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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Bestehen soziale Unterschiede bei der Beantragung und Inanspruchnahme von medizinischen und beruflichen Rehabilitationsleistungen?

Meeting Abstract

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  • Silke Jankowiak - Universität Ulm, Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung (IFR Ulm), Bad Buchau
  • Rainer Kaluscha - Universität Ulm, Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung (IFR Ulm), Bad Buchau
  • Gert Krischak - Universität Ulm, Institut für Rehabilitationsmedizinische Forschung (IFR Ulm), Abteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie, Federseeklinik, Bad Buchau

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf074

doi: 10.3205/18dkvf074, urn:nbn:de:0183-18dkvf0745

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Jankowiak et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Da Personen mit niedrigem sozialen Status häufiger gesundheitliche Beeinträchtigungen aufweisen [1], wäre auch von einem erhöhten Rehablitationsbedarf auszugehen. Allerdings fehlen Studien, die den Einfluss des sozialen Status auf die Beantragung und Durchführung von Rehabilitationsleistungen bestimmen.

Fragestellung: Die Untersuchung ging der Frage nach, welche Faktoren die Antragstellung und Inanspruchnahme von medizinischen und beruflichen Rehabilitationsleistungen beeinflussen.

Methode: Anhand der Reha-Statistik-Datenbasis der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV BW) aus dem Berichtsjahr 2015 wurde mittels logistischer Regression die Wahrscheinlichkeit der Zielereignisse „Reha-Antrag“ und „Reha“ sowie „LTA-Antrag“ und „LTA“ berechnet. Eingeschlossen wurden 52-jährige Versicherte, da hier für Personen mit und ohne Rehabilitationsereignisse soziodemografische Daten (Geschlecht, Wohnort, Staatsangehörigkeit, schulische Bildung) sowie Daten zum Erwerbsstatus (Tätigkeit, Entgelt, Beschäftigungs-/ Arbeitsunfähigkeits- und Arbeitslosigkeitstage, Beitragsart) zur Verfügung stehen.

Ergebnisse: Die Wahrscheinlichkeit für die Beantragung bzw. Durchführung einer medizinischen Rehabilitation war bei Versicherten mit Wohnort im übrigen Bundesgebiet gegenüber Versicherten, die im Regierungsbezirk Stuttgart wohnen, um 91,5% (p < 0,0001) sowie bei Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit gegenüber deutschen Versicherten um 26% bzw. 27% geringer (p < 0,0001). Im Vergleich zu Versicherten mit einem Haupt-/Volksschulabschluss wiesen Personen mit (Fach-)Abitur eine um 39% bzw. 48% geringere Wahrscheinlichkeit für die Zielereignisse „Reha-Antrag“ bzw. „Reha“ auf (p < 0,0001). Versicherte mit Verwaltungsberufen hatten gegenüber Personen mit einfachen manuellen Berufen eine um 26% bzw. 30% geringere Wahrscheinlichkeit für die Antragstellung bzw. Inanspruchnahme einer medizinischen Rehabilitation (p < 0,0001). Im Vergleich zu beschäftigten Versicherten zeigte sich bei Personen mit Bezug von Sozialleistungen (Kranken-/Übergangsgeld oder Arbeitslosengeld) eine 2,6-mal bzw. 3,9-mal höhere Wahrscheinlichkeit (p < 0,0001).

Die Wahrscheinlichkeit für die Beantragung bzw. Durchführung einer beruflichen Rehabilitation (LTA) war bei Frauen gegenüber Männern um 29% bzw. 33% (p < 0,0001) sowie bei Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit gegenüber deutschen Versicherten um 42% bzw. 49% (p < 0,0001) geringer. Im Vergleich zu Personen mit einfachen manuellen Berufen wiesen Fachkräfte eine um 44% (p=0,0096) bzw. 60% (p=0,0018) und Versicherte mit Verwaltungsberufen eine um 56% bzw. 49% (p < 0,0001) geringere Wahrscheinlichkeit für Zielereignisse „LTA-Antrag“ bzw. „LTA“ auf. Personen mit Bezug von Sozialleistungen hatten gegenüber beschäftigten Versicherten eine 13,2-mal bzw. 16,5-mal höhere Wahrscheinlichkeit für die Antragstellung bzw. Inanspruchnahme einer LTA (p < 0,0001).

Diskussion: Eine gesundheitsbedingte Gefährdung der Erwerbsfähigkeit ist eine wesentliche Voraussetzung für den Zugang zu Rehabilitationsleistungen. Folglich zeigte sich bei Versicherten mit Bezug von Sozialleistungen eine höhere Wahrscheinlichkeit der Antragstellung und Inanspruchnahme.

Eine höhere Bildung und berufliche Qualifikation sowie eine ausländische Staatsangehörigkeit gingen mit seltenerer Beantragung und Durchführung einher. Dabei ist unklar, inwiefern dies auf einen geringeren Bedarf oder auf Unterschiede bei hemmenden bzw. fördernden Kontextfaktoren zurückgeführt werden kann.

Die seltenere Beantragung und Durchführung einer LTA bei Frauen könnte ggf. auf Kontextfaktoren zurückführbar sein. Erlauben bspw. familiäre Verpflichtungen nur eine Teilzeitbeschäftigung, können Leistungen, die in Vollzeit stattfinden (z.B. Ausbildung), nicht durchgeführt werden.

Die seltenere Antragstellung bzw. Inanspruchnahme einer medizinischen Rehabilitation bei Versicherten, die im übrigen Bundesgebiet wohnen, könnte damit erklärt werden, dass hier ggf. ein hoher Anteil an Versicherten vorliegt, der aus dem Ausland zugewandert ist. So ist die DRV BW dann für Versicherte aus dem übrigen Bundesgebiet zuständig, wenn diese ausländische Beitragszeiten (z.B. Griechenland, Zypern, Schweiz oder Liechtenstein) aufweisen.

Praktische Implikation: Erwartungsgemäß ist der Beschäftigungsstatus für den Zugang zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation relevant. Daneben scheinen soziale Unterschiede je nach Bildungs- und Qualifizierungsniveau sowie Staatsagehörigkeit zu bestehen. Für einen bedarfsorientierten Zugang und zielgruppenorientierte Interventionen muss geprüft werden, inwiefern hier eine Unterinanspruchnahme vorliegt und ob ggf. niederschwelligere Zugänge erforderlich sind.


Literatur

1.
Lampert Th, Richter M, Schneider S, Spallek J, Dragano N. Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Stand und Perspektiven der sozialepidemiologischen Forschung in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt. 2016;59:153-65.