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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Family Health Teams in Ontario – Vorstellung eines interprofessionellen Versorgungsmodells und Anregungen für Deutschland

Meeting Abstract

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  • Lisa-R. Ulrich - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main
  • Ferdinand M. Gerlach - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main
  • Antje Erler - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf057

doi: 10.3205/18dkvf057, urn:nbn:de:0183-18dkvf0572

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Ulrich et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Wichtige Herausforderungen des deutschen Gesundheitssystems sind die Fragmentierung der Versorgung und ein zunehmender Mangel an hausärztlichem und pflegerischem Nachwuchs, die den komplexen und zeitaufwändigen Versorgungsbedürfnissen einer zunehmend älter und multimorbider werdenden Bevölkerung gegenüberstehen. Lösungsansätze können sektoren- und professionsübergreifende Versorgungskonzepte sein. Das Modell der Familiy Health Teams (FHT) stammt aus Ontario, Kanada, und wird dort seit 2005 eingesetzt. Darin übernimmt ein interprofessionelles Team, das aus verschiedenen ärztlichen und nicht-ärztlichen Gesundheitsprofessionen besteht und sich an die jeweils lokalen Gegebenheiten anpasst, die Primärversorgung eines definierten Gebiets. Es kann durch seinen Teamansatz einerseits die Berufsattraktivität für Nachwuchskräfte steigern, andererseits eine umfassende Versorgung anbieten, die auf den Bedarf der zu versorgenden Population zugeschnitten ist. Der vorliegende Beitrag stellt das Modell der FHT vor und diskutiert, welche Ansätze daraus zur Sicherstellung der Primärversorgung in Deutschland beitragen könnten.

Fragestellung: Welche Ansätze aus dem Modell der FHT sind auf Deutschland übertragbar und könnten zur Sicherstellung der hiesigen Primärversorgung beitragen?

Methode: Im Rahmen einer qualitativen Beobachtungsstudie wurden Teammitglieder (n = 19) aus 5 städtischen und ländlichen FHT in Ontario (Kanada) leitfadengestützt in persönlichen Einzel- und Gruppeninterviews befragt. Arbeitsabläufe wurden durch teilnehmende Beobachtung (n = 7) in Reflektionsbögen systematisch dokumentiert. Das Datenmaterial wurde anschließend bezüglich der Frage der Übertragbarkeit auf das deutsche Gesundheitssystem inhaltsanalytisch nach der „framework-Methode“ [1] softwaregestützt mit MAXQDA ausgewertet.

Ergebnisse: Das Kernteam eines FHT besteht aus Hausärzten (Family Physicians) und auf Master-Niveau akademisch ausgebildeten bzw. examinierten Pflegekräften (Nurse Practitioner, Registered Nurse). Weitere Professionen sind ebenfalls Bestandteil des Teams, wobei die genaue Zusammensetzung auf den jeweiligen Bedarf der regional zu versorgenden Population abgestimmt ist. Eine Delegation und teilweise sogar Substitution ärztlicher Aufgaben ist aufgrund vorhandener räumlicher (z.B. eigenes Untersuchungszimmer der Nurse Practitioner), curricularer (akademische Ausbildung) und haftungsrechtlicher Voraussetzungen (rechtliche Regelung inklusive Haftungsfragen durch „Regulated Health Professions Act“) möglich. Diese Aufgabenteilung findet sich auch in den Vergütungsstrukturen wieder (u.a. fixes Jahresbudget für jedes FHT, Mix aus Einzelleistungsvergütung und Kopfpauschale).

Diskussion: Eine vollständige Übertragung des Modells der FHT auf das deutsche Gesundheitssystem ist aufgrund unterschiedlicher, historisch gewachsener Systembedingungen und haftungsrechtlicher Fragen nicht ohne weiteres möglich. Dennoch bietet das Modell Ansätze für die Diskussion weiterer Reformprozesse zur Sicherstellung der Primärversorgung in Deutschland.

Praktische Implikationen: Insbesondere der Einbezug verschiedener Gesundheitsprofessionen im Sinne einer interprofessionellen Teamversorgung scheint Potenzial zu bieten, da es hierfür auch in Deutschland bereits erste funktionierende Modelle gibt.

Förderung: Die Hospitationsreise wurde durch das Programm Care for Chronic Conditions von g-plus – Zentrum im internationalen Gesundheitswesen unterstützt und durch die Robert Bosch Stiftung finanziell gefördert.

Hinweis: Der Beitrag wird auf Anfrage der DNVF-Arbeitsgruppe „Arbeitsteilung und Kooperation der Gesundheitsberufe“ als Präsentation eines Best-Practice-Beispiels eingereicht.


Literatur

1.
Pope C, Ziebland S, Mays N. Qualitative research in health care. Analysing qualitative data. BMJ (Clinical research ed.). 2000;320(7227):114-6.