Artikel
Einflussfaktoren auf die hohe Sectio-Rate bei behinderten und chronisch kranken Müttern
Suche in Medline nach
Autoren
Veröffentlicht: | 25. Oktober 2013 |
---|
Gliederung
Text
Hintergrund: Die Wahrnehmung des Rechts auf selbstbestimmte Mutterschaft behinderter/chronisch kranker Frauen und die Realisierung des Kinderwunsches in Altersgruppen mit höherem Risiko der Manifestation chronischer Erkrankungen stellt eine Herausforderung an die Geburtsmedizin dar. Im Rahmen einer prospektiven Studie wurden Einflussfaktoren auf Fertilität, Schwangerschaft und Geburt bei Frauen mit Behinderungen analysiert.
Methodik: Screeningbefragung in drei Geburtskliniken in Leipzig (N= 1.620), teilstrukturierte Interviews zu drei Messzeitpunkten (Wochenbett, 1. Halbjahr, 2. Halbjahr) mit 47 behinderten und 33 nichtbehinderten/gesunden Frauen, leitfadengestützte Experteninterviews mit vier Müttern aus der Stichprobe, die per Sectio entbunden wurden, und sechs Geburtsmedizinern/Hebammen.
Zwei Forschungsfragen werden im Beitrag diskutiert:
- 1.
- Wie verlaufen Geburt und Wochenbett bei behinderten Frauen?
- 2.
- Welche Ursachen lassen sich für die erhöhte Sectio-Rate bei behinderten Frauen erkennen?
Ergebnisse: Behinderte Mütter entbinden häufiger vor der 38. SSW. Häufiger als in der Vergleichsgruppe kommen geburtsmedizinische Maßnahmen zum Einsatz und werden geplante Sectiones durchgeführt. Behinderte Mütter bleiben länger auf der Wochenstation, vorrangig infolge der Sectio. Oft werden sie bereits von ihren niedergelassenen Gynäkologen ausschließlich auf eine Sectio orientiert. Geburtsvorbereitungskurse werden daher nur bedingt als geeignet oder hilfreich erlebt. Behinderte Frauen benötigen mehr Zeit, sich nach der Geburt zu erholen und erkrankten häufiger den ersten sechs Monaten post partum, auffällig oft an Infektionen. Auf mögliche Unterstützungsangebote werden sie nur selten hingewiesen, so dass spezifische Hilfen für behinderte Mütter nicht bekannt sind.
Rückblickend hätten sich die vier Mütter mit erfolgter Sectio eine vaginale Geburt gewünscht und beschreiben diverse Probleme in der Verarbeitung der Geburt.
Die Geburtsmediziner äußerten sich sehr differenziert zur Notwendigkeit geplanter Sectiones bei dieser Müttergruppe, gaben bei Bedarf eine enge konsiliarische Zusammenarbeit mit Fachärzten an und sprachen sowohl den Bedarf an evidenzbasierten Studien zum Thema und Weiterbildungen an.
Diskussion/Schlussfolgerung: Für die in der Studie inkludierten Behinderungen/chronischen Erkrankungen werden in der Literatur überwiegend keine höheren Risiken für Sectiones beschrieben. Hier wird eine Diskrepanz zwischen niedergelassenen und klinisch tätigen Gynäkologen sichtbar. Die Experten verwiesen darauf, dass die Orientierung der Mütter auf die Entbindung per Sectio durch die niedergelassenen Gynäkologen eine vaginale Geburt meist unmöglich macht. Aber auch Geburtsmediziner berichten über Unsicherheiten gegenüber dieser Müttergruppe, über ökonomische, strukturelle und juristische Faktoren, die die Entscheidung zum Geburtsmodus beeinflussen. Die gesundheitlichen Folgen dieser beschriebenen Situation haben die Mütter und ihre Kinder zu tragen.
Fazit: Gute Aufklärung der Mütter durch qualifizierte Geburtsmediziner ist ebenso notwendig wie weitere evidenzbasierte Studien zum Verlauf von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett behinderter Frauen, die Einbindung des Themas Behinderung und chronische Erkrankung in die Aus- und Weiterbildung von Gynäkologen und Hebammen. Eine Beratung über spezielle Hilfsangebote in der Geburtsvorbereitung oder bei Klinikentlassung und die Bereitstellung dieser Angebote nach der Geburt können die Belastungen behinderter Mütter und damit möglicher Weise auch die Erkrankungsrate senken.