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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Können Selbstmanagementkurse die Gesundheitskompetenz chronisch erkrankter Menschen stärken? Ergebnisse aus der Begleitevaluation der INSEA „Gesund und aktiv leben“ Kurse

Meeting Abstract

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  • Marius Haack - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover
  • Gabriele Seidel - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover
  • Marie-Luise Dierks - Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf039

doi: 10.3205/18dkvf039, urn:nbn:de:0183-18dkvf0399

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Haack et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Ungefähr 40% aller Frauen und Männer zwischen 18 und 64 Jahren sind chronisch erkrankt (RKI 2014). Um mit dieser Situation gut umzugehen, benötigen Menschen Gesundheitskompetenz (GK), die Unterstützung durch das medizinische Versorgungssystem, aber auch soziale Unterstützung. Verschiedene aktuelle Studien weisen darauf hin, dass nur gut ein Viertel aller chronisch Erkrankten über eine ausreichende GK verfügen. Auch wenn darüber diskutiert werden kann, inwieweit die Ergebnisse, die auf den Selbsteinschätzungen der Befragten basieren, in Bezug auf die reale Kompetenz der Befragten unter- oder auch überschätzt sind, wird hier eine zentrale Verantwortung des Gesundheits- und Bildungssystems deutlich.

Entsprechend wird im kürzlich veröffentlichten Nationalen Aktionsplan für GK explizit ein Teilbereich „Gesundheitskompetent mit chronischer Erkrankung leben“ beschrieben, für den vier detaillierte Empfehlungen ausgesprochen werden. Eine dieser Empfehlungen zielt auf die Förderung des Selbstmanagements, ein „Best Practise“ Beispiel wird in dem evidenzbasierten, standardisierten und indikationsübergreifenden Chronic Disease Self-Management Program (CDSMP) der Universität Stanford gesehen.

Seit 2015 wird dieses Programm von der Initiative für Selbstmanagement und aktives Leben (INSEA) in Deutschland angeboten. Die Projektphase wird durch die Robert Bosch Stiftung und die BARMER gefördert. Kern des Programms ist der Selbstmanagementkurs „Gesund und aktiv leben“, in dem sich chronisch kranke Menschen und Angehörige über sechs Wochen einmal wöchentlich treffen und strukturiert gegenseitig unterstützen. Zentrales Ziel ist, die Selbstmanagementfähigkeiten der Teilnehmenden und, durch eine verbesserte Selbstwirksamkeitserwartung, ihre Motivation zur Verfolgung und Erreichung persönlicher Ziele im Umgang mit der Erkrankung zu stärken.

Fragestellung: Können die „Gesund und aktiv leben“-Kurse die Selbstwirksamkeit und die Selbstmanagementfähigkeiten der Teilnehmenden steigern und so zu einer Verbesserung ihrer GK beitragen?

Methode: Das Kursprogramm in Deutschland wird in einem Eingruppen-Pretest-Posttest-Design evaluiert. Die Teilnehmenden der „Gesund und aktiv leben“-Kurse füllen zu drei Zeitpunkten einen Fragebogen aus – zu Kursbeginn (T0), direkt nach Kursende (T1) und postalisch ein halbes Jahr nach Kursabschluss (T2). Erfasst wird u. a. die Selbstwirksamkeit über die „Self-Efficacy for Managing Chronic Disease 6-Item Scale“, über den „Health Education Impact Questionnaire“ werden die Selbstmanagementfähigkeiten der Teilnehmenden gemessen.

Die Daten werden deskriptiv auf Basis von Häufigkeiten, sowie unter Heranziehung von Effektstärken (Cohens D) ausgewertet.

Ergebnisse: Bis Ende 2017 konnten deutschlandweit 101 Kurse durchgeführt werden, in die 1.234 Teilnehmende starteten. 475 Teilnehmende (80% weiblich; Altersdurchschnitt: 59 Jahre; 5% mit Migrationshintergrund) beteiligten sich bisher an der Evaluation zu allen drei Testzeitpunkten. 87% von ihnen sind selbst chronisch krank, mehr als die Hälfte ist multimorbid. 36% der Befragten verfügen über eine hohe, 36% über eine mittlere und 28% über eine niedrige Schulbildung.

Zu T1 berichten die Befragten von ihren Erfolgen aus den Kursen. Viele geben an, dass sie in den Kursen lernen, sich erreichbare Ziele zu setzen (57%), was sie selbst im Umgang mit ihrer Erkrankung tun können (50%), aber auch, wie sie Fragen in Gesprächen mit Ärztinnen und Ärzten besser formulieren können (26%). Im Kurs können die Teilnehmenden nachhaltig ihre Selbstmanagementfähigkeiten (T1 Cohens D: 0,49; T2 Cohens D: 0,55) und ihre Selbstwirksamkeit (T1 Cohens D: 0,62; T2 Cohens D: 0,37) stärken. Die deutlichsten Steigerungen zu Kursende zeigen sich bei Menschen mit Migrationshintergrund (Selbstmanagement T1 Cohens D: 0,68; Selbstwirksamkeit T1 Cohens D: 0,81).

Diskussion: Die Ergebnisse bestätigen internationale Evidenz zum CDSMP. Durch die Verknüpfung von Handlungsstrukturierung, gesundheitsrelevantem Wissen und sozialer Unterstützung kann diese vergleichsweise kurze Intervention kurz- bis mittelfristig (6 Monate nach Kursende) nachhaltige Verhaltensänderungen bewirken. Inwieweit das Programm auch langfristig nachwirkt, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Die Implementierung eines vierten Testzeitpunktes, zwölf Monate nach Kursende, ist bereits in Planung.

Praktische Implikation: Die „Gesund und aktiv leben“-Kurse haben das Potential, durch gezielte Selbstmanagement-förderung einen Beitrag zur Verbesserung der GK chronisch erkrankter Menschen zu leisten. Dafür muss das Programm weiterhin in die Fläche getragen und über die Projektphase hinaus verstetigt werden. Besonderes Augenmerk wird in einem Teilprojekt seit kurzem auf Menschen mit Migrationshintergrund gelegt. Sie profitieren am meisten, sind jedoch auch am schwierigsten zu rekrutieren. Gerade sie müssen über die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern vor Ort in ihren Lebenswelten erreicht werden.