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Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU 2014)

28.10. - 31.10.2014, Berlin

Merowinger-zeitliches Grab gibt Hinweise auf die Leistungsfähigkeit orthopädie-technischer Behandlungsmöglichkeiten im frühen Mittelalter

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Heiko Trentzsch - INM - Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement, Klinikum der Universität München, München, Germany
  • Christian Oberpriller - Streifeneder Klinikwerkstätte München Großhadern GmbH, München, Germany
  • Peter Oberpriller - Schreinermeister i.R., Neubiberg, Germany
  • Beate Herbold - Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Referat BV, Archäologische Restaurierung, München, Germany
  • Anja Pütz - Geschichtlich-heimatkundliche Sammlung Aschheim, Aschheim, Germany

Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU 2014). Berlin, 28.-31.10.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocPO25-1223

doi: 10.3205/14dkou790, urn:nbn:de:0183-14dkou7901

Veröffentlicht: 13. Oktober 2014

© 2014 Trentzsch et al.
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Gliederung

Text

Fragestellung: Bei Markt Einersheim (Unterfranken) fanden Archäologen im Grab eines Reiters aus dem 6.-8. Jhd. im linken Fußbereich einen eisernen Gegenstand mit anhaftender Organik. Die noch erhaltenen Tibiadiaphysen zeigten am mutmaßlich gesunden, rechten Bein kräftigere Muskelansätze als links. Wir interpretieren den Fund als eine Art Sprunggelenksorthese. Ziel der Untersuchung war es, die Leistungsfähigkeit der Schiene in einer Rekonstruktion zu erproben um Hinweise auf die zugrundeliegende Gesundheitsstörung zu erlangen.

Methodik: Nachbau durch einen Orthopädietechnik- (C.O.) und einen Schreinermeister (P.O). Die eiserne Bandkonstruktion wurde nachgeschmiedet und vernietet und daran eine aus Birkenholz geschnitzte Fersenkappe und zwei anatomisch zugerichtete, hölzerne Schalen (ebenfalls Birke, die den distalen Unterschenkel von zwei Seiten als Schaft umfassen, verankert. Die Orthese wird über einem ledernen Bundschuh getragen und ihr Schaft mit einem Leberband angewickelt. An einem gesunden, männlichen Probanden wurde der, durch die Schiene eingeschränkter Bewegungsumfang (ROM) im Vergleich mit modernen Sprunggelenksorthesen (Medi M.Step® im Schuh getragen und Bauerfeind Malleoloc® nativ) nach Neutral-Null-Methode vermessen.

Ergebnisse und Schlussfolgerung: Der Nachbau half, Unklarheiten der archäologischen Rekonstruktion zu beseitigen. Der Proband konnte in der Schiene bei bequemem Sitz und gutem Halt problemlos frei umhergehen. Die Schiene führte zu einer messbaren Verminderung des ROM im OSG (Dorsalextension/ Plantarflexion [D/P]= 5-0-18° vs. 10-0-38° nativ). Eine Inversion/Eversion ist aufgrund der eng anliegenden Fersenkappe nicht mehr möglich. Von außen betrachtet ist der Calcaneus in Neutralstellung fixiert (0-0-0° vs. 28-0-11° nativ). Eine direkte Messung ist nicht möglich. Der Proband gab an, dass er nur Minimalbewegungen verspüre. Supination/ Pronation [S/P] ohne Einschränkung (27-0-20° vs. 26-0-18° nativ). Im Vergleich mit modernen Orthesen zeigt die Rekonstruktion eine stärker Einschränkung des ROM im OSG (D/P: M.Step 14-0-16°; Malleoloc 12-0-25°). Die S/P wird von modernen Orthesen besser eingeschränkt (M.Step 18-0-10°; Malleoloc 20-0-16°). Die Immobilisierung im USG war in der historischen Orthese am besten (M.Step 6-0-8°, Malleoloc 11-0-5°), die hier wie ein Arthodesestiefel wirkt.

Mit den technischen Möglichkeiten des frühen Mittelalters können Orthesen gebaut werden, deren Leistungsfähig der von modernen Modele vergleichbar ist. Mit der Rekonstruktion kann eine sehr gute Immobilisierung des USG oder die Stabilisierung einer OSG-Instabilität erreicht werden. Mögliche Gründe, die den Träger zur Anwendung gezwungen haben, könnten chronischer Instabilität nach Bandruptur im OSG, eine USG-Arthrose oder ein neuromuskläres Defizit z.B. nach Poliomyelitis oder Peronäusläsion gewesen sein. Sollten wir mit dieser Einschätzung Recht haben, so hätten wir mit dieser ältesten bislang bekannten Sprunggelenksschiene ein frühmittelalterliches Zeugnis orthopädischer Handwerkskunst vor uns.