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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Individuelle Gesundheitskompetenz und Verständnisorientierung in der onkologischen Versorgung aus der Perspektive von Krebspatienten

Meeting Abstract

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  • Andrea Gaisser - Deutsches Krebsforschungszentrum, Krebsinformationsdienst, Heidelberg
  • Eva-Maria Bitzer - Pädagogische Hochschule Freiburg, Public Health & Health Education, Freiburg
  • Susanne Weg-Remers - Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Krebsinformationsdienst, Heidelberg

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf033

doi: 10.3205/18dkvf033, urn:nbn:de:0183-18dkvf0334

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Gaisser et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Gesundheitskompetenz ist die Fähigkeit von Individuen, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und anzuwenden und eine wesentliche Voraussetzung für Patientenbeteiligung in gesundheitsbezogenen Entscheidungen. Im Versorgungskontext sind allerdings auch die involvierten Fachkräfte in der Verantwortung, responsiv auf die individuelle Gesundheitskompetenz ihrer Klienten zu reagieren und die Information und Kommunikation verständnisorientiert zu gestalten. In einer standardisierten Befragung von informationssuchenden Krebspatienten erhoben wir die Einschätzung der allgemeinen versorgungsbezogenen Gesundheitskompetenz und die Wahrnehmung, inwiefern Information und Kommunikation im onkologischen Versorgungskontext verständnisorientiert sind.

Methode: Zielgruppe unserer Befragung sind erwachsene Krebspatienten, die sich mit einem Anliegen an einen unabhängigen Anbieter von Gesundheitsinformation wandten. Diese Personen machten wir, nachdem ihr Anliegen beantwortet war, auf die Studie aufmerksam und verschickten per E-Mail einen Link auf den als Online-Befragung (LimeSurvey™) umgesetzten Fragebogen. Der Fragebogen enthielt 11 ausgewählte Items aus dem Bereich Krankheitsbewältigung und Versorgung des HLS-GER (Schaeffer et al. 2017) und den 9 Items umfassenden Fragebogen zur verständnisorientierten Kommunikation in der Versorgung aus Sicht der Patienten (HL-COM; Ernstmann et al. 2017). Zusätzlich wurden soziodemographische Daten und Angaben zu Erkrankungsart und –phase sowie zum Versorgungssetting erhoben. Angestrebt wurden 300 vollständig ausgefüllte Fragebögen. Die Befragung begann im Juni 2017 und wurde im März 2018 abgeschlossen. Die Datenanalyse umfasste deskriptive uni- und bivariate Analysen auf der Ebene der Einzelitems und der Skalen sowie Vergleiche mit den Mittelwerten aus der Repräsentativbevölkerung (HLS-GER) bzw. der Validierungsstichprobe (HL-COM). Sie erfolgte mit SPSS-V25.

Ergebnisse: Im Erhebungszeitraum verschickten wir an 853 Personen den Link. Von 372 Rückläufen (44%) waren 305 (36%) vollständig und gingen in die Auswertung ein. Das Kollektiv setzt sich wie folgt zusammen: 62% Frauen, medianes Alter 6 Jahre, 26% während und 36% nach Abschluss der Erstbehandlung, 46% Fachhochschul- oder Hochschulabschluss, letzte Behandlung: 25% stationär, 37% ambulant im Krankenhaus, 38% Praxis; Art der Erkrankung: 40% Brustkrebs, 18% Prostatakrebs, 6% Darmkrebs, 4% Lungenkrebs, 32% sonstige Krebsarten. 48% werteten ihren Gesundheitszustand als gut.

Wie im HLS-GER gaben die Befragten mehr Schwierigkeiten mit der Bewertung und Umsetzung von Gesundheitsinformationen an als mit dem Finden und Verstehen. Der Indexwert für die verwendeten HLS-GER-Items war substanziell niedriger als in der repräsentativen HLS-GER-Stichprobe chronisch Erkrankter (24,7 vs. 30,5, mittlere Differenz -5,8 Punkte, 95% CI: -6,7 bis -4,9, p < 0,001). Fast 90% der Befragungsteilnehmer weisen entsprechend der Auswertungsvorschrift eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz auf. Die Befragten bewerteten auch die Orientierung der Kommunikation am Verständnis im onkologischen Versorgungskontext relativ zurückhaltend. Der Mittelwert im HL-COM betrug über die 9 Items 2,7 Punkte (95% CI 2,6 bis 2,8) auf einer Skala von 1 (stimme voll zu) bis 4 (stimme gar nicht zu) und war damit 0,6 Punkte (95%CI -0,7 bis -0,5; p < 0,001) niedriger als im Validierungskollektiv (MW 3,3). Die allgemeine versorgungsbezogene Gesundheitskompetenz (HLS-GER) und die wahrgenommene Verständnisorientierung der Kommunikation in der onkologischen Versorgung (HL-COM) korrelieren 0.5.

Diskussion und Implikationen: Die Untersuchung liefert “real-life”-Daten von Krebspatienten zu ihrer Gesundheitskompetenz und ihrer Wahrnehmung, inwiefern die Kommunikation in der Versorgung aus Sicht der Patienten verständnisorientiert ist. In Anbetracht des hohen formalen Bildungsgrads der Befragungsteilnehmer und des Umstandes, dass es ich bei der Stichprobe um aktiv informationssuchende Menschen handelt, erstaunen die im Vergleich zur Repräsentativbevölkerung niedrigeren Indexwerte im HLS-GER und der extrem hohe Anteil an Personen mit nach der Auswertungsvorschrift ungenügender Gesundheitskompetenz.

Wir interpretieren die Befunde dahingehend, dass der HLS-GER zumindest in Subgruppen auch misst, wie schwer bzw. leicht es das Gesundheitssystem Patienten macht, gesundheitskompetent zu agieren. Für diese Interpretation spricht, dass die befragten Krebspatienten die mit dem HL-COM gemessene Responsivität der Versorgung (v.a. die verständnisorientierte Kommunikation) deutlich schlechter bewerten als in der Validierungsstudie. Die Ergebnisse belegen einen deutlichen Bedarf, Information und Kommunikation in der onkologischen Versorgung verständnis- und patientenorientierter zu gestalten, um gesundheitskompetentes Handeln und Partizipation von Patienten stärker als bisher zu ermöglichen.