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26. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

11.09. - 13.09.2009, Leipzig

Untersuchungen zur Konzentrationsfähigkeit von Kindergartenkindern mit dem Marburger Konzentrationstest für Vorschulkinder (MKVK)

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Roswitha Berger - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland
  • Holger Hanschmann - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland
  • Renate Bacher - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland
  • Jens-Peter Reese - Klinik für Neurologie, Marburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 26. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Leipzig, 11.-13.09.2009. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2009. Doc09dgppV34

doi: 10.3205/09dgpp50, urn:nbn:de:0183-09dgpp502

Veröffentlicht: 7. September 2009

© 2009 Berger et al.
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Zusammenfassung

Wir führten eine Untersuchung zur Überprüfung der Konzentrationsfähigkeit bei 3.0–5.11-jährigen Vorschulkinder durch, die zur Normerhebung des MKVK dienen sollte. Wir sehen die Bewertung der Konzentration als ein bedeutendes diagnostisches Instrument zur Früherkennung von Konzentrationsschwächen, auch im Zusammenhang mit Sprachentwicklungsstörungen, an.

Nach Voruntersuchungen zur Praktikabilität und Validitätsberechnungen führten wir 2007 den MKVK an insgesamt 309 Kindern an 15 Kindertagesstätten in Marburg und Umgebung durch. Beim MKVK handelt es sich um eine einfache Sortieraufgabe von 80 Karten nach Bildmotiven. Die Erfassung der Konzentrationsleistung erfolgt über die Kriterien Bearbeitungszeit und Fehleranzahl. Die Untersuchungsergebnisse werden in 7 verschiedenen Altersgruppen ausgewertet.

Die Ergebnisse belegten, dass sowohl in der Durchführungszeit als auch in der Anzahl der Fehler eine Altersabhängigkeit besteht. 3jährige Kinder benötigen mehr Zeit als 4–5-jährige und machen im Durchschnitt mehr Fehler als die älteren Kinder. Bei den Dreijährigen zeichnen sich zwei Gruppen ab: Kinder, die den Test gut durchführen können, und Kinder, die mit Anweisung und Bearbeitung noch überfordert sind.

Der MKVK ermöglicht Aussagen zur Konzentrationsfähigkeit im Vorschulalter. Er bewährt sich besonders für die Altersgruppe der 4–5-Jährigen. Die Untersuchung ermöglichte Aussagen zu unterschiedlichen Arbeitsweisen der Kinder. Daraus lassen sich Hinweise für eine differenzierte Förderung ableiten.


Text

Intakte Sinnesorgane sind eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Spracherwerb. Zusätzlich können erbliche, soziokulturelle und emotionale Faktoren die Hör- und Sprachentwicklung beeinflussen. Eine Untersuchung von 1999 an hörgeschädigten Kindern ergab, dass selbst bei optimaler Anwendung von Rehabilitationsmethoden bei vergleichbaren Gruppen ohne andere hirnorganische Erkrankungen, voneinander abweichende, bisher differentialdiagnostisch nicht bestimmte Sprachentwicklungsverläufe ermittelt wurden [1]. Wir sehen in diesem Zusammenhang die Konzentrationsfähigkeit als bedeutend an [2]. Die Begriffe „Aufmerksamkeit“ und „Konzentration“ werden, nach Westhoff [3] im Alltag nicht klar voneinander unterschieden oder eindeutig definiert. Freyberg [4] und auch Prinz [5] stellten fest, dass sich Aufmerksamkeit immer auf die Wahrnehmung bezieht und Konzentration auf das Arbeiten. Die Fähigkeit, sich absichtlich und bewusst auf die zielstrebige Bewältigung einer Aufgabe einzustellen, ist also eine wichtige Grundvoraussetzung für jegliches Lernen und Arbeiten und ist deshalb für die Gesamtentwicklung eines Kindes von entscheidender Bedeutung [6]. Die frühzeitige Erkennung von Konzentrationsschwächen oder ihre Störungen ist daher eine sehr wichtige Aufgabe. Die bisherigen Konzentrationstests eignen sich in der Regel nicht für Kinder im Vorschulalter. Aus diesem Grunde entwickelten und erprobten wir 1999 einen Test, mit dem die Konzentrationsleistung bei normal- und schwerhörigen Kindern erfasst werden kann, den Marburger Konzentrationstests für Vorschulkinder (MKVK) [1]. Er wurde in Anlehnung an ein Konzentrations-Handlungs-Verfahren für Schulkinder von Koch und Pleissner [7] als einfaches Kartensortierverfahren entwickelt. Aus einem Kartensatz von 80 Karten, auf denen jeweils zwölf verschiedene Symbole zu sehen sind, müssen von den Kindern zwei bestimmte Symbole (Gans und Hund) erkannt und nach vier Kriterien sortiert werden: Gans und Hund, nur Hund/nur Gans, keines von beiden. Als Auswertungskriterien wurden die drei Variablen Bearbeitungszeit, Anzahl der bearbeiteten Karten und Anzahl der Fehler verwendet. Für die Variablen Bearbeitungszeit und Anzahl der bearbeiteten Karten lassen sich hervorragende Re-Test-Korrelationen nachweisen. Die Spearman-Rang-Korrelation betrug für Bearbeitungszeit 0,978 und für Anzahl der bearbeiteten Karten 0,838 (beide p<0,0001) [1].

