gms | German Medical Science

23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

15. - 17.09.2006, Heidelberg

Untersuchungen zu Risikofaktoren bei high risk babies mit auffälligem Hörscreening

Poster

Suche in Medline nach

  • corresponding author presenting/speaker Roswitha Berger - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie der Philipps Universität Marburg, Marburg, Deutschland
  • Jochen Müller - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie der Philipps Universität Marburg, Marburg, Deutschland
  • Dunja Weitzel - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie der Philipps Universität Marburg, Marburg, Deutschland
  • Steffen Schwarz - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie der Philipps Universität Marburg, Marburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Heidelberg, 15.-17.09.2006. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2006. Doc06dgppP11

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2006/06dgpp47.shtml

Veröffentlicht: 5. September 2006

© 2006 Berger et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Neben angeborenen genetischen Gründen werden auch erworbene Risikofaktoren als Ursache kindlicher Hörstörungen diskutiert. Der Anteil genetisch bedingter kindlicher Hörstörungen wird mit über 70% geschätzt, manche Autoren gehen von einem noch höheren Prozentsatz aus.

Zur Klärung ursächlicher Zusammenhänge ist es notwendig, neben der Ermittlung von Hörstörungen auch mögliche Risikofaktoren zu erfassen. Eine Vorstudie zu dieser Fragestellung aus dem Jahre 2005 hatte einen Trend aufgezeigt, dass bei sehr untergewichtigen Kindern häufiger Hörstörungen auftraten, allerdings lagen oftmals bei einem Kind mehrere Risikofaktoren vor.

Im Rahmen einer weiteren Studie von Ende September 2005 bis Ende April 2006 wollten wir Häufigkeiten von Risikofaktoren ermitteln und den beschriebenen Trend überprüfen.

Neben der Durchführung des NHS mit dem Screening BERA Gerät MB11 mit BERAphon wurden prä-, peri- und postnatale Risiken erfasst und im Zusammenhang zum Ergebnis beim Neugeborenen Hörscrenning beurteilt.

Im Studienzeitraum wurden bei 164 high risk babys Hörscreening Untersuchungen durchgeführt. Von insgesamt 151 dieser Kinder liegen komplette Datensätze hinsichtlich des Hörbefundes und der Risikofaktoren vor.


Text

Seit 5 Jahren liegen in der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie der Philipps Universität Marburg Erfahrungen in der Anwendung des Neugeborenen Hörscreening (NHS) mit Screening AABR Geräten vor.

Studien aus dem Jahre 2003 mit dem MB11 mit Beraphon konnten im NHS bei reif geborenen Babys (well babies) im Primärscreening (1. Messung) eine Spezifität von 98.8% ermitteln [1], [2].

Neben diesem Ergebnis war die schnelle Untersuchungszeit und der mögliche Ausschluss einer auditorischen Neuropathie Entscheidungsgrundlage für den Einsatz des MB11 mit BERAphon sowohl für weitere Studien als auch für den Einsatz in der klinischen Routine Praxis.

Seit Ende 2004 erfolgte auch bei high risk babies ein systematisches NHS in der Marburger Neonatologie der Universitätsklinik.

Die weltweit angenommene Prävalenz angeborener hochgradiger Schallempfindungsschwerhörigkeiten von 0,1-0,2% aller Lebendgeburten kann durch die Anzahl der im Rahmen des Neugeborenen Hörscreenings (NHS) inzwischen diagnostizierten hochgradig schwerhörigen Kinder nahezu bestätigt werden. Neben angeborenen genetischen Gründen werden auch erworbene Risikofaktoren als Ursache kindlicher Hörstörungen diskutiert. Der Anteil genetisch bedingter kindlicher Hörstörungen wird mit über 70% geschätzt, manche Autoren gehen von einem noch höheren Prozentsatz aus [3].

Zur Klärung ursächlicher Zusammenhänge ist es notwendig, neben der Ermittlung von Hörstörungen im Rahmen eines NHS auch mögliche Risikofaktoren zu erfassen. Eine Vorstudie zu dieser Fragestellung aus dem Jahre 2005 hatte einen Trend aufgezeigt, dass bei sehr untergewichtigen Kindern häufiger Hörstörungen auftraten. Es lagen allerdings oftmals bei einem Kind mehrere Risikofaktoren vor [4].

