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12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

23. - 25. Oktober 2013, Berlin

Teilhabeforschung in Deutschland – eine Positionsbeschreibung in Abgrenzung zur Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung

Meeting Abstract

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  • presenting/speaker Erik Farin-Glattacker - Universitätsklinikum Freiburg, Abt. QM und Sozialmedizin, Freiburg, Germany

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 23.-25.10.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocT1-24-151

doi: 10.3205/13dkvf070, urn:nbn:de:0183-13dkvf0704

Veröffentlicht: 25. Oktober 2013

© 2013 Farin-Glattacker.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Teilhabeforschung stellt ein aktuell von verschiedenen Verbänden, Institutionen und Forschergruppen in Deutschland thematisiertes Forschungsfeld dar, bezüglich dessen Abgrenzung gegenüber bereits stärker verankerten, älteren Konzepten wie Integrationsforschung, Inklusionsforschung und Disability Studies bisher kein eindeutiger Konsens besteht (vgl. z.B. [1]). Auch die Beziehung zur Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung ist bisher nur selten erörtert worden. Ziel des Beitrags ist es, eine Positionsbeschreibung der Teilhabeforschung in Deutschland vorzunehmen und dabei insbesondere die Beziehungen der Teilhabeforschung zur Versorgungs- und Rehabilitationsforschung herauszuarbeiten.

Ergebnisse: Teilhabeforschung wird im Diskussionspapier des Ausschusses Reha-Forschung der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation und der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften [2] als ein Forschungsfeld verstanden, das durch verschiedene Merkmale charakterisierbar ist, und zwar insbesondere durch einen Fokus auf Teilhabe und Selbstbestimmung, durch einen kontextorientierten Ansatz, der person- und umweltbezogene Faktoren integriert betrachtet, durch die Beteiligung der betroffenen Menschen an der Forschung sowie durch eine interdisziplinäre Herangehensweise. Teilhabe ist dann gegeben, "wenn eine Person sozial eingebunden ist, d. h. wenn individuelle und umweltbezogene Faktoren es ermöglichen, dass die Person die sozialen Rollen, die ihr wichtig und ihrer Lebenssituation angemessen sind (z. B. in der Familie, im Beruf, in der sozialen, religiösen und politischen Gemeinschaft), auch einnehmen und zu ihrer Zufriedenheit ausfüllen kann." ([2], S. S29).

Krankheitsbedingte Einschränkungen eines Individuums - auf die die Rehabilitationsforschung oft fokussiert - stellen neben anderen Faktoren, z.B. auf der Ebene der Kontextfaktoren, nur eine der möglichen Ursachen für Teilhabebeeinträchtigungen dar. Teilhabeforschung ist dadurch - ähnlich wie die Versorgungsforschung - interdisziplinär ausgerichtet; je nach Fragestellung sind an ihr neben der Rehabilitationswissenschaft auch die Fächer Medizin, Ökonomie, Pädagogik, Pflegewissenschaft, Psychologie, Recht, Sozialarbeit, Soziologie, Sport- und Therapiewissenschaft und andere beteiligt.

Versorgungsforschung wurde definiert als "ein multidisziplinärer Ansatz zur Erforschung der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis der Gesundheitsversorgung hinsichtlich ihrer Wirkung auf Qualität und Effizienz in individueller und sozioökonomischer Perspektive." [3]. Teilhabeforschung teilt mit der Versorgungsforschung somit neben der Betonung von Interdisziplinarität auch die systemische Perspektive, die davon ausgeht, dass ein umfassendes Studiendesign die individuelle, soziale und ökonomische Perspektive integriert betrachten sollte. Während Versorgungsforschung jedoch die Praxis der Gesundheitsversorgung in den Mittelpunkt stellt, beschäftigt sich Teilhabeforschung primär mit der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, unabhängig davon, ob diese Phänomene im Kontext von Krankheit und Gesundheitsversorgung oder außerhalb dieser Bereiche betrachtet werden.

Diskussion/Schlussfolgerung: Im Beitrag wird die These vertreten, dass Versorgungsforschung einerseits (und da insbesondere die Versorgungsforschung im Bereich von Rehabilitation und chronischen Erkrankungen) und Teilhabeforschung andererseits eine bedeutsame Überschneidung aufweisen und dass beide voneinander lernen könnten. Zum Beispiel könnte sich die Teilhabeforschung an den Professionalisierungsbemühungen der Versorgungsforschung (u.a. im Kontext des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung) orientieren. Anderereits werden von der Teilhabeforschung Prinzipien und Ansätze vertreten (z.B. die Beteiligung von Betroffenen an der Forschung im Sinne der "Partizipativen Forschung" [4] oder die Anwendung sozialökologischer Modelle), von deren Rezeption auch die Versorgungsforschung profitieren könnte.


Literatur

1.
Farin, E. Konzeptionelle und methodische Herausforderungen der Teilhabeforschung. Rehabilitation. 2012;51:S3-S11.
2.
Arbeitsgruppe Teilhabeforschung. Diskussionspapier Teilhabeforschung. Rehabilitation. 2012;51:S28-S33.
3.
Schrappe M, Glaeske G, Gottwik M, Kilian R, Papadimitriou K, Scheidt-Nave C, et al. Memorandum II: Konzeptionelle, methodische und strukturelle Voraussetzungen der Versorgungsforschung. Deutsche Medizinische Wochenschrift. 2005;130:2918-22.
4.
Israel B A, Coombe CM, Cheezum RR, Schulz AJ, McGranaghan RJ, Lichtenstein R, et al. Community-based participatory research: A capacity-building approach for policy advocacy aimed at eliminating health disparities. American Journal of Public Health. 2010;100:2094-102.