Material und Methoden

Basierend auf den Untersuchungen von Glanz [1], Kreszis [8], Odzyk [9] und Büttner [10] führten wir 2007 eine weitere Untersuchungsreihe zur Normerhebung des MKVK für den Einsatz im Vorschulbereich durch. Wir führten das Konzentrationstestverfahren in 15 verschiedenen Kindergärten durch. Wir schlossen alle Kinder zwischen 3;0 und 5;11 Jahren in die Überprüfung mit dem MKVK ein, bei denen die Einwilligung der Eltern vorlag. Nach einer Übungsphase mit 20 Karten erhielten alle Kinder die beschriebenen 80 Kärtchen zum Sortieren. Zur Erleichterung beim Halten der Kärtchen wurden den Kindern jeweils 20 Kärtchen ausgeteilt. Wir stoppten die Gesamt-Bearbeitungszeit und notierten auch die Bearbeitungszeit nach 40 Kärtchen. Nach Abschluss der Untersuchung wurden die Fehler gezählt. Kinder mit einer hochgradigen Seh- und Hörstörungen, einer geistigen Behinderung oder einer motorischen Beeinträchtigung der Hände, die das Halten der Kärtchen verhinderte, wurden von der Untersuchung ausgeschlossen.

Die statistische Bearbeitung wurde mit SPSS Version 15 vorgenommen.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 309 Kinder zwischen 3 und 6 Jahren mit dem Marburger Konzentrationstestverfahren (MKVK) untersucht. Die Anzahl der überprüften Kinder pro Altersgruppe ist annähernd gleich groß, lediglich die Gruppen der Kinder unter 3 und über 6 Jahren sind zahlenmäßig geringer. Damit sind die Altersgruppen als vergleichbar anzusehen. Wir entschieden uns zur Aufschlüsselung der Altersgruppen in eine Halbjahresstaffelung für eine möglichst differenzierte Bewertung der Untersuchungsergebnisse, da die Entwicklung der Kinder in diesem Alter sehr rasant ist. Dadurch ergaben sich 7 Altersgruppen mit ca. 35 Kindern pro Gruppe mit in den für die Normierung relevanten Altersgruppenbereich nahezu gleichmäßiger Verteilung. Die Geschlechtsverteilung überwiegt geringfügig zugunsten der Jungen, insgesamt wurden 166 Jungen und 143 Mädchen untersucht. Die Auswertungen erfolgten auf der Grundlage aller der Kinder, die den MKVK mit allen 80 Kärtchen absolvierten. 57 Kinder brachen den Test nach über 40 Kärtchen ab, so dass in die statistische Berechnung die Ergebnisse von 252 Kindern einflossen. Nur 8 Kinder verweigerten die Teilnahme gänzlich. Für 17 der dreijährigen Kinder war die Aufgabenstellung zu schwierig und 32 brachen den Test nach mehr als 40 Kärtchen vorzeitig ab. Die Auswertung weist bezüglich der Bearbeitungszeit und Fehlerzahl eine deutliche Altersabhängigkeit nach. Jüngere Kinder benötigen eine längere Bearbeitungszeit als ältere. Auch die Fehlerzahl ist altersabhängig und zeigt den gleichen Trend. Die dreijährigen Kinder benötigen ca. 15 Minuten für den Test und machen durchschnittlich 11 Fehler. Vierjährige können in ca. 9 Minuten den Test bestehen, mit durchschnittlich 7 Fehlern. Bei den Fünfjährigen liegt die Bearbeitungszeit bei 7 bis 8 Minuten und die durchschnittliche Fehlerzahl bei 5.

