert werden, indem entweder der Blutungsschutz erhöht oder die Injektionshäufigkeit im Vergleich zu konventionellen Faktor-Produkten reduziert werden kann. Je nach individueller Lebenslage und Schutzbedarf des Patienten können die Produkte mit vHWZ somit einen positiven und bedeutsamen Einfluss auf den Therapiealltag nehmen.