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26. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

11.09. - 13.09.2009, Leipzig

Vergleich neuronaler Korrelate der Sprach- und Musikverarbeitung

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Ken Roßlau - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland
  • Sibylle Herholz - Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse, Münster, Deutschland
  • Arne Knief - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland
  • Christian Dobel - Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse, Münster, Deutschland
  • Christo Pantev - Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse, Münster, Deutschland
  • Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 26. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Leipzig, 11.-13.09.2009. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2009. Doc09dgppV02

doi: 10.3205/09dgpp02, urn:nbn:de:0183-09dgpp024

Veröffentlicht: 7. September 2009

© 2009 Roßlau et al.
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Zusammenfassung

Einleitung: Die gerichtete Aufmerksamkeit auf sprachliche und melodische Aspekte in der rezeptiven Verarbeitung von gesungenen Texten beeinflusst die Ausprägung entsprechender kortikaler Potentiale unterschiedlich. In der vorliegenden Studie werden mit Hilfe des MEG kortikale Aktivierungsmuster während der Verarbeitung von Sprache und Gesang verglichen.

Material und Methodik: Das Stimulusmaterial umfasst 240 kurze eingesungene und eingesprochene Fragmente aus Liedern. Vier Bedingungen mit semantischer bzw melodischer Sinnverletzung des letzten Wortes mussten vom Probanden als richtig oder falsch erkannt werden. An 8 musikalischen Laien wurden Verhaltensdaten und elektrophysiologische Daten zur kortikalen Aktivität mit dem MEG pilotiert.

Ergebnisse: Die Verhaltensdaten zeigten signifikant bessere Ergebnisse in allen Bedingungen der gesprochenen Version. Beim Vergleich der Gesangsfragmente erzielten die Probanden im Durchschnitt die besten Ergebnisse bei Richtigkeit im semantischen und melodischen Sinn, die schlechtesten bei semantischem Fehler und erhaltener Tonrichtigkeit. Im MEG zeigte sich bei doppelter Sinnverletzung eine signifikant kleinere Ausprägung des N400 und P600 Potentials.

Diskussion: Es scheint für musikalische Laien besonders schwierig zu sein, im gesanglichen Kontext semantische und melodische Fehler zu unterscheiden. Im Rahmen einer Experten-Studie soll überprüft werden, inwieweit ein durch die Ausbildung auf Sprache oder Musik gerichteter Fokus das Antwortverhalten und die neuronalen Korrelate beeinflusst.


Text

Einleitung

Die Gegenüberstellung von sprachlichen und musikalischen Fähigkeiten ist nach wie vor von grossem Interesse für die Untersuchung von grundlegenden neurokognitiven Verarbeitungsprozessen. In verschiedenen Studien wurde dargestellt, dass die gerichtete Aufmerksamkeit auf sprachliche und melodische Aspekte in der Wahrnehmung von gesungenen Texten (Liedern) die Ausprägung entsprechender kortikaler Potentiale, wie z.B. N400 als sprachliches und P600 als musikalisches Korrelat, unterschiedlich beeinflusst [1]. In der vorliegenden Studie sollen mit Hilfe von Magnetenzephalographie (MEG) kortikale Aktivierungsmuster während der Verarbeitung von Sprache und Gesang verglichen werden. Das MEG eignet sich durch ein sehr hohes zeitliches und relativ gutes räumliches Auflösungsvermögen besonders gut zur Darstellung früher und später kortikaler Verarbeitungsprozesse nach akustischer Stimulation. Das deutsche Kunstlied bietet in einer besonderen Weise die Möglichkeit, Sprache in der Form eines Gedichtes und Musik in Verbindung darstellen zu können. Andererseits ist der Ursprung eines Kunstliedes ein Gedicht und kann somit auch isoliert betrachtet werden. Für das der Fragestellung zugrundeliegende Stimulusmaterial wurde das gesamte Werk von Franz Schubert auf geeignete Melodiefragmente durchsucht. Durch die Präsentation von diesen komplexen musikalischen Phrasen soll eine authentische Stimulierung des Probandenkollektivs gewährleistet werden. Einige Forschungsgruppen stellen eine gemeinsame Verarbeitungsstrategie in der Wahrnehmung von Tonhöhen in der Sprachmelodie und im musikalischen Kontext heraus, die vom musikalischen Ausbildungsstand abhängig ist [2], was in fMRI Studien bestätigt werden konnte [3], [4]. Mit der Weiterentwicklung der Fragestellung zum Einfluss der sprachlichen und musikalischen Expertise von professionellen Sängern und Schauspielern auf die auditive Wahrnehmung besteht die Möglichkeit, neue Erkenntnisse zur rezeptiven neuronalen Organisation bei Sprach- und Musikverarbeitung zu gewinnen.

Material und Methodik

Ausgewählt wurden ca. 5 sekündige Sequenzen aus den Liederzyklen „Die schöne Müllerin“, „Winterreise“ und „Schwanengesang“ die eine monosyllabische Endung eines Paarreimschemas aufwiesen und eine den Regeln der Tonsatzlehre entsprechende in sich geschlossene Einheit bildeten (Beispiel: „Ihr Blümlein alle, die sie mir gab, euch soll man legen mit mir ins Grab.“). 30 ausgewählte Sequenzen wurden von einem professionellen Sänger und Sprecher eingesungen und eingesprochen. Die Aufzeichnung fand mit Hilfe der für Stimmklang ausgerichteten Aufnahmetechnik (Mikrophon, Bearbeitungs- und Aufnahmesoftware „lingwaves“) im Stimmlabor (akustisch der Stimmklangfrequenz angepasster Raum) der Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie statt.