Diskussion

Der MKVK wurde in unterschiedlichen Kindergärten durchgeführt. Obwohl die örtlichen Rahmenbedingungen sehr verschieden waren, konnte der Test in allen Kinderbetreuungseinrichtungen erfolgreich absolviert werden. Es zeigte sich, dass nur sehr wenige Kinder nicht in der Lage waren, die Test-Instruktion umzusetzen. Selbst viele der 3-jährigen Kinder kamen mit den Anforderungen der Aufgabe gut zurecht. Der Anteil der Kinder, die wegen mangelnder Motivation den Test abbrachen, war ebenfalls gering. Die Testabbrecher waren überwiegend jüngere Kinder. Welche Bedeutung diese Tatsache auf die Umsetzung der Test- Aufgabenstellung hat, kann noch nicht eingeschätzt werden, wird aber durch uns weiter überprüft. Die Ergebnisse belegen, dass sowohl in der Bearbeitungszeit als auch in der Fehlerzahl eine Altersabhängigkeit besteht. Dreijährige Kinder benötigen mehr Zeit als Vier- bis Fünfjährige und machen im Durchschnitt mehr Fehler als die vier bis fünf Jahre alten Kinder. Unsere Untersuchung wies nach, dass sich mittels des MKVK Aussagen zur Konzentrationsfähigkeit von 4–5-Jährigen ableiten lassen.

Die Ergebnisse ermöglichten außerdem Aussagen zu vier unterschiedlichen Arbeitsweisen der Kinder. Diese differenzierte Bewertung liefert wichtige Hinweise für zukünftige Fördermöglichkeiten.

Fazit

Der MKVK hat sich als praktikabel erwiesen und ermöglicht Aussagen zur Konzentrationsfähigkeit bei drei- bis sechsjährigen Kindern. Als optimales Testalter stellte sich die Altersgruppe der vier- bis fünfjährigen Kinder heraus. Die Erfassung der „Arbeitsstile“ ermöglicht zukünftig einen individuelleren Einsatz differenzierter Fördermaßnahmen. Wir gehen davon aus, dass eine gute Konzentrationsfähigkeit auch eine wichtige Voraussetzung für den ungestörten Spracherwerb sein kann. Diese Zusammenhänge sollen in weiteren Untersuchungen überprüft werden.


Literatur

1.
Glanz S. Einfluß der Konzentrationsfähigkeit auf die Sprachentwicklung hochgradig schwerhöriger Kinder [Dissertation]. Marburg: Philipps Universität, Fachbereich Medizin; 2000.
2.
Berger R, Glanz S, Friedrich G. Untersuchungen zur Konzentrationsfähigkeit bei Kindern mit beidseitiger hochgradiger Schallempfindungsschwerhörigkeit. In: Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte. Band 6. Heidelberg: Median Verlag von Kilisch + Horn GmbH; 1999.
3.
Westhoff K. Das Akku-Modell der Konzentration. In: Barchmann H, Kinze W, Roth N. Aufmerksamkeit und Konzentration im Kindesalter. Berlin; 1991. S. 47-55.
4.
Freyberg H. Aufmerksamkeit und Konzentration. Ein etymologisches und begriffskritisches Essay. Unveröffentlichtes Manuskript. 1989. Zitiert in: Barchmann H, Kinze W, Roth N. Aufmerksamkeit und Konzentration im Kindesalter. Berlin; 1991.
5.
Prinz W. Meine Theorie der geistigen Entwicklung. In: Meinecke C, Kehrer L, Hrsg. Bielefelder Beiträge zur Kognitionspsychologie. Göttingen: Hogrefe-Verlag; 1990. S. 49-75.
6.
Ettrich KU. Zur Entwicklung von Konzentrationsstörungen im Kleinkind- und Vorschulalter. In: Barchmann H, Kinze W, Roth N. Aufmerksamkeit und Konzentration im Kindesalter. Berlin; 1991. S. 47.
7.
Koch I, Pleissner S. Konzentrations-Handlungsverfahren (KHV) Handanweisung. Berlin; 1984.
8.
Kreszis SH. Untersuchungen zur Validierung eines Konzentrationsverfahrens an normalhörigen Vorschulkindern [Dissertation]. Marburg: Philipps Universität; 2002.
9.
Ozdyk I. Untersuchungen zur Konzentrationsfähigkeit von sprachentwicklungsgestörten Vorschulkindern [Dissertation]. Marburg: Philipps Universität, Fachbereich Medizin; 2005.
10.
Büttner M. Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Konzentrationsfähigkeit und Sprachentwicklung bei Kindern im Vorschulalter [Dissertation]. Marburg: Philipps Universität, Fachbereich Medizin; Nov. 2007.