gms | German Medical Science

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Welche personen- und krankheitsbezogenen Merkmale sind mit der Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe assoziiert? Ergebnisse aus der SHILD-Studie

Meeting Abstract

  • Marius Haack - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover
  • Gabriele Seidel - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover
  • Silke Kramer - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover
  • Chrstopher Kofahl - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Medizinische Soziologie, Hamburg
  • Stefan Nickel - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Medizinische Soziologie, Hamburg
  • Silke Werner - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Medizinische Soziologie, Hamburg
  • Olaf von dem Knesebeck - Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Medizinische Soziologie, Hamburg
  • Marie-Luise Dierks - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf094

doi: 10.3205/18dkvf094, urn:nbn:de:0183-18dkvf0942

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Haack et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Auf Basis repräsentativer Bevölkerungsstichproben wurden in der Vergangenheit mehrfach personenbezogene Merkmale herausgestellt, die mit der Teilnahme an Selbsthilfegruppen (SHG) in Verbindung stehen; etwa ein höheres Alter, das Geschlecht (eher Frauen als Männer) und die Angehörigkeit zur unteren sozialen Schicht. Da geschätzt etwa 4% der Gesamtbevölkerung regelmäßig an Selbsthilfegruppen teilnehmen, ist die Anzahl an befragten SHG-Mitgliedern, die über Bevölkerungsstichproben analysiert werden konnten, jedoch entsprechend begrenzt.

Im Rahmen der BMG-geförderten partizipativen Studie „SHILD“ (Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland - Entwicklungen, Wirkungen, Perspektiven) konnte dieser Frage nun auf Basis einer größeren Gruppe von SHG-Mitgliedern erneut nachgegangen werden. Menschen mit chronischen Erkrankungen aus folgenden vier Indikationsbereichen füllten einen Fragebogen aus: Diabetes mellitus Typ 2, Prostatakarzinom, Multiple Sklerose und Tinnitus. Insgesamt beteiligten sich 1.238 SHG-Mitglieder (hauptsächlich rekrutiert über Selbsthilfeverbände und-gruppen) und 1.321 Gleichbetroffenen ohne Selbsthilfeerfahrung (Nicht-Mitglieder; hauptsächlich rekrutiert über Einrichtungen der gesundheitlichen Versorgung).

Fragestellung: Welche personen- und krankheitsspezifischen Merkmale sind mit der Mitgliedschaft in einer SHG assoziiert?

Methodik: Aus den erhobenen Daten wurden anhand binär logistischer Regressionsmodelle Zusammenhänge zwischen der Mitgliedschaft in einer SHG und verschiedenen personen- sowie krankheitsbezogenen Merkmalen separat für jede Erkrankung ermittelt und für verschiedene Prädiktoren adjustiert. Die Ergebnisse aus den einzelnen Indikationsbereichen wurden anschließend miteinander verglichen.

Ergebnisse: Über alle vier Indikationsbereiche hinweg zeigen die Analysen statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen einer Gruppenmitgliedschaft und den beiden folgenden Variablen: einem steigenden Alter und einem erhöhten sozialen Engagement. Kongruente Zusammenhänge mit der Bildung, dem Einkommen und krankheitsspezifischen Outcomes konnten wir nicht beobachten.

Im direkten Vergleich mit den Nicht-Mitgliedern wird aber zudem deutlich, dass Selbsthilfegruppenmitglieder in allen Bereichen stärker durch Beschwerden ihrer Erkrankung beeinträchtigt und etwas häufiger multimorbid sind (85% vs. 82%). Im Durchschnitt haben sie ca. drei chronische Erkrankungen.

Diskussion: Unsere Betrachtungen bestätigen: die Bereitschaft zur Teilnahme an einer SHG steigt mit dem Alter. Zusätzlich steht eine stärkere Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement mit der Mitgliedschaft in einer SHG in Verbindung. Menschen, die eine Selbsthilfegruppe aufsuchen, sind in dieser Hinsicht also besonders: Trotz oder gerade wegen ihrer Betroffenheit entscheiden sie sich für ein aktives Leben, in dem sie Unterstützung nicht nur empfangen, sondern auch geben.

Aufgrund der gewählten Rekrutierungsstrategien kann ein Selektionsbias nicht ausgeschlossen werden.

Praktische Implikation: Die Ergebnisse vertiefen das Wissen über die strukturelle Zusammensetzung von gesundheitsbezogenen SHG und bieten damit eine Grundlage zur weiteren Betrachtung dieser Zusammenschlüsse.

Sie verdeutlichen darüber hinaus erneut, dass die Angebote der Gruppen auch sozial schwächer gestellte Menschen erreichen. Die soziale Ungleichheit, die in anderen Bereichen der gesundheitlichen Versorgung beobachtet wird, scheint in der Selbsthilfe nicht zu gelten. Dass wir nur wenige Zusammenhänge ermitteln konnten, zeigt vielmehr, dass die gesundheitliche Selbsthilfe generell vielen unterschiedlichen Menschen offen steht.

Zusätzlich unterstreichen die Ergebnisse, dass Mitglieder gesundheitsbezogener SHG in vielen Fällen nicht nur von einer chronischen Erkrankung betroffen sind; viele sind multimorbid. Die Ausrichtung und Förderung von Selbsthilfegruppen hingegen ist fast ausschließlich indikationsspezifisch. Dieser Widerspruch verdeutlicht, dass es nötig sein könnte, Selbsthilfe zukünftig vermehrt indikationsübergreifend zu denken.