gms | German Medical Science

23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

15. - 17.09.2006, Heidelberg

Lateralisierte Aktivität des auditorischen Kortex beim Vorstellen von Melodien

Lateralized activity of the auditory cortex during imagination of melodies

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Arne Knief - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Uniklinik Münster, Münster, Deutschland
  • author Michael Schulte - Hörzentrum Oldenburg, Oldenburg, Deutschland
  • author Christo Pantev - Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse, Uniklinik Münster, Münster, Deutschland
  • author Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Uniklinik Münster, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Heidelberg, 15.-17.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06dgppV33

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2006/06dgpp48.shtml

Veröffentlicht: 5. September 2006

© 2006 Knief et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Das Anhören von Melodien führt im Gehirn zu einer Reihe von komplexen Prozessen. Auch wenn Teile der Melodie nicht gehört werden, so kann dennoch die Melodie als Ganzes wahrgenommen werden. Die Annahme ist, dass einzelne Töne aus der Erinnerung als top-down-Prozess im auditorischen Kortex abgebildet werden.

Mithilfe der Magnetoenzephalographie haben wir 10 Probanden untersucht, die sich verschiedene Melodien aus 8 Tönen anhören mussten. In einem Teil der Melodien waren der 6. und 7. Ton ausgelassen. Es musste dann erkannt werden, ob der letzte Ton zur Melodie passte oder nicht. Aus den gemessenen Feldverteilungen wurden die Quellen der evozierten Aktivität für jede Hemisphäre in einem Kugelmodell geschätzt.

Während der ausgelassenen Töne konnte eine evozierte kortikale Antwort beobachtet werden, die gegenüber der Antwort N1 auf die Töne zwar verzögert war, aber eine ähnliche Feldverteilung aufwies. Die Quellorte der kortikalen Antwort N1 zeigten in der linken Hemisphäre einen signifikanten Unterschied (p<0,01) zu den Quellorten der Aktivität während der ausgelassenen Töne (13 mm weiter posterior, 7 mm weiter lateral und 13 mm inferior). In der rechten Hemisphäre wiesen die Quellen keinen signifikanten Unterschied auf.

Die Ergebnisse zeigen eine Aktivierung des auditorischen Kortex während der Ergänzung von Melodien aus der Erinnerung. Die Ähnlichkeit der Quellen auf der rechten Seite deutet auf eine entsprechende tonale Verarbeitung hin.


Text

Einleitung

Die Wahrnehmung von Schallereignissen folgt der Integration des sensorischen Eingangs und wird durch zentrale Prozesse ausgelöst und moduliert. Dies kann auf einer Verbindung von erlernten assoziativen Repräsentationen mit dem externen Input beruhen [4]. Diese assoziativen Repräsentationen werden für die mentale Vervollständigung von unvollständigen Perzepten und darüber hinaus für die komplette Vorstellung von Objekten benötigt. Ein Beispiel für diese Repräsentation ist das mentale Singen und Vorstellen von Melodien. Diese Fähigkeit kann durch musikalische Übung verbessert werden [1], was auf die Beteiligung von zentralen Prozessen hindeutet. Es konnte in PET Studien gezeigt werden, dass die Vorstellung von auditorischen Objekten modalitätsspezifische Hirnregionen aktiviert [5], [2].

Ziel dieser Studie war zu untersuchen, ob sich ebenfalls eine Lateralisierung im zeitlich besser auflösenden Magnetoenzephalogramm findet und ob sich verschiedene Eigenschaften des Stimulus in der Quellenkonfiguration wiederfinden.

Material und Methode

Es wurden in dieser Studie drei weibliche und sieben männliche Probanden mit einem mittleren Alter von 30,4 Jahren bei einer Spanne von 24 bis 51 Jahren untersucht. Den Probanden wurden kurze Melodien aus acht Tönen vorgespielt. In einem Teil der Melodien waren der sechste und siebte Ton ausgelassen. Es musste dann erkannt werden, ob der letzte Ton zur Melodie passte oder nicht. Die Aufgabe wurde so schwierig gewählt, dass sie nur dann von den Probanden korrekt gelöst werden konnte, wenn sie sich die Melodie vorgestellt hatten. Zusätzlich wurden den Probanden kurze Folgen von Rauschtönen angeboten, bei denen ebenfalls zufällig der sechste und siebte Ton ausgelassen wurde. Die Probanden mussten hierbei erkennen, ob der letzte Stimulus die gleiche Tonhöhe hatte wie die Töne zuvor. Es wurden nur solche Probanden ausgewählt, die weder ein absolutes Gehör noch eine besondere musikalische Begabung hatten.

