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23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

15. - 17.09.2006, Heidelberg

Einfluss der akustischen Reizeigenschaften auf sprachevozierte Hirnrindenpotentiale

Influence of acoustic stimulus features on speech evoked potentials

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 23. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Heidelberg, 15.-17.09.2006. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2006. Doc06dgppV10

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2006/06dgpp14.shtml

Veröffentlicht: 5. September 2006

© 2006 Burger et al.
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Zusammenfassung

Bei der auditiven Wahrnehmung von Sprache muss das zentrale Gehör in Echtzeit komplexe akustische Strukturen verarbeiten. Sprachverständnisprobleme sind deswegen häufig die Folge zentral-auditiver Störungen. Für deren audiologische Diagnostik ist die Bereitstellung objektiver, elektrophysiologischer Testverfahren von großem Nutzen.

Zur Untersuchung der unbewussten Verarbeitung von Sprache wurden bei sieben Erwachsenen sprachevozierte Potentiale abgeleitet. Dabei wurden die kortikalen Antworten auf fünf einsilbige Sprachreize und dazu pegelgleichen Rauschreizen gemessen. Zwei getrennte Messungen mit unterschiedlichen Präsentationsmustern wurden durchgeführt.

Unabhängig vom Präsentationsmuster trat in den Differenzsignalen aus Sprach- und Rauschreizantworten eine Potentialkomponente zu Tage, deren Latenz mit dem Zeitpunkt des Vokal-Einsatzes im Sprachreiz korrelierte. Diese Korrelation deutet darauf hin, dass akustische Änderungen in einem Sprachreiz obligatorisch kortikale Antworten hervorrufen.

Es konnte gezeigt werden, dass sich die differenzierte Wahrnehmung verschiedener Sprachreize in den evozierten Potentialen abbildet. Die vorgestellte Methode könnte somit als objektives Testverfahren zur Untersuchung der Diskriminationsfähigkeit ähnlich klingender Sprachreize einsetzbar sein.


Text

Einleitung

Bei der auditiven Wahrnehmung von Sprache muss das zentrale Gehör in Echtzeit komplexe akustische Strukturen verarbeiten. Sprachverständnisprobleme sind deswegen häufig die Folge zentral-auditiver Störungen.

Mit den späten akustisch evozierten Potentialen (SAEP) steht ein Instrument zur objektiven Untersuchung der präkognitiven Sprachverarbeitung zur Verfügung. Die SAEP Erwachsener werden vorrangig von den Komponenten des N1-P2-Komplexes geprägt. Es wurde gezeigt, dass der N1-P2-Komplex die zeitlichen und spektralen Merkmale gesprochener Sprache abbildet, welche für deren Verarbeitung kritisch sind [1]. Die N1-Komponente wird als elektrophysiologisches Korrelat der Reizerfassung betrachtet, während die P2-Komponente von den akustischen Eigenschaften des gehörten Reizes abhängt [2].

In unserer Abteilung wurde nach der Ursache für das Auftreten veränderter kortikaler Antworten bei sprachlicher im Gegensatz zu nicht-sprachlicher Stimulation im N1-P2-Komplex gesucht. Es wurde untersucht, ob neben der Verarbeitung der akustischen Merkmale auch sprachspezifische Komponenten auftreten. Dazu wurden die SAEP-Komponenten bei einsilbigen Wörtern analysiert und mit pegelgleichen Rauschreizen verglichen.

Methode

Akustisch evozierte Potentiale wurden bei 7 normal hörenden, rechtshändigen Erwachsenen im Alter zwischen 22 und 27 Jahren abgeleitet.

Akustische Stimuli waren einerseits die fünf einsilbigen Wörter /Bett/, /Dieb/, /Ei/, /Pult/ und /Tau/, zum anderen fünf synthetisch erzeugte Rauschreize mit identischem Schallpegelverlauf. Die Reize wurden mit einem Abstand von 1750 ms nach zwei Präsentationsmustern dargeboten, um den Einfluss der Wiederholrate zu bestimmen: a) Abwechselndes Präsentieren eines Sprach- und des dazugehörigen Rauschreizes; b) Abwechselndes Präsentieren aller Sprach- und dazugehöriger Rauschreize. Durch einen tonlosen Videofilm während der Messung wurde die Aufmerksamkeit der Teilnehmer von den akustischen Stimuli abgelenkt.

Für die Untersuchung sprachspezifischer Merkmale wurde das Differenzsignal aus den SAEP der Sprach- und Rauschreizantworten analysiert. Zur Verbesserung des Signal-Störabstandes wurden die kortikalen Antworten aller Teilnehmer zusammengefasst (Grand-Average) und alleine der Kanal am Vertex betrachtet.

Ergebnisse

Die gemessenen SAEP der beiden Präsentationsmuster a) und b) zeigten eine gute Übereinstimmung. Der Korrelationskoeffizient betrug durchschnittlich 86%.

Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt die gemessenen SAEP-Verläufe der Sprach- und Rauschreize sowie deren Differenzsignal. Die SAEP der verschiedenen Sprachreize unterschieden sich deutlich in den Latenzen des N1-P2-Komplexes. Die Latenzen der N1-Komponente der Sprachreize betrugen 111 ± 8 ms, die der P2-Komponente 180 ± 18 ms. Im Differenzsignal trat eine negative Komponente mit einer Latenz von 144 ± 11 ms auf (durch Kreis gekennzeichnet).

In Abbildung 2 [Abb. 2] ist der Zeitpunkt des Vokaleinsatzes der fünf Sprachreize über die Latenz der Komponente im Differenzsignal aufgetragen.

Diskussion

Die Wiederholrate der Reizdarbietung a) und b) scheint keinen Einfluss auf die Ausprägung der SAEP zu haben. Abbildung 2 [Abb. 2] deutet auf eine Korrelation zwischen dem Vokaleinsatz und der Latenz der Differenz-Komponente hin. Aus diesem Grund wird der Unterschied der Antworten auf die Sprach-/Rauschpaare als zweiter N1-P2-Komplex gedeutet, der beim Sprachreiz infolge des Vokaleinsatzes als neues akustisches Ereignis hervorgerufen wird [3]. Die unterschiedlichen SAEP bilden somit die wahrgenommenen akustischen Merkmale der Sprachreize ab, wodurch sie sich zur Untersuchung der Lautdiskrimination eignen.


Literatur

1.
Trambley K, Kraus N, McGee T, Ponton C, Otis B. Central auditory Plasticity: Changes in the N1-P2 Complex after Speech-Sound Training. Ear Hear. 2001;22(2):79-90.
2.
Ceponiene R, Alku P, Westerfield M, Torki M, Townsend J. ERPs differentiate syllable and nonphonetic sound processing in children and adults. Psychophysiology. 2005;42(2):391-406.
3.
Ostroff J, Martin B, Boothroyd A. Cortical Evoked Response To Acoustic Change within A Syllable. Ear Hear. 1998;19(4):290-7.