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5. Internationale Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi)

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e. V.

13. - 14.02.2020, Bochum

Was bedeutet Risiko im Kreißsaal? – Erste Ergebnisse der qualitativen Teilstudie zur Risikowahrnehmung geburtshilflicher Fachpersonen (MORP-IDM)

Meeting Abstract

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  • corresponding author Nina Peterwerth - Hochschule für Gesundheit Bochum, Deutschland; Universität Witten/Herdecke, Deutschland
  • Wilfried Schnepp - Universität Witten/Herdecke, Deutschland
  • Rainhild Schäfers - Hochschule für Gesundheit Bochum, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft. 5. Internationale Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi). Bochum, 13.-14.02.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc20dghwiP21

doi: 10.3205/20dghwi37, urn:nbn:de:0183-20dghwi379

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/meetings/dghwi2020/20dghwi37.shtml

Veröffentlicht: 11. Februar 2020

© 2020 Peterwerth et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: In Deutschland wurde in den letzten Jahren das mögliche gesundheitliche Risiko während einer Geburt durch die Thematisierung der Berufshaftpflichtversicherung von Hebammen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Die zunehmende forensische Auseinandersetzung beeinflusst das geburtshilfliche Handeln und führt zu einer „gestiegenen Risikoorientierung“ [1]. Damit ist das Konzept von Risiko und Risikomanagement in der Betreuung von Gebärenden zu einem zentralen Grundsatz geworden [2]. Regionale und nationale Unterschiede der Interventionsraten [3], [4] lassen vermuten, dass neben geburtshilflichen Indikationen andere Faktoren, wie z.B. die Risikowahrnehmung des geburtshilflichen Fachpersonals, einen Einfluss auf die klinische Entscheidungsfindung haben. Jedoch ist nicht bekannt, was das Fachpersonal in Deutschland als Risiko oder risikoreiche Situation während der Geburt wahrnimmt.

Ziel: Ziel des Forschungsvorhabens ist es mithilfe eines explorativ sequenziellen Mixed-Methods-Designs Erkenntnisse darüber zu erlangen, was das geburtshilfliche Fachpersonal in Deutschland unter dem Begriff „Risiko“ im klinischen Setting versteht und welche Situationen als risikobehaftet wahrgenommen werden. Die Ergebnisse dieser Teilstudie dienen als Grundlage für eine quantitative Erhebung zur Untersuchung des Einflusses personenbezogener und systemimmanenter Faktoren auf die Risikowahrnehmung und klinische Entscheidungsfindung.

Methodik: Es wurden vier Fokusgruppen-Diskussionen mit Hebammen, Gynäkologinnen und Gynäkologen zum Thema Risikowahrnehmung von Juli bis Dezember 2019 durchgeführt. Die Auswahl des Samples erfolgte mithilfe des „purposeful samplings“ anhand vorab festgelegter Auswahlkriterien. Das transkribierte Datenmaterial wurde mithilfe der inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse [5] und des Software-Programms MAXQDA ausgewertet. Die Durchführung der Studie ist Teil einer Dissertationsarbeit.

Ergebnisse: Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass geburtshilflichen Fachpersonen auf verschiedene Weise Risiko im klinischen Setting wahrnehmen. Diese Wahrnehmung bezieht sich bei beiden Berufsgruppen auf die medizinische und persönliche Ebene, jedoch werden insbesondere strukturelle und organisatorische Faktoren, wie Personalmangel, sehr hohes Arbeitsaufkommen und räumliche Ausstattung, für das Auslösen von als risikoreich wahrgenommenen Situationen beschrieben. Anhand dieser Ergebnisse werden Fallbeispiele von risikobehafteten Situationen für die weiterführende Erhebung entwickelt.

Relevanz: Erkenntnisse über die Risikowahrnehmung des Fachpersonals als einen möglichen Einflussfaktor auf die klinische Entscheidungsfindung während der Geburt zu erlangen, ist in den Bemühungen die Interventionsraten zu senken sowie die physiologische Geburt und die Versorgungsqualität zu fördern von großer Bedeutung.

Empfehlungen/Schlussfolgerung: Geburtshilfliche Fachpersonen beschreiben Situationen während einer Geburt insbesondere dann als risikoreich, wenn strukturelle oder organisatorische Mängel vorliegen. Inwiefern dies auch die Entscheidung für oder gegen Interventionen beeinflusst, wird u.a. in der 2. Teilstudie untersucht. Darüber hinaus müssen gegensteuernde politische Maßnahmen ergriffen sowie Arbeits- und Organisationskonzepte entwickelt werden, die auf struktureller und organisatorischer Ebene eine Verringerung der durch systemimmanente Faktoren hervorgerufenen Risikowahrnehmung und eine adäquate Betreuung von Gebärenden ermöglichen.

Ethik und Interessenkonflikte: Die Ethik-Kommission der Hochschule für Gesundheit bewertete das Vorhaben positiv. Die Forschung wurde durch Eigenmittel finanziert. Es liegen keine Interessenkonflikte vor.


Literatur

1.
Kolip P, Nolting, HD, Zich K. Faktencheck Gesundheit: Kaiserschnittgeburten – Entwicklung und regionale Verteilung. 2012 [Zugriff Dez 2019]. Verfügbar unter: https://faktencheck-gesundheit.de/de/faktenchecks/kaiserschnitt/ergebnis-ueberblick Externer Link
2.
MacKenzie Bryers H, van Teijlingen E. Risk, theory, social and medical models: a critical analysis of the concept of risk in maternity care. Midwifery. 2010; 26(5):488-96. DOI: 10.1016/j.midw.2010.07.003 Externer Link
3.
Blondel B, Alexander S, Bjarnad RI, et al. Variations in rates of severe perineal tears and episiotomies in 20 European countries: a study based on routine national data in Euro-Peristat Project. Acta Obstet Gynecol Scand. 2016; 95:746-54. DOI: 10.1111/aogs.12894 Externer Link
4.
OECD. Cesarean section rates in OECD countries in 2016 (per 100 live births). Statista; 2018 [Zugriff Dez 2019]. Verfügbar unter: https://www.statista.com/statistics/283123/cesarean-sections-in-oecd-countries Externer Link
5.
Kuckartz U. Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung. Weinheim und Basel: Beltz Juventa; 2012.