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Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU 2013)

22.10. - 25.10.2013, Berlin

Evaluation der Schock-Klassifikation nach ATLS und PHTLS: entspricht sie der (prä-)klinischen Realität?

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Manuel Mutschler - Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Kliniken der Stadt Köln, Universität Witten/Herdecke, Köln, Germany
  • Ulrike Nienaber - Akademie der Unfallchirurgie (AUC), Berlin, Germany
  • Thomas Paffrath - Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Kliniken der Stadt Köln, Universität Witten/Herdecke, Köln, Germany
  • Christoph Wölfl - Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, BG Klinik Ludwigshafen, Ludwigshafen, Germany
  • Bertil Bouillon - Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Kliniken der Stadt Köln, Universität Witten/Herdecke, Köln, Germany
  • Marc Mägele - Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Kliniken der Stadt Köln, Universität Witten/Herdecke, Köln, Germany

Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU 2013). Berlin, 22.-25.10.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocWI52-616

doi: 10.3205/13dkou383, urn:nbn:de:0183-13dkou3834

Veröffentlicht: 23. Oktober 2013

© 2013 Mutschler et al.
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Gliederung

Text

Fragestellung: Die Schock-Klassifikation nach ATLS (Advanced Trauma Life Support) und PHTLS (Prehospital Trauma Life Support) ist integraler Bestandteil beider Ausbildungskonzepte. Die Klassifikation beruht auf einem angenommenen Blutverlust in Prozent und charakterisiert die Patienten u.a. anhand der Vitalzeichen (VZ) Herzfrequenz (HF), systolischer Blutdruck (SBD) und dem Bewusstseinszustand. Für alle vier beschriebenen Schock-Klassen wird eine Empfehlung über den Einsatz von intravenösen Flüssigkeiten und Blutprodukten gegeben.

Trotz der weltweiten Verbreitung beider Ausbildungskonzepte fehlt bis zum heutigen Tage eine wissenschaftliche Evidenz dieser Klassifikation. Ziel war es, die Schock-Klassifikation nach ATLS bzw. PHTLS zu überprüfen und ggf. zu validieren.

Methodik: Zwischen 2002 und 2011 wurden insgesamt 46 689 primär aufgenommene Patienten (Alter ≥16 Jahre) aus dem TraumaRegister DGU® retrospektiv analysiert. Zunächst wurden alle Patienten gemäß der Klassifikation durch eine Kombination von HF, SBD und Glasgow Coma Scale (GCS) klassifiziert. In einem zweiten Schritt erfolgte die Zuteilung der Patienten in die entsprechende Schock-Klasse nur durch ein VZ, z.B. HF oder SBD und die Veränderungen in den verbliebenen zwei VZ wurden untersucht.

Darüberhinaus wurde der Einfluss des Schädel-Hirn-Traumas (SHT) bzw. des Verletzungsmusters (stumpf/penetrierend) auf die Aussagekraft der Klassifikation analysiert.

Ergebnisse: Erfolgte die Klassifizierung der Patienten - gemäß ATLS und PHTLS - durch eine Kombination der drei VZ (HF, SBD, GCS), konnten insgesamt nur 26,6 % aller Patienten am Unfallort und nur 9,8 % aller Patienten im Schockraum einer der vier Schock-Klassen zugeordnet werden. Bei präklinischen Patienten mit einem SHT verringerte sich dieser Prozentsatz noch einmal deutlich (12,6 %), wohingegen kein relevanter Unterschied zwischen stumpfen und penetrierenden Verletzungen festgestellt werden konnte (28,3 % bzw. 26.6 %). In einem zweiten Analyseschritt wurden die Patienten nur anhand eines VZ klassifiziert. Eine steigende HF war mit verringerten GCS Werten sowie einem Abfall des SBD assoziiert, jedoch weit weniger ausgeprägt als von der Schock-Klassifikation vorgegeben. Wurden die Patienten anhand des SBD gruppiert, zeigte sich mit zunehmender Schock-Klasse ein deutlicher Rückgang des GCS, eine relevante Tachykardie, wie von ATLS/PHTLS beschrieben, wurde jedoch in keiner Gruppe beobachtet. Die Klassifikation der Patienten anhand des GCS war mit einem diskreten Rückgang des SBD, erneut jedoch nicht mit einer Zunahme der HF verbunden.

Schlussfolgerung: Die Schock-Klassifikation nach ATLS und PHTLS spiegelt die(prä-)klinische Realität nicht ausreichend wider. Der Zusammenhang zwischen Hypotonie und steigender HF wird in der Schock-Klassifikation deutlich überschätzt, gleichzeitig wird der verringerte Bewusstseinszustand unterschätzt. Eine kritische Überarbeitung dieser Klassifikation scheint daher erforderlich zu sein.