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12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

23. - 25. Oktober 2013, Berlin

Die Sicht der Klinischen Ökonomik: Neuer Fokus der Bedarfs- und Nutzendiskussion?

Meeting Abstract

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  • presenting/speaker Franz Porzsolt - Versorgungsforschung, Chirurgie I, Universität Ulm, Ulm, Deutschland

12. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung. Berlin, 23.-25.10.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocT3-13-487

doi: 10.3205/13dkvf030, urn:nbn:de:0183-13dkvf0304

Veröffentlicht: 25. Oktober 2013

© 2013 Porzsolt.
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Gliederung

Text

Aus Sicht der Klinischen Ökonomik wird postuliert, dass sich die Diskussionen zum Bedarf und Nutzen im Gesundheitssystem in der Regel auf erbrachte Gesundheitsleistungen beziehen. Es wird vorgeschlagen, diesen Fokus zu ändern. Der Vorschlag und die Änderungen werden mit Beispielen unterstützt.

Weder bei der Diskussion des Bedarfs an Gesundheitsleistungen noch deren Nutzen lassen sich die Kriterien der Objektivität (O), Reliabilität (R), und Validität (V) anwenden, weil sowohl der Bedarf wie auch der Nutzen subjektiv geprägt, der jeweiligen Situation angepasst und bezüglich des Erfüllungsgrades unzureichend analysiert sind. Der Bedarf und Nutzen einer definierten Leistung sieht aus der Sicht des Patienten häufig anders aus als aus der Sicht des Arztes, des Krankenhausmanagers, der Krankenkasse oder der Politik (O). Bei einem akuten Herzinfarkt wird der Bedarf und der Nutzen eines Stents anders bewertet als im symptomfreien Intervall (R) und der Bedarf und der Nutzen von Krebsfrüherkennungsmaßnahmen (Mammographie, Darmspiegelung, PSA-Screening) wir absolut kontrovers diskutiert.

Um die Funktionsfähigkeit (und Finanzierbarkeit) der Krankenversorgung aufrecht zu erhalten, kann der Fokus geändert werden. Statt den Bedarf und den Nutzen von Gesundheitsleistungen zu diskutieren, kann der Bedarf und Nutzen deren Outcomes diskutiert werden, weil die Qualität der Gesundheitsversorgung nicht anhand der erbrachten Leistungen sondern anhand der erzielten Ergebnisse aus Sicht des Patienten und der Gesellschaft bewertet werden sollte. Die Qualität lässt sich durch das Verhältnis zwischen erwarteten und beobachteten Outcomes beschreiben und bewerten.

Diese neue Perspektive kann nur eingenommen werden, wenn die Outcomes unserer Gesundheitsleistungen als interpretierbare Datensätze systematisch erfasst werden. Die Erfassung hat unter Alltagsbedingungen stattzufinden und erfordert die Anwendung von kontrollierten, pragmatischen Studiendesigns. Im Versorgungsalltag sind bei jedem versorgten Patienten die Indikation, die Art der spezifischen Versorgung, die Begründung für die spezifische Versorgung (z.B. durch Beschreibung des Ausgangsrisikos), das angestrebte Ziel (einschließlich Benennung der Dimension, in welchen die Zielerreichung gemessen werden soll) und letztlich die in Kauf zu nehmenden Kosten (z.B. Nebenwirkungen, Hospitalisierung und monetäre Belastungen) zu dokumentieren. Wenn diese Daten, die zur Leistungsvergütung an verschiedenen Stellen bereits erhoben wurden, in geeigneter Form zusammengeführt werden, lässt sich für jede Art eines Outcomes eine Incremental Cost Effectiveness Ratio (ICER) berechnen.

Abschließend wird dargestellt dass in der Krankenversorgung (KV) und im Versorgungsmanagement (VM) die gleiche Maßzahl (ICER) für Entscheidungen berechnet und verwendet wird, allerdings mit zwei bedeutenden Unterschieden: In der KV wägt der Arzt mit dem Patienten die medizinischen Vor- und Nachteile ab, während im VM Leistungserbringer und -erstatter Leistungen und monetäre Kosten unter budgetären Aspekten abwägen. Die Mediziner berechnen die ICER als Produkt aus NNT (number needed to treat) und der Kostendifferenz (= Kosten für einen zusätzlichen Behandlungserfolg!), während die Ökonomen zum selben Ergebnis kommen, indem sie die Differenz der Kosten durch die Differenz der Effekte dividieren.

Die vorgeschlagene Änderung des Fokus ermöglicht die unterschiedlichen Perspektiven von Medizinern und Ökonomen auf einen gemeinsamen Punkt zusammenzuführen.