Entsprechend der Fragesstellung wurde das eingesprochene und eingesungene Grundmaterial mit Hilfe der Computersoftware „Audacity“ den insgesamt 8 zu untersuchenden Bedingungen angepasst:

1.
Das Beispiel wurde in der eingesprochenen und eingesungenen Originalversion belassen.
2.
Am Phrasenende wurde in der gesungenen und gesprochenen Version eine Tonhöhenveränderung des letzten Wortes vorgenommen (1/2 Ton beim Gesungenen, 3/2 Töne beim Gesprochenen), so dass der Ton außerhalb der zugehörigen Tonart bzw. erwarteten Grundfrequenz lag.
3.
Das sinnvolle letzte Wort wurde durch ein sich reimendes, aber in diesem Kontext semantisch sinnloses Wort ersetzt.
4.
Es wurde sowohl eine sinnlose Veränderung des letzten Wortes, als auch eine Tonhöhenveränderung im Gesprochenen und Gesungenem vorgenommen.

Insgesamt ergeben sich somit bei 30 Beispielen für 8 Bedingungen 240 Fragmente, die vom Probanden als richtig oder falsch erkannt werden mussten. Der Proband sollte sich nach dem abgelaufenen Audiobeispiel per Mausklick entscheiden, ob die akustisch präsentierte Sequenz seinem Textverständnis und seiner musikalischen Erwartung entsprach oder eine auffällige Veränderung entweder in der Tonhöhe oder im Wortsinn oder in beiden Bedingungen am Phrasenende aufwies. Die Fragmente wurden so ausgewählt, dass eine direkte Wiedererkennung aus dem Langzeitgedächtnis, trotz Bekanntheit des Werkes, nicht möglich ist. Damit soll eine kortikale Aktivierung, die auf einer reinen Gedächtnisleistung basiert, vermieden werden.

An 8 musikalischen Laien und einem professionellen Sänger wurden in einer Pilotstudie Verhaltensdaten und elektrophysiologische Daten zur kortikalen Aktivität mit der Magnetenzephalographie erhoben und mit statistischen Tests zum Mittelwertsvergleich bzw. ANOVA auf Signifikanz getestet. Dabei wurden die 8 verschiedenen Bedingungen in non-parametrischen statistischen Tests als verbundene Stichproben behandelt.

Ergebnisse

Die Verhaltensdaten der 8 Normalprobanden nach Bearbeitung der 240 akustischen Stimulussequenzen zeigten im Gesamtmittelwertsvergleich insgesamt signifikant bessere Ergebnisse in allen Bedingungen der gesprochenen Version im Vergleich zur gesungenen (p<0,023). Bei der Analyse der Gesangsfragmente erzielten die Probanden im Durchschnitt die besten Ergebnisse bei Richtigkeit im semantischen und melodischen Sinn. Am schwierigsten zu lösen waren die gesungenen Fragmente mit semantischem Fehler bei erhaltener Tonrichtigkeit. Bisher konnten wir die neuronalen Korrelate bei Stimuluspräsentation jeweils bei einem professionellen Sänger und einem Probanden der Laien-Gruppe darstellen. Hiebei zeigte sich in beiden Messungen eine starke Ausprägung der N 400 Komponente in allen 8 Bedingungen vorwiegend im linkshemisphärischen frontalen und temporalen Bereich. Insgesamt stellten sich beim professionellen Sänger tendenziell stärkere Erregnungsmaxima im Vergleich zur Messung bei musikalischen Laien dar.

Diskussion

In der Betrachtung der Verhaltensdaten dieser Pilotierung des Stimulusmaterials scheint es für musikalische Laien besonders schwierig zu sein, im gesanglichen Kontext semantische und melodische Fehler zu unterscheiden. Eine weitere Erklärung, sowohl für die besseren Verhaltensdaten in den Sprachbedingungen als auch für die starke Ausprägung der N 400 Komponente in allen Bedingungen, könnte der im Vergleich zur Opernliteratur viel stärker ausgeprägte Sprachbezug des deutschen Kunstliedes sein. Im Rahmen der nachfolgenden Experten-Studie an professionellen Schauspielern und Sängern soll überprüft werden, inwieweit ein durch die Ausbildung auf Sprache oder Musik gerichteter Fokus das Antwortverhalten bzw. die Ausprägung der neuronalen Korrelate beeinflusst. Der Nachweis unterschiedlicher kortikaler Repräsentationen während der Verarbeitung von gesungenem und gesprochenem Text bei Laien und professionellen Sängern und Sprechern könnte neue Erkenntnisse im Rahmen der laufenden Diskussion eines holistischen, hemisphärengebundenen Dominanzprinzips oder eher multilokulären Konzepts zur Musikverarbeitung im Vergleich zur Sprachverarbeitung liefern und die unterschiedlichen Effekte eines intensiven Sprach- bzw. Gesangstrainings auf die kortikale Verarbeitung darlegen.


Literatur

1.
Bonnel AM, Faita F, Peretz I, Besson M. Divided attention between lyrics and tunes of operatic songs. Evidence for independent processing. Perception & Psychophysics 2001;63(7):1201-13.
2.
Besson M, Schon D, Moreno S, Santos A, Magne C. Influence of musical expertise and musical training on pitch processing in music and language. Restorative Neurology and Neuroscience 2007;25(3-4):399-410.
3.
Koelsch S, Kasper E, Sammler D, Schulze K, Gunter T, Friederici AD. Music, language and meaning: Brain signatures of semantic processing. Nature Neuroscience 2004;7(3):302-7.
4.
Zatorre RJ, Belin P, Penhune VB. Structure and function of auditory cortex: Music and speech. Trends in Cognitive Sciences 2002;6(1):37-46.