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Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU 2016)

25.10. - 28.10.2016, Berlin

40 Jahre Gurtpflicht in Deutschland – längst kalter Kaffee oder noch Handlungsbedarf?

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Christian W. Müller - Medizinische Hochschule Hannover, Unfallchirurgische Klinik, Hannover, Germany
  • Dietmar Otte - Medizinische Hochschule Hannover, Unfallchirurgische Klinik, Verkehrsunfallforschung, Hannover, Germany
  • Sebastian Decker - Medizinische Hochschule Hannover, Unfallchirurgische Klinik, Hannover, Germany
  • Heiko Johannsen - Medizinische Hochschule Hannover, Unfallchirurgische Klinik, Verkehrsunfallforschung, Hannover, Germany
  • Christian Krettek - Medizinische Hochschule Hannover, Unfallchirurgische Klinik, Hannover, Germany
  • Stephan Brand - Medizinische Hochschule Hannover, Unfallchirurgische Klinik, Hannover, Germany

Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU 2016). Berlin, 25.-28.10.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. DocWI29-1192

doi: 10.3205/16dkou169, urn:nbn:de:0183-16dkou1690

Veröffentlicht: 10. Oktober 2016

© 2016 Müller et al.
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Gliederung

Text

Fragestellung: Zum 1.1.1976 wurde in Deutschland die allgemeine Gurtpflicht in PKW eingeführt. In dieser Studie untersuchen wir, ob in den Jahren ab 1999 im realen Unfallgeschehen noch ein relevanter Anteil an PKW-Insassen nicht angeschnallt ist. Als Basis für mögliche weitere Präventionsmaßnahmen soll weiterhin untersucht werden, ob demographische, unfalltechnische und medizinische Unterschiede zwischen angeschnallten und nicht angeschnallten verunfallten PKW-Insassen bestehen.

Methodik: Zwei Unfallforschungseinheiten dokumentierten prospektiv gemäß einer repräsentativen Stichprobe rund 2000 Unfälle pro Jahr hinsichtlich unfalltechnischer und medizinischer Parameter. Aus dieser Datenbank wurden von 1999 bis 2014 alle vollständig dokumentierten Unfälle mit PKW-Insassen extrahiert und hinsichtlich Gurtnutzung, demographischer Parameter, Unfallkonstellation, Verletzungsschwere und Begleitverletzungen nach Abbreviated Injury Scale (AIS), maximaler AIS (MAIS) und Injury Severity Score (ISS) retrospektiv analysiert. T-Teste für unverbundende Stichproben und ANOVA wurden mit SPSS Version 23 angewendet.

Ergebnisse und Schlussfolgerung: Von 45.229 verunfallten PKW-Insassen war bei 43.841 die Verletzungsschwere dokumentiert. Von diesen konnte bei 38.320 der Anschnallstatus ermittelt werden. 36787 (96,0%) waren angeschnallt (+G), 1533 (4,0%) nicht angeschnallt (-G). Nicht angeschnallte Verunfallte waren jünger als angeschnallte (34,8 vs. 38,8 Jahre), aber seltener minderjährig (7% vs. 10%), häufiger männlich (69% vs. 56%) und saßen häufiger auf der Rückbank (14% vs. 10%, p jeweils < 0,001). Die relative Geschwindigkeitsänderung delta-v des PKW war höher (23,0 vs. 14,7 km/h). Relevante Verletzungen (MAIS >1) traten bei 17,8% der -G und 4,9% der +G auf (p<0,001), tödliche Verletzungen (MAIS 6) bei 1,3% vs. 0,2% (p<0,001). Für alle Körperregionen war die durchschnittliche Verletzungsschwere höher bei den -G vs. +G (p<0,001). Zwischen 1999 und 2014 war der Anteil der -G insgesamt leicht rückläufig (r=-0,025, p<0,001).

Die Ergebnisse zeigen, dass auch aktuell noch eine relevante Anzahl an PKW-Insassen nicht angeschnallt verunfallt. Ihr Risiko für schwere Verletzungen ist immens erhöht. Anhand dieser Daten ergeben sich Risikoprofile für besonders gefährdete Verkehrsteilnehmer ("junge Männer", erwachsene Mitfahrer auf der Rückbank), die gezielt durch Aufklärungsmaßnahmen angesprochen werden könnten.