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12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

23. - 25. Oktober 2013, Berlin

Die Inanspruchnahme des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes – ist eine nichtbräuchliche Inanspruchnahme quantifizierbar?

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Michael Erhart - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Berlin, Germany
  • Joachim Heuer - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Berlin, Germany
  • Ricarda Jupke - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Berlin, Germany
  • Dominik von Stillfried - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Berlin, Germany

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 23.-25.10.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocPO2-2-03-242

doi: 10.3205/13dkvf195, urn:nbn:de:0183-13dkvf1959

Veröffentlicht: 25. Oktober 2013

© 2013 Erhart et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung gehört zu den Aufgaben der kassenärztlichen Vereinigungen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Organisation und die Gewährleistung eines Bereitschaftsdienstes durch die an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden niedergelassenen Vertragsärzte.

In welchem Umfang der vertragsärztliche Bereitschaftsdienst in den Abend- oder Nachtstunden, an Wochenenden oder Feiertagen von Versicherten auch „missbräuchlich“ in Anspruch genommen wird, ist in jüngerer Zeit verstärkt thematisiert worden. Bisher fehlen jedoch systematische Analysen zu dieser Fragestellung.

In dieser Arbeit soll daher untersucht werden, aufgrund welcher Erkrankungen die kassenärztliche Notfallversorgung in Anspruch genommen wird und ob sich das Diagnosenspektrum von dem „sonstiger“ Inanspruchnahme unterscheidet. In wie weit sich die Patienten mit Notfallversorgung von der Grundgesamtheit aller vertragsärztlich versorgten Patienten in ihrer Risikostruktur (Alter, Geschlecht und Morbidität) unterscheiden, wird ebenfall analysiert.

Methodik: Analysiert werden die bundesweiten vertragsärztlichen Abrechnungsdaten des Jahres 2010 (N = 70 Millionen Patientenentitäten im Alter von 1-109 Jahren). Das vertragsärztlich kodierte Diagnosespektrum von Notfällen wird mit dem der sonstigen Behandlungsfälle verglichen (Schritt 1). Auf Patientenebene wird die Risikostruktur von Patienten mit und ohne Notfall-Inanspruchnahme analysiert (Schritt 2). Verglichen werden Alters- Geschlechts und Krankheitsprofile sowie die generelle Inanspruchnahmeintensität.

Ergebnisse: Schritt 1: Etwa 3,9% aller Behandlungsfälle mit gesicherter Diagnosestellung entfallen auf einen Notfall. Die häufigsten bei Notfällen dokumentierten Diagnosen (ICD-10 3-stellig) sind Rückenschmerzen (5,4%), Akute Infektionen der oberen Atemwege (4,5%), Verletzungen an nicht näher bezeichneten Körperregionen (3,9%), Hypertonie (3,8%) sowie Bauch und Beckenschmerzen (3,4%). Im Vergleich zu den sonstigen Behandlungsfällen werden jedoch folgende Diagnosen um ein mehrfaches häufiger kodiert: Unfälle durch belebte Objekte (Menschen Tiere) 254-fach häufiger, Vergiftungen durch Kohlenmonoxid (159-fach), Unfall durch Strom (122-fach), oder durch unbelebte Objekte (81-fach). Allerdings betreffen diese Diagnosen jeweils nur 0,1% aller Notfälle. Von den Diagnosen die wenigstens 2% aller Notfälle betreffen treten offene Kopfwunden (34-fach), Verletzungen von Hand und Handgelenk (20-fach) sowie Verstauchungen und Zerrungen (8-fach) häufiger im Vergleich zu den sonstigen Fällen auf.

Patienten mit Bereitschaftsdienstinanspruchnahme sind im Durchschnitt 4-5 Jahre jünger, aber deutlich kränker. So ist der aufgrund der Morbiditätstruktur erwarteter Leistungsbedarf im Mittel um das 1,3-fache erhöht. Fast durchgängig finden sich höhere Krankheitsprävalenzen, insbesondere aber bei Herzstillstand/Ateminsuffizienz (2-fach häufiger), Krankheiten und Zustände nach Transplantationen und besonderen medizinischen Maßnahmen (2-fach häufiger), Abhängigkeit von Dialyse (2,4-fach häufiger) aber auch Störungen des Bewusstseins und neuropsychologische Symptome (1,7-fach häufiger).

Diskussion/Schlussfolgerung: Insgesamt weisen die Ergebnisse auf spezifische Besonderheiten der Patienten mit Bereitschaftsdienst-Inanspruchnahme hin, die einen Notfall gerechtfertigt erscheinen lassen. Zu welchem Anteil Bereitschaftsdienste mutmaßlich „ungerechtfertigt“ in Anspruch genommen werden, wird in weiterführenden Analysen geprüft. Dabei werden die Patientinnen und Patienten - basierend auf theoretischen Überlegungen - nach ihrem Risikoprofil und dem Behandlungsanlass danach klassifiziert, ob eine Notfallindikation vorliegt oder nicht (Schritt 2). Die entsprechenden Befunde werden präsentiert und diskutiert.