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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Leistungserbringerstatus für Ärztenetze – Chancen und Risiken für die Versorgung aus rechtlicher Sicht

Meeting Abstract

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  • Thomas Ruppel - Rechtsanwälte Dr. Dr. Ruppel – Kanzlei für Medizinrecht und Gesundheitsrecht, Lübeck

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf059

doi: 10.3205/18dkvf059, urn:nbn:de:0183-18dkvf0599

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Ruppel.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Es wird darüber nachgedacht, dass Ärztenetze einen Leistungserbringerstatus in der GKV erhalten sollen. In den Koalitionsverhandlungen für "Jamaika" war dies als Implementierung in den § 105 SGB V geplant. Der Koalitionsvertrag der großen Koalition schweigt dazu, andere Akteure fordern die Aufnahme von Ärztenetzen in den Kreis der Gründungsberechtigten von Medizinischen Versorgungszentren nach § 95 SGB V.

Fragestellung: Angesichts des fortschreitenden Ärztemangels insbesondere im ruralen Raum, der (akademischen) Professionalisierung der Pflege, der Diskussionen um Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen aber auch der neuen Antikorruptionsnormen im Gesundheitswesen kommt der versorgungswirksamen Integration von Ärztenetzen eine besondere Bedeutung zu. Die dabei zu beachtenden rechtlichen Rahmenbedingungen gehen weit über die zumeist diskutierte Frage des Leistungserbringerstatus, d.h. der Abrechnungsberechtigung in der GKV, hinaus und berühren neben vertragsarztrechtlichen Fragestellungen auch arbeits-, kartell-, berufs-, straf- und haftungsrechtliche Aspekte.

Methode: Die Fragestellung ist mit juristischer Methodik, insbesondere durch Anwendung der Auslegungsmethoden, durch den sog. Gutachtenstil und durch Rechtsvergleichung zu beantworten.

Ergebnisse: Im Fokus der Diskussion um den Leistungserbringerstatus für Ärztenetze steht die Abrechnungsberechtigung. Erfolgt die Implementierung über § 105 SGB V steht diese unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) (und nicht nur des Zulassungsausschusses). Ärztenetze werden dann nur in den KV-Bezirken relevant an der Versorgung teilnehmen, in denen sie bereits bisher gefördert werden, d.h. Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein. Sie wären zudem auf unterversorgte Gebiete beschränkt.

Alternativ wurde vorgeschlagen, dass Ärztenetze MVZ gründen dürfen. Hierbei wäre eine Zustimmung der KV nicht erforderlich, auch würde es keine Beschränkung auf unterversorgte Gebiete geben. Unklar bliebe hingegen, welchen Mehrwert ein weiterer Gründungsberechtigter für die Versorgung hätte, welche Innovationen von weiteren MVZ ausgehen sollten.

Die Fokussierung auf die Abrechnungsberechtigung der Ärzte führt zudem dazu, dass Arztnetze hierdurch vermutlich nicht Inkubator für multiprofessionelle Zusammenarbeit werden, weil die Arztzentriertheit des GKV-Systems gefestigt wird.

Bedarfsplanungsrechtlich ist noch völlig ungeklärt, wie Arztnetze eine im Vergleich zu herkömmlichen Leistungserbringern hinreichende Stabilität erreichen können, insbesondere welche Rechtsformen hierfür geeignet sind.

Die haftungsrechtliche Verantwortung folgt dem Leistungserbringerstatus: Wer wird "Behandler" im Sinne des § 630a BGB, wer muss vertraglich für Behandlungsfehler haften? Das Netz - und damit seine Mitglieder - dies könnte Arztnetze auseinanderbrechen lassen. Oder ein vom Netz gegründeter weiterer Leistungserbringer wie ein MVZ?

Ärztenetze bieten ideale Voraussetzung für Delegation und Substitution, sei es durch Delegationsmodelle wie AGnES, sei es durch Care- und Casemanagerinnen. Während die Delegation berufsrechtlich unproblematisch ist, bleibt die Substitution verboten. Beiden stehen zudem mangelnde Abrechnungsmöglichkeiten entgegen. Arbeitsrechtlich besteht zudem die Gefahr, dass die Delegation letztlich zur erlaubnispflichtigen Arbeitnehmerüberlassung führt.

Ärztenetze dienen der Zuweisung gegen Entgelt. Anders sind Behandlungspfade, die sektorenübergreifende und multiprofessionelle Zusammenarbeit nicht denkbar. Strafrechtlich besteht deshalb die Gefahr der Strafverfolgung nach den §§ 299a, b, 300 StGB. Berufsrechtlich droht Approbationsentzug.

In manchen Regionen sind (fast) alle ambulanten und viele stationäre Leistungserbringer in Ärztenetzen zusammengeschlossen. Bisher nicht diskutiert wurde die Frage, wie aus rechtlicher und versorgungswissenschaftlicher Sicht damit umzugehen wäre, wenn einzelnen Ärzten der Zugang, d.h. die Aufnahme, in das Netz verweigert werden würde, gerade, wenn es Leistungserbringerstatus hat.

Damit verbunden ist die Frage, wie Entwicklungen verhindert werden können, die in den vergangenen Jahren bei krankenhausgetragenen MVZ aufgetreten sind: Das große, kapitalstarke Player wie pharmazeutische Unternehmen Anteile von Ärztenetzen oder deren Gesellschaftern (Arztpraxen) übernehmen und somit Zugang zur den dort zusammengeschlossenen Ärzten und den Leistungen der Arztnetze selbst (z.B. beim Wundmanagement oder Selektivverträgen) erhalten.

Diskussion/praktische Implikation: Der Leistungserbringerstatus für Arztnetze bringt große Chancen für die Versorgungssituation, allerdings auch die Gefahr des Auseinanderbrechens von Arztnetzen. Die erhofften Versorgungsverbesserungen werden nur eintreten, wenn die Fokussierung auf die Abrechnungsmöglichkeiten überwunden wird.