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„Wir machen eigentlich nur Spiele!“ Kindliche Perspektiven auf Sprachtherapie
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Veröffentlicht: | 20. August 2024 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Beratung ist ein fester Bestandteil sprachtherapeutischen Handelns. Ein sehr junges Forschungsinteresse ist die Beratung von Kindern (K.) während ihrer Therapie (Waage 2016). Kindliche Perspektiven können hilfreich sein, um Erkenntnisse über essentielle Beratungsinhalte zu generieren. Von Interesse ist: Wie nehmen K. Sprachtherapie wahr? Welche Schlüsse lassen sich für die Beratung von K. ziehen?
Material und Methoden: Es wurde ein qualitatives Vorgehen zur explorativen Perspektivenerhebung gewählt. 4 K. mit SES (3 männl./1 weibl., Altersdurchschnitt 5;7) wurden in teilstandardisierten Leitfadeninterviews befragt. Der Leitfaden umfasst 22 Fragen in 7 Themenkategorien (z.B. Begriffsverständnis von Sprachtherapie, Störungsbewusstsein). Die Interviews wurden mit der inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) ausgewertet.
Ergebnisse: Durch die Codierung des Materials (Antworten der K.) wurden 6 Kategorien gebildet, zu denen jeweils 1 Ergebnis vorgestellt wird.
- Therapierahmen: Sprachtherapie ist eine andere Erfahrung als in den Kindergarten oder zur Schule gehen (z.B. im Hinblick auf Räume, Tätigkeiten, Anwesende).
- Therapieinhalt: Alle K. nennen Spiele oder Spielen als zentrale Tätigkeit.
- Störungsbewusstsein: 3 der 4 K. erkennen eine Störung ihrer kommunikativen Fähigkeiten. Die Beschreibungen dieser variieren jedoch sehr stark.
- Persönliche Stärken: Ein Bewusstsein über persönliche Ressourcen ist für die K. noch schwer zu formulieren, dennoch zeigen sie in unterschiedlichem Umfang, dass sie über verschiedene Ressourcen verfügen (z.B. Zwischenerfolge in der Therapie).
- Interessen: Über Hobbies und Erlebnisse berichten die K. ausführlich und sprachlich aktiver als über sprachtherapeutische Themen.
- Soziales Umfeld: Unterstützung bekommen sie v.a. von Familienmitgliedern, denen bekannt ist, dass die K. in Therapie sind.
Diskussion: Die Ergebnisse zeigen: Je besser das Störungsbewusstsein der K. ist, desto tiefer sind deren Einblicke in Abläufe, Aufgaben und Fortschritte der Therapie.
Fazit: Daher sollte das Störungsbewusstsein ein zentraler Bestandteil von Beratungen mit K. sein.
Text
Hintergrund
Seit der Einführung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) hat sich der Fokus auf Beratung in der Therapie verstärkt. Grund dafür sind die mehrdimensionale Betrachtung von Störungen und der partizipatorische Gedanke im medizinischen Bereich. Das erfordert eine erhöhte Kommunikationsleistung seitens der Therapeut*innen. (Beratungs-)Gespräche sind eine Möglichkeit, die Idee der ICF umzusetzen. Beratung ist auch ein fester Bestandteil sprachtherapeutischen Handelns. Ein sehr junges Forschungsinteresse ist die Beratung von Kindern während ihrer Therapie [1]. Kindliche Perspektiven können hilfreich sein, um Erkenntnisse über essentielle Beratungsinhalte zu generieren. Von Interesse ist: Wie nehmen Kinder Sprachtherapie wahr? Welche Schlüsse lassen sich für die Beratung von Kindern ziehen?
Material und Methoden
Die Exploration von Perspektiven ist ein wichtiger Bestandteil qualitativer sozialwissenschaftlicher Untersuchungen. Dafür eignet sich besonders das Interview als Methode. Die Perspektive der Kinder auf Sprachtherapie wurde daher durch verbale teilstandardisierte Leitfadeninterviews erfasst. Hierfür wurden vier Kinder mit SES (3 männl./1 weibl., Altersdurchschnitt 5;7) befragt. Der Feldzugang zu den Kindern in sprachtherapeutischer Behandlung erfolgte über eine sprachtherapeutische Praxis. Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt die durchgeführten Analyseschritte:
Die Interviews wurden mit der inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz [2] ausgewertet. Es handelt sich hierbei um ein gängiges Auswertungsverfahren, bei dem das generierte Datenmaterial in einem mehrstufigen Verfahren hinsichtlich inhaltlich relevanter Aspekte strukturiert wird.
