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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Kooperationen sichtbar machen – Bildinterpretation im Rahmen einer qualitativen Analyse mithilfe der Pictor Technique

Meeting Abstract

  • Karola Mergenthal - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main
  • Corina Güthlin - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main
  • Ferdinand M. Gerlach - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main
  • Jennifer Engler - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf136

doi: 10.3205/18dkvf136, urn:nbn:de:0183-18dkvf1368

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Mergenthal et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Vermehrte interprofessionelle Zusammenarbeit und Kooperationen der Gesundheitsberufe sind in Deutschland politisch gewünscht. Für viele chronisch Erkrankte hängt der Behandlungserfolg von gelungenen Kooperationen ab. Für Patienten mit Rheumatoider Arthritis (RA), die im Krankheitsverlauf unterschiedliche Versorgungsbedarfe entwickeln, wird die interdisziplinäre Kooperation in den Leitlinien empfohlen. Die Untersuchung solcher Kooperationen stellt für Forscher eine Herausforderung dar. Oft werden qualitative Methoden (z. B. Einzel- oder Fokusgruppeninterviews) genutzt, um die komplexen Zusammenhänge zu begreifen. Die Pictor Technique erweitert diese Möglichkeiten durch eine visuelle Darstellung.

Fragestellung: Welche Informationen können durch eine Bildanalyse im Rahmen der Pictor Technique in Bezug auf hausärztliche Kooperationen am Beispiel von Patienten mit RA gewonnen werden?

Methode: In dieser qualitativen Studie wurde die Picotor Technique angewendet. Dabei handelt es sich um eine visuelle Technik, bei der die Teilnehmer Rollen und Beziehungen mit pfeilförmigen Haftnotizen darstellen. Zunächst notierten die teilnehmenden Hausärzte (HÄ) alle an der Versorgung eines konkreten Patienten mit RA Beteiligten auf je einem Haftnotizpfeil. Anschließend arrangierten sie diese Pfeile auf einem Blatt um die Beziehung zwischen den Versorgern darzustellen. Im letzten Schritt erklärten sie ihre Schaubilder. Die so entstandenen Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert, inhaltsanalytisch (nach Kuckartz) mithilfe von MAXQDA11 unter Hinzuziehen der Schaubilder ausgewertet. Die Schaubilder selbst wurden mittels Bildinterpretation (angelehnt an Denzin) in drei Schritten analysiert.

1.
Betrachten der Bilder als umfassende Einheit
2.
Strukturierte Mikroanalyse (inkl. quantitativer Analyse)
3.
Suche nach Mustern und Clustern.

Ergebnisse der Bildinterpretation: 15 Hausärzte (w=9; Alter Ø 54 Jahre) erstellten Schaubilder im Rahmen der qualitativen Interviews (Interviewdauer Ø 14,5 Minuten).

Informationen zur Beziehung der Akteure: Durch die Anordnung und Ausrichtung der Pfeile im Schaubild lassen sich Informationen zur Beziehung vom HA zum Patienten sowie vom HA zu anderen Versorgern erhalten. So demonstriert z. B. eine Anordnung von Pfeilen nah beieinander eine engere Beziehung als Pfeile, die in größerer Distanz zueinander platziert wurden. Weiterhin suggeriert z. B. eine überlappende Platzierung der Pfeile eine engere Verzahnung der Beteiligten, als einzeln nebeneinander dargestellte Akteure. Zum Teil lassen sich so auch „gestörte“ Beziehungen erkennen, wenn z. B. die Pfeilspitzen konfrontativ oder stark abgewendet dargestellt werden.

Wer steht im Mittelpunkt? Durch die bildliche Darstellung lässt sich schnell erkennen, ob der Patient selbst (teilweise zusammen mit seiner Familie) im Mittelpunkt steht oder der Arzt, was für unterschiedliche Herangehensweisen bei der Patientenversorgung spricht.

Dimensionen der Versorgung und Hilfsangebote: Die Pictor Technique erlaubt den Interviewteilnehmern ein umfassendes „Bild“ von möglichen Versorgern und Hilfsangeboten aufzuzeigen. Anhand der Anzahl und Differenzierung der Akteure lässt sich darauf schließen, welche Dimension das Netzwerk hat, in dem sich die Hausärzte gedanklich bewegen.

Medizinischer vs. ganzheitlicher Blick: Auf den Schaubildern werden im Rahmen der Erstellung durch die HÄ unterschiedliche Gruppen dargestellt. So bilden z. B. Physio- und Ergotherapeuten, Sanitätshaus und Apotheke häufig eine Gruppe oder auch Rheumatologe, Rheumaklinik und Rheumaambulanz. Die Darstellung der Gruppen lässt auf einen u. U. engen medizinischen oder einen ganzheitlichen Blick des Hausarztes schließen und inwieweit auch nicht-medizinische Angeboten einbezogen werden.

Diskussion: Durch die Anwendung der Pictor Technique und der folgenden Bildinterpretation können zahlreiche zusätzliche Informationen gewonnen werden, die weit über die Informationen von ausschließlich anhand von leitfadengestützten Interviews gewonnenen Erkenntnissen hinausgehen. Die Bildinterpretation sollte als zusätzliche Datenquelle, jedoch immer im engen Zusammenspiel mit der Inhaltsanalytischen Analyse der Interviews gesehen werden, so dass eine „Überinterpretation“ der Schaubilder vermieden wird.

Praktische Implikationen: Mit den visuellen Schaubildern hat sich eine zusätzliche Datenquelle ergeben, die ergänzende und erweiterte Informationen liefert und ein wesentlich umfassenderes Bild der Zusammenhänge ermöglicht, als es die alleinige Anwendung von qualitativen Interviews zulässt. Diese Methode kann für alle Forschungsfragen eingesetzt werden, bei denen der Fokus auf der Erfahrung innerhalb interprofessioneller Zusammenarbeit liegt oder ein multifaktorielles Zusammenspiel untersucht werden soll.