Im Rahmen einer weiteren Studie von Ende September 2005 bis Ende April 2006 wollten wir Häufigkeiten von Risikofaktoren ermitteln und den beschriebenen Trend überprüfen.

Neben der Durchführung des NHS mit dem Screening BERA Gerät MB11 mit BERAphon wurden prä-, peri- und postnatalen Risiken erfasst und im Zusammenhang zum Ergebnis beim Neugeborenen Hörscrenning beurteilt.

Folgende Risiko-Faktoren wurden erfasst:

1. pränatal: 1. Blutungen während der Schwangerschaft, 2. Infektionskrankheiten der Mutter (Toxoplasmose, Röteln, CMV, Herpes), 3. Medikamenteneinnahme (Antibiotika, Hypertonika, Antidiabetika, Schilddrüsenpräparate, Virustatika, Tokolyse).

2. perinatal: 1. Art der Geburt vaginal /Sectio, 2. Geburtstermin (<32.SSW, => 32. SSW–37.SSW) 3. Apgar bei 1, 5, 10 min., 4. Asphyxie (Bewertung erfolgte aus dem ph Wert des Nabelschnurblutes (Norm von 7,22), ph<7,10 entspricht einer schweren Asphyxie), 5. Geburtsgewicht: extrem untergewichtig <1000g (extremely low birth infants (ELBW)); sehr untergewichtig <1500g (very low weight infants (VLBW)); untergewichtig <2500g (low birth weight infants (LBW)), 6. Fototherapie in Tagen infolge erhöhter Serumbilirubinwerte, 7. Atemnotsyndrom (respiratory distress syndrom (RDS)), 8. Hirnblutung, 9. Neugeboreneninfektion (NGI) bis 9. Tag, 10. Antibiotikagabe, 11. maschinelle Beatmung in Tagen [5].

3. postnatal: 1. Infektionen (Meningitis, Sepsis, sonstiges), 2. Medikamentengabe >10 Tage, 3. Syndromerkrankung Kind.

Zusätzlich wurden Angaben zu familiärer angeborener oder syndromaler Hörstörung erhoben.

Im Studienzeitraum wurden bei 164 high risk babys Hörscreening Untersuchungen durchgeführt. Von insgesamt 151 dieser Kinder liegen komplette Datensätze hinsichtlich des Hörbefundes und der Risikofaktoren vor.

Auf Grund der vielfältigen Risikofaktoren wurde bei einem großen Teil der Kinder eine Kontrollhörprüfung nach 3 Monaten empfohlen, auch wenn das NHS ein unauffälliges Ergebnis erbracht hatte. Diese Kontrolluntersuchung haben nicht alle Eltern wahrgenommen bzw. es stehen zum jetzigen Zeitpunkt noch Untersuchungen von auffällig getesteten Kindern aus, so dass in einigen Fällen keine Abschlussdiagnose zum Hörverlust vorliegt.

Ergebnisse

Zwei Drittel der Kinder wurden mittels Sectio geboren.

128 aller untersuchten Kinder wurden in bzw. nach der 32 SSW geboren und 32 aller unter der 32 SSW. Im Untersuchungsgut fanden sich 9 extrem untergewichtige (ELBW) und 14 (VLBW) waren sehr untergewichtig und 73 untergewichtige babies. Wegen erhöhter Serumbilirubinwerten erhielten 50 Kinder eine Fototherapie zwischen 3 und mehr Tagen. 24 Kinder litten unter einer RDS und bei 6 Kindern wurde eine schwere Asphyxie diagnostiziert. Bei 54 Neugeborenen lagen Infektionserkrankungen vor und 6 Kinder zeigten eine Syndromerkrankung mit craniofacialer Fehlbildung. In Abbildung 1 [Abb. 1] sind alle erhobenen perinatalen Risikofaktoren prozentual zusammengestellt. Während der Schwangerschaft nahmen 93% aller Schwangeren Medikamente ein oder erhielten eine Tokolyse. Die Medikamenteneinnahme gliedert sich auf in: Antibiotika bei 73 von ihnen, 24 erhielten Schilddrüsenhormone oder Antihypertonika und bei 45 wurde eine Tokolyse durchgeführt. Bei insgesamt 25 (15%) der Mütter wurde eine Virusinfektion diagnostiziert.

