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12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

23. - 25. Oktober 2013, Berlin

Risikoerfassung in der stationären Altenpflege – ein Vergleich der Ergebnisse einer Risikofaktoren-basierten professionellen Einschätzung mit den dokumentierten Resultaten herkömmlicher Verfahren

Meeting Abstract

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  • presenting/speaker Henning Cramer - Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld, Bielefeld, Germany
  • Melanie Messer - Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld, Bielefeld, Germany
  • Klaus Wingenfeld - Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld, Bielefeld, Germany

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 23.-25.10.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocPO4-1-09-210

doi: 10.3205/13dkvf267, urn:nbn:de:0183-13dkvf2678

Veröffentlicht: 25. Oktober 2013

© 2013 Cramer et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Trotz umfangreicher Bemühungen aller Beteiligten kommt es bei Heimbewohnern immer wieder zu potentiell vermeidbaren Schädigungen. In letzter Zeit werden zur Erfassung "klassischer" Risiken wie Dekubitus- oder Sturzgefährdung bspw. in den Nationalen Expertenstandards in der Pflege vermehrt auf Risikofaktoren basierende Einschätzungsformen propagiert, die kein konkretes Ergebnis vorgeben, sondern von der Pflegefachkraft interpretiert werden sollen. Im Projekt "Qualitätsverfahren für die stationäre pflegerische Versorgung" wurde ein solches Verfahren als Teil einer umfangreichen "Arbeitshilfe für das Qualitätsmanagement" (AQM) umgesetzt. In diesem Beitrag wird die im Rahmen der Erprobung der AQM erfolgte Gegenüberstellung der Ergebnisse dieser Risikoeinschätzung zu den Angaben in der Pflegedokumentation vorgestellt.

Methodik: Bezugspflegende schätzten verschiedene Gefährdungen (Dekubitus, Sturz, Mangelernährung, Flüssigkeitsmangel, Aspiration) bei den ihnen zugeordneten Pflegeheim-Bewohnern ein. Diese Einschätzung erfolgte auf Basis einer Auflistung von bei den Bewohnern vorhandenen Risikofaktoren, die mit einem umfassenden Assessment erhoben wurden, sowie der weiteren Kenntnis der Bezugspflegenden von deren gesundheitlichem Zustand und Situation.

Insgesamt lagen Einschätzungen zu 121 Bewohnern aus fünf Pflegeheimen vor; 26 Pflegefachkräfte führten die Einschätzungen durch. Die bewohnerbezogenen Ergebnisse - "Risiko liegt vor" oder "liegt nicht vor" - wurden mit den aktuellen Angaben in der Pflegedokumentation hinsichtlich dieser Risiken verglichen.

Ergebnisse: Die herkömmliche Erfassung der überprüften Risiken erfolgte zum überwiegenden Teil durch Instrumente oder Skalen wie bspw. die Bradenskala oder die PEMU, in den Bereichen Mangelernährung und Flüssigkeitsmangel aber auch über Protokolle und Bilanzierungen. Das Aspirationsrisiko wurde nur in einer Einrichtung strukturiert durch eine Skala erfasst.

Während überwiegend Übereinstimmungsraten zwischen den beiden Verfahren von 81,8 bis 93,4% vorliegen, stimmen für den Bereich "Sturzrisiko" lediglich 84 Einschätzungen (69,4%) mit der Dokumentation überein. Von 79 Bewohnern, die gemäß Pflegedokumentation ein Sturzrisiko aufweisen, werden 34 (43,0%) als nicht gefährdet eingeschätzt. Wenn durch eines der Verfahren eine Gefährdung signalisiert wird, stimmt dieses Urteil nur in durchschnittlich 53,9% der Fälle mit dem Ergebnis der jeweils anderen Verfahrensweise überein (je nach Risikobereich zwischen 33,3 und 75,0%).

Diskussion/Schlussfolgerung: Die vorgestellten Befunde geben keine Auskunft über die Validität der Ergebnisse des einen oder anderen Verfahrens. Hierzu wäre ein anderes Vorgehen nötig gewesen. Sie verdeutlichen aber, dass eine "freihändige" fachliche Einschätzung durch Pflegefachkräfte teilweise deutlich von den dokumentierten Ergebnissen herkömmlicher Verfahren der Risikoerfassung abweicht. Die Ergebnisse geben somit (weiteren) Anlass, den vielfach nur unzureichend oder mit unbefriedigendem Resultat psychometrisch überprüften Risikoskalen mit wissenschaftlicher Skepsis zu begegnen. Angesichts der mangelnden Aussagekraft hinsichtlich der Validität standardisierter Formen der Risikoeinschätzung besteht allerdings ein grundlegender Bedarf an Forschung in diesem Feld.