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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Wer profitiert nach Teilnahme am Programm „aktive Gesundheitsförderung im Alter“ im 13,8 jahres-langleitverlauf der Lucas-Kohortenstudie hinsichtlich einer Kompression von Morbidität?

Meeting Abstract

  • Ulrike Dapp - Albertinen-Haus, Zentrum für Geriatrie und Gerontologie, Wissenschaftliche Einrichtung an der Universität Hamburg, Forschungsabteilung, Hamburg
  • Lilli Neumann - Albertinen-Haus, Zentrum für Geriatrie und Gerontologie, Wissenschaftliche Einrichtung an der Universität Hamburg, Forschungsabteilung, Hamburg
  • Stefan Golgert - Albertinen-Haus, Zentrum für Geriatrie und Gerontologie, Wissenschaftliche Einrichtung an der Universität Hamburg, Forschungsabteilung, Hamburg
  • Björn Klugmann - Albertinen-Haus, Zentrum für Geriatrie und Gerontologie, Wissenschaftliche Einrichtung an der Universität Hamburg, Forschungsabteilung, Hamburg
  • Christoph Minder - Universitätsspital Zürich, Horten-Zentrum für praxisorientierte Forschung und Wissenstransfer, Zürich, Switzerland

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf129

doi: 10.3205/18dkvf129, urn:nbn:de:0183-18dkvf1298

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Dapp et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die WHO definiert gesundes Altern als Entwicklung und Erhalt funktionaler Kompetenz. Eine ungünstige Form des Alterns wird mit Frailty (Gebrechlichkeit) beschrieben, einem sukzessiven Abbau von Funktionen. Dieser Frailty Prozess ist positiv beeinflussbar. Bisherige Interventionen galten meist Personen im Krankenhaus oder Pflegeheim (stationären Setting). In dieser Arbeit wird der Erhalt funktionaler Kompetenz im kommunalen Setting für unterschiedliche Zielgruppen untersucht. Hierfür wird ein Selbstausfüller-Fragebogen eingesetzt, der nicht nur Frailty-Risiken erfasst, die alltagsrelevanten Funktionsverlusten (Pflegebedürftigkeit) vorausgehen, wie z.B. körperliche Inaktivität oder Erschöpfung, sondern auch funktionale Reserven im Sinne der ICF der WHO, wie Häufigkeit körperlicher Aktivität, Aktionsradius oder Ehrenamt. Mit jeweils 6 Markerfragen zu funktionalen Risiken sowie Reserven wird so die funktionale Kompetenz über den LUCAS Funktions-Index ermittelt:

  • ROBUST (viele Reserven & kaum Risiken)
  • postROBUST (viele Reserven & viele Risiken)
  • preFRAIL (kaum Reserven & kaum Risiken)
  • FRAIL (kaum Reserven & viele Risiken).

Fragestellung: Kann bei steigender Lebenserwartung Pflegebedürftigkeit bis ins hohe Alter vermieden oder verhindert werden (Kompression von Morbidität) und sind dafür gesundheitsfördernde und primärpräventive Lebensstil-Interventionen bei älteren Menschen geeignet?

Die Untersuchung erfolgt anhand des mehrfach ausgezeichneten Programms „Aktive Gesundheitsförderung im Alter“, dessen Wirksamkeit mit Wiedereinsetzen des Präventionsparagraphen (§20 SGB V) im Jahr 2000 anhand der LUCAS Kohorte erstmalig für eine repräsentative Gruppe initial selbstständig lebender älterer Menschen in einer deutschen Metropole untersucht wurde.

Methode: Das Programm „Aktive Gesundheitsförderung im Alter“ wurde für selbstständige Menschen ab 60 Jahre und älter und ohne Behinderung von einem Gesundheitsberater-Team mit geriatrischer Expertise durchgeführt und in der ersten LUCAS-Welle angeboten. Die Wirksamkeit wurde über 13,8 Jahre in der Langzeit-Kohortenstudie LUCAS überprüft.

Bei dem Programm handelt es sich um eine einmalige, halbtägige Beratung in Kleingruppen mit 12 Teilnehmenden durch ein interdisziplinär arbeitendes Gesundheitsberater-Expertenteam. Zu den Bereichen Bewegung (Physiotherapie), Ernährung (Ökotrophologie), soziale Teilhabe (Sozialpädagogik), gesundes Altern (Geriatrie) bereiten didaktisch aufeinander aufbauende Kurzvorträge zu diesen vier Themen im Plenum auf die interaktive Arbeit in dynamisierenden Kleingruppen vor. Zusammen mit den Teilnehmenden werden Empfehlungen zur Umsetzung individueller Ziele entwickelt (Empowerment), die später von den Experten verschriftlicht und zwei Wochen nach Teilnahme zusammen mit der Angabe wohnortnaher gesundheitsfördernder Angebote im Gesundheits-Netzwerk in persönlichen Schreiben versandt werden.

Lebenszeit (Sterbedatum gemäß Einwohnerregister bzw. Beobachtungsende für Überlebende) und behinderungsfreie Lebenszeit (endet mit Datum des zuerst auftretenden Ereignisses Tod oder Ersteintritt in Pflegestufe gemäß MDK Pflegebedürftigkeits-Begutachtung) wurden separat für Teilnehmende und Nicht-Teilnehmende funktional kompetente Personen (ROBUST oder postROBUST gemäß LUCAS Funktions-Index) bzw. Personen mit wenigen funktionalen Reserven (preFRAIL oder FRAIL) mittels Kaplan-Meier Kurven verglichen. Adjustiert wurde für Alter, Geschlecht, Bildung, chronische Krankheiten und Funktions-Status mittels multivariaten Cox Regressionen. Dies ermöglicht verlässliche Aussagen zu Zusammenhängen zwischen Mortalität und Morbidität (Kompression von Morbidität) einschließlich Einflüsse durch Lebensstil-Interventionen.

Ergebnisse: Funktional kompetente Teilnehmende lebten signifikant länger ohne Behinderung (p < 0,001). Zudem war der durchschnittliche Anteil an Lebenszeit mit Behinderung für sie deutlich kleiner als für alle anderen Gruppen (funktional wenig Kompetente und Nicht-Teilnehmende).

Diskussion: Die Ergebnisse belegen, dass das multidimensionale Programm „Aktive Gesundheitsförderung im Alter“ eine wirksame Maßnahme ist, um eine Kompression von Morbidität zu ermöglichen. Das Programm wirkt am stärksten bei funktional kompetenten älteren Menschen, für die es entwickelt wurde und bestätigte, dass gesundheitsfördernde Maßnahmen auch geeigneten Zielgruppen angeboten werden müssen.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse ergänzen die geringe verfügbare Evidenz, alters-assoziierten funktionalen Beeinträchtigungen pro-aktiv zu begegnen, wie im Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (PrävG) gefordert.

Förderung: LUCAS Förderung: Europäische Kommission Horizon 2020 (MINDMAP 667661) und BMBF (Fkz: LUCAS I – III 01ET0708, 01ET1002A, 01EL1407). Entwicklung und Durchführung des Programms „Aktive Gesundheitsförderung im Alter“ wurden vom BMFSFJ und der Max & Ingeburg Herz Stiftung gefördert.