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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen bei Patientinnen mit Brustkrebs

Meeting Abstract

  • Christoph Kowalski - Deutsche Krebsgesellschaft e.V., Versorgungsforschung, Berlin
  • Christian Heuser - Uniklinik Bonn, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Forschungsstelle für Gesundheitskommunikation und Versorgungsforschung, Bonn
  • Sarah Halbach - Uniklinik Bonn, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Forschungsstelle für Gesundheitskommunikation und Versorgungsforschung, Bonn
  • Anna Enders - BZgA, Gesundheitsförderung bei vulnerablen Gruppen, Köln
  • Holger Pfaff - Universität zu Köln, IMVR, Köln
  • Nicole Ernstmann - Uniklinik Bonn, Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Forschungsstelle für Gesundheitskommunikation und Versorgungsforschung, Bonn

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf077

doi: 10.3205/18dkvf077, urn:nbn:de:0183-18dkvf0772

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Kowalski et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Seit einigen Jahren ist die Inanspruchnahme von medizinischer Rehabilitation bei onkologischen Patientinnen und Patienten rückläufig. Zwar war in den letzten Jahren entgegen der landläufigen Meinung auch die Krebsinzidenz absolut und altersadjustiert leicht rückläufig (Zentrum für Krebsregisterdaten & Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland, 2017), allerdings erklärt dieser leichte Rückgang der Krankheitslast den Rückgang bei der Reha-Inanspruchnahme nicht vollständig. Bei zugleich steigender Überlebenszeit und neuen Rehakonzepten mutet daher der Rückgang in der Reha-Inanspruchnahme paradox an. Gründe für und gegen die Inanspruchnahme sind indes weitgehend ungeklärt. In der aktuellen Diskussion dominieren stattdessen meist anekdotische Berichte.

Fragestellung: Der Beitrag untersucht potenzielle soziodemographische und krankheitsbezogene Determinanten der Reha-Inanspruchnahme bei Brustkrebspatientinnen und -patienten.

Methode: Sekundärdatenanalyse einer multizentrischen Kohortenstudie (BMG-geförderte PIAT-Studie). In 2013 erstmalig an Brustkrebs erkrankte Patientinnen und Patienten wurden unmittelbar, zehn und vierzig Wochen nach Operation zu psychosozialen Folgen, Informationsbedarfen und Inanspruchnahmeverhalten gefragt. Mittels logistischen Mehrebenenmodellen wird in diesem Beitrag untersucht, welche soziodemographischen und krankheitsbezogenen Merkmale mit der Reha-Inanspruchnahme bis 40 Wochen nach Operation assoziiert sind.

Ergebnisse: 1.180 der 1.202 an der Befragung nach 40 Wochen teilnehmenden Patientinnen und Patienten (entspricht 77.6% der initial eingeschlossenen Patientinnen und Patienten) machten Angaben zur Reha-Inanspruchnahme. 61,3% hatten eine Reha in Anspruch genommen. Die untersuchten Krankheitsmerkmale Stadium, Grading, Anzahl Komorbiditäten, Lokalisation und die Behandlungsmerkmale neoadjuvante Chemotherapie, brusterhaltende Operation vs. Mastektomie und Strahlentherapie tragen nicht signifikant zur Erklärung der Inanspruchnahme bei. Gesetzlich Versicherte nehmen häufiger eine Reha in Anspruch (OR 1,78; 95%-KI 1,18-2,68) als privat Versicherte, 41-50-Jährige (1,48; 1,03-2,13) sowie 51-60-Jährige (1,52; 1,08-2,13) häufiger als 60-70-Jährige, und Patientinnen und Patienten, die mit einem Partner zusammenleben, seltener (0,61; 0,44-0,84) als Alleinlebende. Es zeigten sich keine Zusammenhänge mit Bildung, Muttersprache, dem Erwerbsstatus oder der Gesundheitskompetenz. Insgesamt ist die Erklärungskraft des Modells schwach (Pseudo-R²: 0,05). Es zeigen sich geringe Unterschiede in der Reha-Inanspruchnahme zwischen den Zentren (ICC: 0,05), wobei einzelne Zentren Inanspruchnahmeraten von über 80% aufweisen.

Diskussion: Die Inanspruchnahmerate liegt etwas unter der von Geyer und Schlanstedt-Jahn zur Inanspruchnahme stationärer Rehaleistungen 2011 berichteten (Geyer & Schlanstedt-Jahn, 2011). In der damaligen Untersuchung konnten ein inverser Bildungsgradient und Zusammenhänge mit Behandlungsmerkmalen gefunden werden, die wir nicht bestätigen konnten. Insgesamt zeigt sich auf Grundlage der vorliegenden Daten kein klares Muster. Ebenso wie bei Geyer und Schlanstedt-Jahn legen unsere Ergebnisse eher individuelle Ursachen einer Nichtinanspruchnahme nahe, die mit einer standardisierten Befragung nur schwer zu erfassen sind. Unklar sind beispielsweise die Bedeutung von Angst vor Stigmatisierung bei längerem Fehlen am Arbeitsplatz, Angst vor Einkommenseinbußen, Schwierigkeiten bei der Kinder- und Angehörigenbetreuung sowie die Rolle, die die Furcht vor einer Umwandlung des Rehaantrags in einen Rentenantrag nach §116 SGB VI (Walther, 2013) und der Wunsch nach Rückkehr zur Normalität spielen. Die Unterschiede zwischen den Zentren sind zwar gering, allerdings legen die vereinzelt deutlich erhöhten Inanspruchnahmeraten Besonderheiten einzelner Zentren nahe, beispielsweise in Form gezielter Ansprache durch Ärzte oder Sozialdienste. Die Auswertung gibt keinen Hinweis darauf, inwiefern Ergebnisse bei Brustkrebspatientinnen auf andere Entitäten mit teils deutlich massiveren Folgen für Betroffene und Angehörige übertragbar sind, und bei denen sich die Reha-Inanspruchnahmeraten teils deutlich unterscheiden. Aktuell laufende Untersuchungen mit Mixed-Methods-Ansätzen wie „Onko-Reha“ (Lübeck) halten wir für vielversprechend.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse dieser Auswertung einer Kohortenstudie sind kaum geeignet, praktische Schlussfolgerungen zu benennen. Zu schwach ist die Erklärungskraft des Modells, zu unklar die Ursachen der Nicht-Inanspruchnahme. Da dies vermutlich an der Komplexität der Bedarfslagen im Verbund mit heterogenen hemmenden Faktoren liegt, die mit den hier genutzten Methoden nicht aufzudecken sind, sehen wir weiteren Forschungsbedarf unter Zuhilfenahme qualitativer Ansätze.