Ergebnisse
Durch die Codierung des Materials konnten die Antworten der Kinder nach thematischen Schwerpunkten gegliedert werden. Im Folgenden wird für jede Hauptkategorie ein Kernergebnis vorgestellt.
Therapierahmen: Sprachtherapie ist für die Kinder eine andere Erfahrung als in den Kindergarten oder zur Schule gehen (z.B. im Hinblick auf Räume, Tätigkeiten oder Anwesende).
Therapieinhalt: Bei allen Kindern ist eine grundsätzliche Vorstellung erkennbar, was in der Therapie passiert, auch wenn der Umfang der Beschreibungen variiert. Als zentrale Tätigkeiten werden Spiele in verschiedenen Formaten und das „Sprechen“ an sich beschrieben. Aus Sicht der Kinder wird in der Therapie „gespielt, gelernt, geübt und geraten“, um „im Sprechen besser“ zu werden. Der Gegenstand Sprachtherapie wird überwiegend positiv bewertet, vereinzelt aber auch als eine Anstrengung wahrgenommen. Die Begriffe Logopädie oder Sprachtherapie kennen die Kinder jedoch auf Nachfrage nicht.
Störungsbewusstsein: Drei der vier Kinder erkennen eine Störung ihrer kommunikativen Fähigkeiten. Die Beschreibungen dieser variieren jedoch sehr stark.
Persönliche Stärken: Ein Bewusstsein über persönliche Ressourcen ist für die Kinder noch schwer zu formulieren, dennoch zeigen sie in unterschiedlichem Umfang, dass sie über verschiedene Ressourcen verfügen (z.B. Zwischenerfolge in der Therapie).
Interesse: Über Hobbies und Erlebnisse berichten die Kinder ausführlich und sprachlich aktiver als über sprachtherapeutische Themen. Antworten zu diesen werden eher allgemein formuliert und bedürfen häufiger Nachfragen, um herauszufinden, was die Kinder ausdrücken wollen.
Soziales Umfeld: Unterstützung bekommen die Kinder vor allem von Familienmitgliedern, denen bekannt ist, dass die Kinder in Therapie sind.
Diskussion
Die Kinder haben ein Störungsbewusstsein hinsichtlich ihrer Sprachprobleme und nehmen Feedback dazu wahr. Dies zeigte sich bereits in anderen Studien, in denen Kinder mit Stimmstörungen [3] und Stottern [4], [5] befragt wurden. Ein weiteres zentrales Thema der Kinder war das Spielformat. Die Kinder bewerten das Spielen in der Therapie durchweg positiv. Dies deckt sich mit den Untersuchungen von Lenz [6].
Fazit /Schlussfolgerungen
Für die Beratung von Kindern ist ein transparenter Umgang mit ihren Störungen ein wichtiges Fundament zur gemeinsamen Therapieplanung. Auf dessen Grundlage können Therapieziele, Aufgaben, Abläufe und Lernerfolge gemeinsam besprochen und reflektiert werden. Mit dem Wissen um die Störung entstehen der Wunsch und die Motivation nach Veränderung [7] als zentrale Elemente für den Therapieerfolg. Außerdem sollten die Aktivitäten der Kinder als ihr zentraler Lebensbereich berücksichtigt werden, um eine auf Bewusstheit und Teilhabe ausgerichtete Therapie zu gewährleisten, denn die Kinder können und wollen sich einbringen.
Literatur
- 1.
- Waage J. Erfassung der Teilhabe bei Vorschulkindern mit Frühförderung. Entwicklung und Erprobung eines Leitfadeninterviews auf Grundlage der ICF-CY. Springer Verlag; 2016.
- 2.
- Kuckartz U. Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Beltz Juventa Verlag; 2018.
- 3.
- Connor NP, Cohen SB, Theis SM, Thibeault SI, Heatley DG, Bless DM. Attitudes of children with dysphonia. J Voice. 2008;22(2):197-209.
- 4.
- Ezrati-Vinacour R, Platzky R, Yairi E. The Young Child’s Awareness of Stuttering-Like Disfluency. J Speech Lang Hear Res. 2001;44(2):368-380.
- 5.
- Ambrose NG, Yairi E. The development of awareness of stuttering in pre-school children. J Fluency Disord. 1994;19(4):229-245.
- 6.
- Lenz A. Partizipation von Kindern in Beratung und Therapie. Entwicklungen, Befunde und Handlungsperspektiven. Juventa Verlag; 2001.
- 7.
- Zollinger B. Das Störungsbewusstsein in der logopädischen Praxis. Was Kinder über ihre sprachlichen Probleme wissen. Logos interdisziplinär. 2008;16(2):204-210.