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12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

23. - 25. Oktober 2013, Berlin

Anspruch und Versorgungswirklichkeit: Erfolgen Stentimplantationen bei Patienten mit koronaren Herzerkrankungen leitliniengerecht?

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Roland Linder - WINEG, Hamburg, Germany
  • presenting/speaker Jan Zeidler - Center for Health Economics Research Hannover (CHERH), Hannover, Germany
  • Tobias Schilling - Klinik für HTTG-Chirurgie, MHH, Hannover, Germany
  • Frank Verheyen - WINEG, Hamburg, Germany
  • J.-Matthias Graf von der Schulenburg - Center for Health Economics Research Hannover (CHERH), Hannover, Germany
  • Axel Haverich - Klinik für HTTG-Chirurgie, MHH, Hannover, Germany

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 23.-25.10.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocT4-18-245

doi: 10.3205/13dkvf104, urn:nbn:de:0183-13dkvf1047

Veröffentlicht: 25. Oktober 2013

© 2013 Linder et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: In der 2006 von der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Arbeitsgemeinschaften der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften konsentierten Nationalen Versorgungsleitlinie zur chronischen koronaren Herzkrankheit (KHK) wird bei Vorliegen einer Drei-Gefäßerkrankung oder Hauptstammstenose ein aortokoronarer Bypass empfohlen [1]. Auch die SYNTAX (Synergy between PCI with Taxus and Cardiac Surgery)-Studie zeigt hinsichtlich der Myokardinfarktrate im Verlauf und der Notwendigkeit zur erneuten koronaren Revaskularisierung als auch der Gesamtrate der schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen (MACCE) bei der genannten Patientengruppe eine signifikante Überlegenheit der chirurgischen Bypassoperation im Vergleich zur Katheterintervention [2]. Die vorliegende Arbeit geht daher anhand von GKV-Routinedaten der Frage nach, inwieweit Patienten mit KHK leitliniengerecht und damit medizinisch optimal versorgt werden.

Methodik: Analysiert wurden die GKV-Routinedaten der Techniker Krankenkasse mit derzeit mehr als 8,3 Millionen Versicherten und damit eine ca. 11%-Stichprobe der GKV-Versicherten. Separat für die Jahre 2008 - 2011 wurden Versicherte mit der Diagnose Ein-Gefäßerkrankung (ICD-10 GM = I25.11), Zwei-Gefäßerkrankung (I25.12), Drei-Gefäßerkrankung (I25.13) oder Stenose des linken Hauptstammes (I25.14) im jeweiligen Jahr untersucht. Bei den Diagnosen handelte es sich um Entlassungsdiagnosen im stationären Bereich (§301 SGB V), Diagnosen aus dem Bereich des ambulanten Operierens (§115b SGB V) und Diagnosen aus der vertragsärztlichen Versorgung (§295 SGB V). Ausgehend von den vorgenannten Patientenkollektiven wurden sektorübergreifend Leistungsziffern (OPS und EBM) identifiziert, welche auf eine Stent-Implantation schließen lassen und der jeweilige Anteil der Patienten mit Stentimplantation berechnet. Um auszuschließen, dass aufgrund einer möglichen Inoperabilität des Patienten von der leitliniengerecht angezeigten Bypassoperation abgewichen wurde, erfolgte eine Auswertung stratifiziert nach Altersklassen und unter Berücksichtigung der Komorbiditätslast (Elixhauser-Komorbiditätsindex nach [3]). Das Patientenklientel der TK wurde in Bezug auf die bundesdeutsche Bevölkerung alters- und geschlechtsadjustiert.

Ergebnisse: 66.656 der 224.455 der Patienten, bei denen zumindest in einem Jahr des Beobachtungszeitraums eine Ein- bis Dreigefäßerkrankung bzw. Hauptstammstenose diagnostiziert wurde (29,7%), wurden innerhalb des 4-Jahreszeitraums mindestens einmal mit einem Koronarstent versorgt. Dabei wurden Patienten mit Drei-Gefäßerkrankung oder Hauptstammstenose fast genauso häufig Stents implantiert wie Patienten mit Ein- oder Zwei-Gefäßerkrankung. Eine positive Korrelation von Katheterinterventionen bei Patienten mit ICD I25.13 oder I25.14 mit zunehmendem Lebensalter und Elixhauser Score ist erkennbar.

Diskussion/Schlussfolgerung: Leitlinien spielen eine entscheidende Rolle bei der medizinischen Versorgung. Von der Nationalen Versorgungsleitlinie KHK wird in der Versorgungswirklichkeit allerdings häufig abgewichen. Auch das zunehmende Lebensalter und ein höherer Elixhauser Score können die Abweichung in der Behandlung der KHK von der Leitlinie nicht in vollem Umfang erklären. Es bleibt zu überprüfen, ob ökonomische Fehlanreize eine Rolle spielen [4], [5].Die Ergebnisse dieser Studie legen einmal mehr nahe, dass die Indikation für das jeweilige Verfahren für jeden einzelnen Patienten in einer partnerschaftlichen, interdisziplinären Diskussion zwischen Kardiologen und Herzchirurgen gestellt werden sollte.


Literatur

1.
Bundesärztekammer; Kassenärztliche Bundesvereinigung; Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Nationale VersorgungsLeitlinie "Chronische KHK". Langfassung Version 1.13 basierend auf der Fassung von Juni 2006. p. 50.
2.
Mohr FW, Morice MC, Kappetein AP, Feldman TE, Ståhle E, Colombo A, Mack MJ, Holmes DR Jr, Morel MA, Van Dyck N, Houle VM, Dawkins KD, Serruys PW. Coronary artery bypass graft surgery versus percutaneous coronary intervention in patients with three-vessel disease and left main coronary disease: 5-year follow-up of the randomised, clinical SYNTAX trial. Lancet. 2013 Feb 23;381(9867):629-638.
3.
Van Walraven C, Austin PC, Jennings A, Quan H, Forster AJ. "A Modification of the Elixhauser Comorbidity Measures into a Point System for Hospital Death Using Administrative Data". Medical Care. 2009;47(6):626-633.
4.
Flintrop J. Und führe uns nicht in Versuchung. 122. Hauptversammlung des Marburger Bundes. Dtsch Arztebl. 2012;109(45):C1780-C1781.
5.
Maio G. Ärztliche Hilfe als Geschäftsmodell? Eine Kritik der ökonomischen Überformung der Medizin. Dtsch Arztebl. 2012;109(16):A804-A807.