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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Mehrtägige Entlastungsangebote für pflegende Angehörige – Potenziale der gesetzlichen Sozialversicherung am Beispiel der BARMER und der SVLFG

Meeting Abstract

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  • Christian Hetzel - Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule Köln, Köln
  • Juliane Diekmann - Barmer Hauptverwaltung, Pflege, Wuppertal
  • Michael Holzer - Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG), Gesundheitsangebote, Kassel

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf128

doi: 10.3205/18dkvf128, urn:nbn:de:0183-18dkvf1283

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Hetzel et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Etwa 5 Mio. private Pflegepersonen sind an der Versorgung Pflegebedürftiger beteiligt. Die dadurch bedingten Belastungen und Folgen für die psychische Gesundheit von pflegenden Angehörigen sind evident [1]. Gleichzeitig wollen pflegende Angehörige die häusliche Situation in der Regel so lange wie möglich aufrechterhalten. Sie sind damit eine tragende Säule pflegerischer Versorgungsstrukturen. Die Versorgung pflegender Angehöriger wird aber als defizitär bewertet [2]. Es gibt zwar gesetzliche Entlastungs- und Unterstützungsleistungen, aber die Hauptlast der Pflege bleibt angesichts der gesetzlichen Leistungsbegrenzungen bei den pflegenden Angehörigen.

Hier setzen die mehrtägigen Regelangebote der BARMER und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) an, die die Gesundheit der pflegenden Angehörigen zum Ziel haben [3]. Sie sind gesetzlich und bei geringem Eigenanteil finanziert. Organisatorisch setzt die BARMER auf größere Gruppen (bis 40 Personen) mit der Möglichkeit der Workshopauswahl und einer Dauer von vier Tagen mit über 400 Teilnehmenden seit fünf Jahren. Die SVLFG bietet flexible Kleingruppenformate für acht Tage mit über 2.000 Teilnehmenden seit 12 Jahren (geplant auch für „pflegende Eltern“ und „gemeinsam mit der pflegebedürftigen Person“). Die Gewinnung der Teilnehmenden erfolgt über Öffentlichkeitsarbeit und persönliche Ansprache. Andere Sozialversicherungen hatten wenn überhaupt nur projektierte Angebote [4].

Fragestellung:

1.
Welche Effekte zeigen die Angebote der BARMER und der SVLFG in Bezug auf subjektive Gesundheit, Wohlbefinden und Depressivität der pflegenden Angehörigen?
2.
Gibt es Effekte auf das Image einer Kranken- und Pflegekasse?

Methode: Die Effekte wurden im Längsschnitt (bis 9 Monate) erfasst. Störgrößen wurden mehrebenenenanalytisch bzw. mittels Propensity Score Matching kontrolliert. Bei der BARMER lagen Daten von 399 Personen mit 1295 Messwerten (davon Kontrollgruppe mit Zufallsauswahl von 155 Personen) an einem Interventionsort zugrunde, bei der Studie der SVLFG 145 Personen mit 545 Messwerten an drei Interventionsorten. Der Image-Effekt wurde im Querschnitt erhoben.

Ergebnisse: Bei sehr breiter Teilnehmendenstruktur hatten 38% (BARMER) bzw. 54% (SVLFG) initial eine klinisch relevante Depressivität.

Frage 1: Beim BARMER-Angebot stieg bei durchschnittlicher Belastungsentwicklung die subjektive Gesundheit nachhaltig (Nettoeffekte für 3, 6 bzw. 9 Monate Cohen’s d=0,19, d=0,25 bzw. d=0,18). Von den initial depressiv auffälligen Personen waren nach 9 Monaten 38% unauffällig, in der Vergleichsgruppe nur 24% (19% nach dem Matching). Beim SVLFG-Angebot stieg das Wohlbefinden bei durchschnittlicher Belastungsentwicklung nach 1 Monat sehr deutlich (d=0,41) und bliet nach 3 bzw. 6 Monaten jeweils geringfügig über dem Ausgangsniveau (d=0,17).

Frage 2 (nur BARMER): Für 95% der pflegenden Angehörigen ist es wichtig, dass Pflegekassen so etwas wie PAUSE anbieten. 89% haben PAUSE als besonderes Angebot der BARMER weiterempfohlen.

Diskussion: Es werden vor allem höher Belastete erreicht. Trotz konzeptioneller Unterschiede sind die mittelfristigen Effekte der beiden Angebote vergleichbar und angesichts des präventiven Interventionscharakters als bedeutsam einzustufen. Aufgrund des quasi-experimentellen Designs bzw. wegen fehlender Kontrollgruppe sind kausale Aussagen aber begrenzt. Die beschriebenen Image-Effekte dürften sich aus Sicht einer im Wettbewerb stehenden Kasse auf Kundenbindung und -gewinnung positiv auswirken.

Praktische Implikationen: Die Entlastungsangebote ergänzen den Hilfemix für pflegende Angehörige und schließen eine Versorgungslücke. Sie könnten ein Modell für andere Sozialversicherungen sein.

Förderung: SVLFG, BARMER und MGEPA NRW


Literatur

1.
Wetzstein M, Rommel A, Lange C. Pflegende Angehörige – Deutschlands größter Pflegedienst. In: RKI, Hrsg. GBE kompakt. 2015:6(3).
2.
Hertle D, Lüken F, Trümner A, Veit C. Stationäre Rehabilitation und Vorsorge für pflegende Angehörige – eine Sondierung der Angebote in Deutschland. Rehabilitation. 2015;54:146-52.
3.
Hetzel C, Alles T, Mozdzanowski M. „Mach mal PAUSE vom Pflegealltag“ – Konzept und Evaluation eines Interventionsprogramms zur Förderung von guter Pflege und Gesundheit bei pflegenden Angehörigen. Siegburg: Asgard Verlagsservice; 2017.
4.
Hetzel C, Opfermann-Kersten M, Holzer M. Das subjektive Wohlbefinden von pflegenden Angehörigen nach einer Trainings- und Erholungswoche: Mehrebenenmodelle für längsschnittliche Daten. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie. 2016;24:13-28.