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12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

23. - 25. Oktober 2013, Berlin

Hypophysenchirurgie in Deutschland: Hypopituitarismus, Mortalität, Kosten und die Bedeutung von Behandlungsvolumina

Meeting Abstract

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  • presenting/speaker Roland Linder - WINEG, Hamburg, Germany
  • presenting/speaker Dietrich Klingmüller - Medizinische Poliklinik I, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Germany
  • Frank Verheyen - WINEG, Hamburg, Germany

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 23.-25.10.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocPO2-4-02-238

doi: 10.3205/13dkvf212, urn:nbn:de:0183-13dkvf2128

Veröffentlicht: 25. Oktober 2013

© 2013 Linder et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Bei komplexen chirurgischen Interventionen wie Thyreoidektomien oder Parathyreoidektomien kommt es bekanntlich zu deutlich weniger Komplikationen, wenn diese von erfahrenen Chirurgen durchgeführt werden. Auch für die Hypophysenchirurgie ist eine positive Korrelation beschrieben zwischen der postoperativen Morbidität wie Mortalität der Patienten und der Größe der Behandlungsvolumina der operierenden Krankenhäuser [1]. Darüber hinaus führen hypophysenchirurgische Eingriffe in größeren Zentren zu einem besseren Kurzzeit-Outcome mit kürzeren Verweildauern und tendenziell niedrigeren Kosten [1].

Die vorliegende Studie hat zum Ziel, erstmals für Deutschland die Inzidenz postoperativ neu dokumentierter Hypophysenunterfunktionen (Hypopituitarismus) sowie die postoperative Mortalität zu bestimmen. Darüber hinaus soll die vorgenannte international berichtete Korrelation der Komplikationen zu den Behandlungsvolumina am Beispiel des Hypopituitarismus für die Situation in Deutschland untersucht werden.

Methodik: Analysiert wurden GKV-Routinedaten der Techniker Krankenkasse aus den Jahren 2006-2010, insgesamt mehr als 30 Millionen Personenjahre. Aufgreifkriterien waren Aufenthalte in Krankenhaus oder Poliklinik, in deren Verlauf mindestens eine der Entlassungsdiagnosen ICD-10-GM D35.2 (gutartige Neubildung der Hypophyse), E22.0 (Akromegalie und hypophysärer Hochwuchs), E22.1 (Hyper-prolaktinämie), E24.0 (Morbus Cushing) und E24.1 (Nelson-Tumor) dokumentiert wurde sowie mindestens eine der folgenden Operationen: 5-075 (Exzision und Resektion von erkranktem Gewebe der Hypophyse), 5-010.0 (Kraniotomie) und 5-011.2 (transshenoidaler Zugang). Ausschlusskriterium war eine vorausgegangene hormonelle Substitution. Die Operationalisierung eines Hypopituitarismus erfolgte über die Dokumentation einer stationären oder ambulanten Diagnose E23 (Unterfunktion und andere Störungen der Hypophyse) und/oder die Substitutionstherapie (ATC G03BA03, Testosteron; H01AC01, Somatotropin; H01BA02, Desmopressin, H02AA02, Fludrocortison; H02AB06, Predniso-lon; H02AB09, Hydrocortison und H03AA01, H03AA03, H03AA53, jeweils L-Thyroxin), gemessen im übernächsten Quartal nach dem Quartal mit der Operation, um in den ersten drei Monaten post-OP durch Druckentlastung bedingte Verbesserungen der Hypophysenfunktion zu berücksichtigen.

Ergebnisse: Eine Hypophyseninsuffizienz als OP-Folge wurde in 265 von 540 Fällen (49,1%) beobachtet. Keiner der Patienten starb innerhalb von zwei Quartalen postoperativ. In den beiden Krankenhäusern mit den meisten Hypophysenoperationen (Mittelwert: 230 Operationen in 2010 [2]) kam es in 33,3% zu iatrogenem Hypopituitarismus. In den übrigen 101 Krankenhäusern, die im Beobachtungszeitraum Hypo-physenoperationen bei TK-Versicherten durchführten (Mittelwert: 26 Operationen in 2010) kam es in 54,0% postoperativ zu einer Hypophyseninsuffizienz. In Bezug auf das operative Vorgehen treten Hypophyseninsuffizienzen häufiger nach Kraniotomie auf (69,5%) als nach einem transsphenoidalen Zugang (48,7%).

Die jährlichen Kosten einer Substitutionstherapie betragen 905 € pro Patient. Die Lebenszeitkosten für alle Patienten mit pro Jahr neu aufgetretenem postoperativen Hypopituitarismus summieren sich für Deutschland auf 18,1 Mio. €, sofern man von einem Prozentsatz von 49,1% ausgeht. Operierten alle Krankenhäuser so komplikationsarm wie die beiden größten Zentren (Prozentsatz von 33,3%), ließen sich bundesweit pro Jahr 179 postoperative Hypophyseninsuffizienzen vermeiden und damit jährlich mehr als 5,8 Mio. € einsparen.

Diskussion/Schlussfolgerung: Die Routinedatenanalytik bietet exzellente Möglichkeiten für epidemiologische und gesundheitsökonomische Untersuchungen. Was Abrechnungsdaten nicht zeigen können, ist ein Blick auf die Lebensqualität der von Hypophyseninsuffizienz Betroffenen. Dagegen bestätigen die Ergebnisse sehr eindrucksvoll die internationalen Erfahrungen [1], [3] hinsichtlich einer besseren Operationsqualität in Kliniken mit großen Behandlungsvolumina, so dass als ein Aspekt bei der Qualitätssicherung eine Klinik- und/oder Operateur-spezifische Mindestmengenregelung in Betracht kommt. Da sich Mindestmengen jedoch in der Vergangenheit aus unterschiedlichen Gründen als problematisch erwiesen haben, besteht die eigentliche Herausforderung darin, auch bei nur geringen Fallzahlen Qualitätssi-cherung zu betreiben.


Literatur

1.
Barker FG, Klibanksi A, Swearingen B. Transsphenoidal Surgery for Pituitary Tumors in the United States, 1996-2000: Mortality, Morbidity, and the Effects of Hospital and Surgeon Volume. JCEM. 2003;88:4709-19.
2.
G-BA. Qualitätsbericht der Krankenhäuser 2010. Verfügbar unter: http://www.g-ba.de/downloads/17-98-2740/2011-08-18_Auftragsformular_2006-2010.pdf Externer Link
3.
Ciric I, Ragin A, Baumgartner C, Pierce D. Complications of transsphenoidal surgery: results of a national survey, review of the literature, and personal experience. Neurosurgery. 1997;40:225-36.