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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Brauchen wir operative Mindestmengen für die Behandlung von Darmkrebspatienten? – Entwicklungen der deutschen Versorgungsstrukturen anhand der Krankenhausstatistik

Meeting Abstract

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  • Henning Adam - Deutsche Krebsgesellschaft e.V., Bereich Zertifizierung, Berlin
  • Simone Wesselmann - Deutsche Krebsgesellschaft e.V., Bereich Zertifizierung, Berlin

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf021

doi: 10.3205/18dkvf021, urn:nbn:de:0183-18dkvf0217

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Adam et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Mit jährlich etwa 60.000 Neuerkrankungen stellt das kolorektale Karzinom (KRK) eine der häufigsten Tumorerkrankungen in Deutschland dar. Um für die betroffenen Patienten eine qualitätsgesicherte Versorgung zu erzielen, entwickelte die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) 2006 ein System zur Zertifizierung von Darmkrebszentren. An die Zentren werden hohe Anforderungen gestellt. Neben Strukturen und Prozessen zur interdisziplinären Zusammenarbeit und dem Erfüllen von leitlinienbasierten Qualitätsanforderungen, müssen sie für die Zertifizierung auch operative Mindestfallzahlen nachweisen. Die gesundheitspolitische Diskussion über Mindestmengen als Instrument der Qualitätssicherung wird kontrovers geführt. Gut zehn Jahre nach Einführung der Zertifizierung stellt sich daher die Frage, wie sich die Versorgungsstrukturen für das KRK in Deutschland verändert haben und ob operative Mindestmengen als ein Element der Qualitätssicherung tatsächlich den gewünschten Effekt der Qualitätsverbesserung zeigen.

Fragestellung: Wie haben sich die stationären Versorgungszahlen für Patienten mit operativer Behandlung eines KRK von 2006 bis 2016 in Deutschland entwickelt und wie unterscheidet sich die Entwicklung für Krankenhäuser mit hohen und niedrigen operativen Fallzahlen? Unterscheiden sich Krankenhäuser mit hohen und niedrigen operativen Fallzahlen hinsichtlich der Krankenhaussterblichkeit?

Methode: Es erfolgte eine Auswertung von Versorgungsdaten aus der Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamtes über die Jahre 2006 bis 2016. Für die Analyse wurden Patientenfälle betrachtet, bei denen in Kombination mit der Diagnose einer bösartigen Neubildung des Kolons (ICD-10-Kode: C-18) oder des Rektums (ICD-10-Kode: C-20) eine operative Entfernung oder Teilentfernung des betroffenen Darmabschnitts durchgeführt wurde (Kolon: OPS-Kodes 5-455/-456/-458; Rektum: OPS-Kodes 5-484/-485). Krankenhäuser mit hohen operativen Fallzahlen (hFK) wurden dabei solchen mit niedrigen Fallzahlen (nFK) gegenübergestellt. Der Trennwert zwischen hFK und nFK entsprach den operativen Mindestmengen der zertifizierten Darmkrebszentren (Kolon: hFK ≥ 30 Operationen; Rektum: hFK ≥ 20 Operationen). Der Vergleich zwischen den hFK und nFK erfolgte bezogen auf die Anzahl der Krankenhäuser, ihre operativen Fallzahlen und die Krankenhaussterblichkeit. Für interferenzstatistische Gruppenvergleiche wurde der Chi-Quadrat-Test angewendet.

Ergebnisse: Zwischen 2006 und 2016 sanken die Operationsfälle mit Kolonkarzinomen von 34.259 auf 29.677 und mit Rektumkarzinomen von 16.161 auf 13.684. Gleichzeitig reduzierte sich die Anzahl der Krankenhäuser, die diese Operationen durchführten, und zwar von 1.132 auf 968 bei Tumoren des Kolons und von 1.058 auf 899 bei Tumoren des Rektums. Dabei war für die Kolonkarzinome ein stärkerer Rückgang an nFK (von 672 auf 538, Reduktion um 19,9%) als an hFK (von 460 auf 430, Reduktion um 6,5%) zu beobachten. Bei den Rektumkarzinomen reduzierte sich die Anzahl der nFK von 800 auf 628, während die Anzahl der hFK von 258 auf 271 stieg. Obwohl der Anteil der hFK an der Gesamtzahl der Krankenhäuser, die 2016 Kolon- beziehungsweise Rektumkarzinome operierten, gering war (Kolon: 430 von 968 [44,4%]; Rektum: 271 von 899 [30,1%]), führten sie die Mehrheit der Operationen durch (Kolon: 21.148 von 29.677 [71,3%]; Rektum: 8.428 von 13.684 [61,6%]). Sowohl für Kolon- als auch für Rektumkarzinome zeigte sich 2016 eine signifikant geringere Krankenhaussterblichkeit in hFK (Kolon: 1.175 von 21.148 [5,6%]; Rektum: 221 von 8.428 [2,6%]) als in nFK (Kolon: 581 von 8.529 [6,8%]; Rektum 230 von 5.256 [4,4%]).

Diskussion: Der Rückgang der Operationsfälle stimmt mit der in den epidemiologischen Krebsregistern dokumentierten rückläufigen Inzidenz der KRK überein. Dass die abnehmende Anzahl an operierenden Krankenhäusern vor allem bei den nFK sichtbar wird und die Anzahl der hFK für die Rektumkarzinome sogar steigt, spricht für einen Trend zur Versorgung von Patienten mit KRK in spezialisierten und zertifizierten Krankenhäusern. Obwohl die hFK 2016 die Mehrheit der Operationen bei KRK durchführten, machten sie aber weiterhin den geringeren Teil der operierenden Krankenhäuser aus. Dies ist besonders kritisch zu betrachten, da die Versorgung in einem hFK mit einer reduzierten Krankenhaussterblichkeit verbunden ist und somit relevante Vorteile für die behandelten Patienten zu bieten scheint.

Praktische Implikationen: Um eine weitere Zentralisierung in der Versorgung von Patienten mit KRK entsprechend den im Zertifizierungssystem der DKG entwickelten Qualitätsanforderungen - unter anderem den Mindestfallzahlen - zu erreichen, muss auf gesundheitspolitischer Ebene ein stärkerer Eingriff in die Planung der stationären Versorgungsstrukturen erwogen werden. Ein geeignetes Instrument sind die gesetzlichen Regelungen zu Mindestmengen gemäß § 136b SGB V.