gms | German Medical Science

5. Internationale Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi)

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e. V.

13. - 14.02.2020, Bochum

Stigmatisierung versus Unterstützung von Eltern – der Erstzugang zu jungen Familien im Kontext der Frühen Hilfen

Meeting Abstract

Suche in Medline nach

  • corresponding author Melita Grieshop - Evangelische Hochschule Berlin, Deutschland
  • Tegethoff Dorothea - Evangelische Hochschule Berlin, Deutschland
  • Joana Streffing - Evangelische Hochschule Berlin, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft. 5. Internationale Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi). Bochum, 13.-14.02.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc20dghwiP07

doi: 10.3205/20dghwi23, urn:nbn:de:0183-20dghwi236

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/meetings/dghwi2020/20dghwi23.shtml

Veröffentlicht: 11. Februar 2020

© 2020 Grieshop et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Eltern in belastenden Lebenslagen haben einen besonderen Informations- und Unterstützungsbedarf, nehmen aber präventive Angebote seltener wahr als Familien in weniger belastenden Lebensumständen [1]. Gleichzeitig ist bereits die Identifikation vulnerabler Eltern und der Zugang zu ihnen problematisch, da selektiv angelegte Prävention, anders als universelle Maßnahmen, stigmatisierend wirken und Kontrollcharakter haben kann [2].

Vor diesem Hintergrund wurde an der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB) im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft eine hebammenwissenschaftliche Untersuchung zur Effektivität des Erstzugangs zu jungen Familien für Maßnahmen der Frühen Hilfen und zur Identifikation dieser Zielgruppe durchgeführt.

Ziel/Fragestellung: In der Untersuchung wurde der Frage nachgegangen, über welche Assessmentverfahren oder Kriterien belastete Eltern nach der Geburt ihres Kindes im häuslichen Setting identifiziert werden und ob der Erstzugang über einen Hausbesuch als effektiv für die Inanspruchnahme von Maßnahmen der Frühen Hilfen zu bewerten ist. Aus den Ergebnissen sollten Empfehlungen für die Optimierung abgleitet werden.

Methodik: Im Rahmen eines Mixed-Method-Designs wurden Mitarbeiter/innen der Frühen Hilfen (n=48) mittels Online-Fragebogen zum Einsatz von Assessmentverfahren und zur Standardisierung des Erstbesuchs befragt, sowie um Bewertung verschiedener Zugangswege zu Eltern gebeten. Nutzerinnen der Frühen Hilfen (n=9) wurden mittels leitfadengestützter (Telefon-) Interviews befragt, wie sie den Zugang zu ihnen erleben.

Ergebnisse: Ein Großteil (73%) der Mitarbeiter/innen gab an, dass es in ihrer Einrichtung eine konkrete Regelung zur Erkennung belasteter Eltern gäbe. Zumeist nannten sie die Merkmale „Abusus, psychische Erkrankung, Verhaltensauffälligkeit oder Behinderung des Kindes“. Erprobte Assessmentverfahren werden aber nur vereinzelt eingesetzt.

Für die Nutzer/inneninterviews konnten nur bildungsnahe Mütter rekrutiert werden. Diese äußern große Wertschätzung für Maßnahmen der Frühen Hilfen. Allerdings löste ein Hausbesuch bei ihnen das Gefühl von Stigmatisierung und Kontrolle durch die der durchführenden Institution aus.

Relevanz: Hebammen und Familienhebammen müssen einerseits die Familien identifizieren, die ihre Hilfe benötigen, andererseits jede Form der Stigmatisierung vermeiden, denn sowohl die klare Definition der Zielgruppe als auch das tatsächliche Erreichen vulnerabler Familie sind wichtige Qualitätsdimensionen in den Frühen Hilfen [3].

Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade der Erstzugang das Selbstbestimmungsrecht und das Kontrollgefühl der Eltern berührt.

Empfehlungen/Schlussfolgerungen: Für die Identifikation von Eltern in belastenden Lebenssituationen sollten möglichst erprobte Verfahren/Kriterien verwendet werden. Um Eltern für Maßnahmen der Frühen Hilfen effektiv und nicht-stigmatisierend zu erreichen, sollten alle werdenden Eltern frühzeitig, auch mittels digitaler Medien, über Hintergrund und Ziel von aufsuchenden Maßnahmen informiert werden. Universelle Angebote können zwar das Präventionsparadox [4] verstärken, sichern aber den stigmatisierungsfreien Zugang zu vulnerablen Familien [5].

Ethik und Interessenkonflikte: Es wurde kein Ethikvotum eingeholt. Es war eine reine Befragungsstudie, die Teilnahme freiwillig. Die Forschung wurde durch Fremdmittel unterstützt. Fremdmittel: Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft. Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Das PDF des für die Tagung eingereichten Posters ist in deutscher Sprache als Anhang 1 [Anh. 1] verfügbar.


Literatur

1.
Sword W, Watt S. Learning needs of postpartum women: Does socioeconomic status matter? Birth. 2005; 32(2):86-92. DOI: 10.1111/j.0730-7659.2005.00350.x Externer Link
2.
Helming E, Sandmeir G, Sann A, Walter M. Kurzevaluation von Programmen zu Frühen Hilfen für Eltern und Kinder und sozialen Frühwarnsystemen in den Bundesländern. München: Deutsches Jugendinstitut; 2007.
3.
Jungmann T, Brand T. Die besten Absichten zu haben ist notwendig, aber nicht hinreichend: Qualitätsdimensionen in den Frühen Hilfen. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie. 2012; 61(10):723-37.
4.
Frohlich KL, Potvin L. The inequality paradox: The population approach and vulnerable populations. Am J Public Health. 2005; 98:216-21. DOI: 10.2105/AJPH.2007.114777 Externer Link
5.
Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH). Frühe Hilfen und präventiver Kinderschutz – Frühzeitige Unterstützung für Familien mit Säuglingen und Kleinkindern. Köln: NZFH in der BZgA; 2018.