Während der Präsentation der Stimuli wurde die Gehirnaktivität mit einem Ganzkopf-Neuromagnetometer (Vectorview, Neuromag Ltd., Helsinki) abgeleitet. Die Hirnaktivität wurde gemittelt und mit 20 Hz tiefpassgefiltert. Aus den gemessenen Feldverteilungen wurden die Quellen der Hirnaktivität in dem Modell eines sphärischen Volumenleiters geschätzt. Die Orte der Quellen wurden in einem Zeitbereich um 100 ms bei maximaler Amplitude nach dem sechsten Stimulus (N1m) bzw. nach der ersten ausgelassenen Note bestimmt. Die Quellenorte wurden mit dem t-Test verglichen, die Abstände zwischen den Quellenorten wurden für jeden Probanden einzeln berechnet und gemittelt und mit dem Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test verglichen.

Ergebnisse

Während der ausgelassenen Töne konnte eine evozierte kortikale Antwort beobachtet werden, die gegenüber der Antwort N1m auf die Töne zwar verzögert war, aber eine ähnliche Feldverteilung aufwies; diese Komponente wird im folgenden NV genannt. In der Melodie-Bedingung zeigten die Quellorte der kortikalen Antwort N1m in der linken Hemisphäre einen signifikanten Unterschied (p<0,05) zu den Quellorten der Aktivität während der ausgelassenen Töne NV (13 mm weiter posterior, 7 mm weiter lateral und 13 mm inferior, Abbildung 1 [Abb. 1]). In der rechten Hemisphäre wiesen die Quellen keinen signifikanten Unterschied auf (N1m war 7 mm posterior, 3 mm lateral und 2 mm inferior als NV). In der Rausch-Bedingung wurde links ein signifikanter Unterschied (p<0,05) gefunden (N1m 15 mm posterior, 8 mm lateral und 12 mm inferior). Rechts wurde ein signifikanter Unterschied (p<0,05) in posterior-anteriorer Richtung gefunden werden, die N1m lag 12 mm weiter posterior als NV.

Neben den Quellorten selber wurden die Abstände zwischen den Quellen verglichen. Der Abstand zwischen den Komponenten N1m und NV ist auf der linken Seite größer als auf der rechten Seite (p<0,05), im Mittel links 25 mm und rechts 17 mm. Auf der linken Seite liegen die Quellen der N1m für die Melodie- und Rausch-Bedingung näher beieinander als die Quellen der NV für diese Bedingungen (11 mm gegenüber 18 mm, p<0,05). Auf der linken Seite sind die Abstände zwischen den Komponenten N1m und NV größer als zwischen den Bedingungen Melodie und Rauschen (25 mm gegenüber 16 mm, p<0,01).

Diskussion

Während des Vorstellens von Teilen einer Melodie bzw. Rauschsequenz konnten Antworten aus dem auditorischen Kortex gemessen werden. Diese Antworten zeigten bei einer der N1m ähnlichen Feldverteilung ein deutlich lateralisiertes Verhalten. In der linken Hemisphäre konnte eine klare Trennung zwischen den Antworten auf den physikalischen Stimulus und auf den vorgestellten Stimulus gefunden werden, wobei die Eigenschaften des Stimulus, tonaler Inhalt oder Rauschen, keinen Unterschied erzeugten. In der rechten Hemisphäre wurden die gleichen Abstände zwischen den Antworten auf die Melodie- und Rausch-Stimuli gemessen wie auf der linken Seite. Die Quellorte für die Antworten auf die physikalischen Stimuli und die vorgestellten Töne lagen rechts jedoch näher beieinander.

Es deutet sich hier eine Lateralisierung an, dass die in der linken Hemisphäre aktivierten Bereiche davon abhängig sind auf welchem Weg die Reizung erfolgt (bottom-up oder top-down) und in der rechten Hemisphäre mehr der Inhalt entscheidend ist im Vergleich zur Herkunft des Reizes. Es spiegelt sich hier die rechtsseitige Dominanz für die Tonhöhenunterscheidbarkeit wieder [3].


Literatur

1.
Aleman A, Nieuwenstein MR, Böcker KB, de Haan EH. Music training and mental imagery ability. Neuropsychologia. 2000;38(12):1664-8.
2.
Halpern AR, Zatorre RJ. When that tune runs through your head: A PET investigation of auditory imagery for familiar melodies. Cerebral Cortex. 1999;9(7):697-704.
3.
Liegeois-Chauvel C, Peretz I, Babai M, Laguitton V, Chauvel P. Contribution of different cortical areas in the temporal lobes to music processing. Brain. 1998;121( Pt 10):1853-67.
4.
Pulvermüller F, Keil A, Elbert T. High-frequency brain activity: perception or active memory? Trends Cogn Sci. 1999;3(7):250-2.
5.
Zatorre RJ, Halpern AR, Perry DW, Meyer E, Evans AC. Hearing in the mind's ear: A PET investigation of musical imagery and perception. Journal of Cognitive Neuroscience, 1996;8(1):29-46.