Bei 132 Babies (83%) konnte im NHS Primärscreening (1. Messung) ein unauffälliges Hörergebnis beidseits ermittelt werden und bei 27 Babys (17%) ergab sich ein „fail“, es lag also ein Hörverlust von über 35 dB vor. Bei 4 (2%) dieser Kinder wurde ein hochgradiger Hörverlust bestätigt. Es stehen allerdings noch Hör-Kontrollen aus, so dass sich die Anzahl der Hörauffälligen noch erhöhen kann.

Diskussion

Nur jedes 100. Neugeborene kommt mit einem Geburtsgewicht unter 1500 g zur Welt. 30% der von uns untersuchten „high risk babies“ wurden vor der 32 SSW geboren und waren entsprechend sehr untergewichtig (VLBW)“ bzw. extrem untergewichtig (ELBW). Als mögliche Ursachen einer Frühgeburt werden neben Infektionen im Zusammenhang mit vorzeitigem Wehenbeginn auch Mehrlingsschwangerschaften oder eine Zervix-Insuffizienz diskutiert.

In unserem Patientengut wurden 30% der Mütter wegen vorzeitiger Wehen medikamentös behandelt und bei15% lag eine Virusinfektion während der Schwangerschaft vor. Für die Kinder mit auffälligem Hörscreening und nachgewiesenem Hörverlust konnte bei den Müttern während der Schwangerschaft eine Medikamenteneinnahmen bzw. eine Tokolyse ermittelt werden.

Bei 83% der Kindern wurde im Primärscreening ein unauffälliges peripheres Hörvermögen bds. nachgewiesen und bei insgesamt 4 (2%) der Kinder ergab sich ein gesicherter Hörverlust bds. Alle Kinder mit einem auffälligen Hörscreening und gesichertem Hörverlust wurden hinsichtlich ihrer Risikofaktoren analysiert. Es zeigte sich, dass unter diesen Kindern ein hoher Anteil mit Antibiotika-Therapie wegen einer Neugeboreneninfektion vorlag, dass eine Fototherapie wegen erhöhten Bilirubinwert erfolgte und dass ein extrem niedriges Geburtsgewicht zu finden war (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Zur Klärung ursächlicher Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren und kindlicher Hörstörung sind weitere Untersuchungen erforderlich. Diese Studie kann der Fallzahlberechnung für unsere weiterführende Fragestellung dienen.

Die von uns untersuchten Kinder waren alle wegen hoher Risikofaktoren unmittelbar nach Geburt in der Neonatologie betreut worden. Trotz eines umfangreichen Monitoring dieser Kinder war bei allen eine Hörprüfung in sehr schneller Untersuchungszeit möglich. Das NHS mit dem MB11 hat sich damit als eine sehr zuverlässige Untersuchungsmethode auch bei high risk babies bewährt.


Literatur

1.
Berger R, Müller J, Stürzebecher E, Cebulla M. Einsatz des objektiven BERA-Verfahrens (MB111) bei Neugeborenen Hörscreening in Marburg. In: Aktuelle phoniatrisch- pädaudiologische Aspekte 2004. Bd. 12. Niebüll: Verlag videel OHG; 2004. ISBN 3-89906-797-5
2.
Berger R, Shehata-Dieler WE, Keim R, Müller J, Schwarz S. Universal hearing screening in newborn using the the BERAphon and the steady state potentials. In: Book of abstract NHS 2004 Como.
3.
Kalatzis V, Petit C. The fundamental and medical impacts of recent progress in research on hereditary hearing loss. Hum Mol Genet. 1998;7:1589-97.
4.
Berger R, Stegmann H, Müller J, Hanschmann H. AABR- Screening bei Hochrisiko und Risikokindern mit dem ALGO® 3i-System. In: Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 2005. Bd.13. Niebüll: Verlag videel OHG; 2005.
5.
American Academy of Pediatrics, Committee of Infectious Diseases and Committee of Fetus and Newborn. Prevention of respiratory syncytial virus infections: indications for the use of palivizumab and update on the use of RSV-IGIV. Pediatrics. 1998;102:1211-16.
6.
Ascherl L, Berger R. Untersuchungen mit Berascreeningverfahren (Beraphon® und Evoflash®) bei Neugeborenen. In: Gross M, (Hrsg.). Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte. Bd.9. Median Verlag von Killisch-Horn GmbH; 2001. p. 285-287.
7.
Berger R, Müller J. Erfahrungen bei Neugeborenen-Hörscreening mittels automatischer BERA (AABR). In: UHA-Tagungsband. 2003. p. 58-65.