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4. Internationale Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi)

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e. V.

16.02.2018, Mainz

Der „Wunschkaiserschnitt“ im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdbestimmung

Meeting Abstract

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  • corresponding author Yvonne Gacki - Hochschule für Gesundheit, Bochum, Deutschland
  • Ute Lange - Hochschule für Gesundheit, Bochum, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft. 4. Internationale Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi). Mainz, 16.-16.02.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dghwiP08

doi: 10.3205/18dghwi14, urn:nbn:de:0183-18dghwi149

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/meetings/dghwi2018/18dghwi14.shtml

Veröffentlicht: 13. Februar 2018

© 2018 Gacki et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Das erstmalige Auftreten des Begriffs „Wunschkaiserschnitt“ in der deutschsprachigen Literatur lässt sich Mitte der 1990er Jahre verorten. Seither hat sich die Begriffsverwendung im internationalen Sprachgebrauch ausgeweitet und wird häufig im Zusammenhang mit Selbst- bzw. Fremdbestimmung begriffen. Mit dem Auftreten des „Wunsches“ lässt sich ebenfalls die Etablierung von „Patientinnenautonomie“ beobachten, die eine veränderte Subjektdarstellung und -wahrnehmung herbeiführte und eine Verlagerung externer Verantwortung und Entscheidung hin zur Frau bedeutet. Aufgrund einer fehlenden einheitlichen und eindeutigen Definition der sogenannten „elektiven Sectio“, bundesweit und international, ergeben sich Schwierigkeiten valider statistischer Erhebungen, was unter anderem damit zusammenhängt, dass sich zeigt, dass der „Wunsch“ die Hintergründe für eine Sectio Cesarea nicht adäquat beschreibt [1], [2]. Betrachtet man bestehende Erhebungen, geht man von einer „Wunschsectiorate“ von maximal zwei bis drei Prozent in Deutschland aus. Eine zumeist individualtheoretische Betrachtung des Subjekts, also als rational handelnd, lassen nur eine eindimensionale Beschreibung des „Wunschkaiserschnitts“ im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdbestimmung zu.

Methode: Die Arbeit beabsichtigt, die Darstellung des Subjekts im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdbestimmung in der geburtshilflichen Forschungsliteratur zum „Wunschkaiserschnitt“ zu untersuchen und legt dabei einen besonderen Fokus auf Autonomie, Entscheidungsfindung sowie die Problematik der Verwendung des Wunschbegriffs. Zu diesem Zweck dient die Erstellung eines metaanalytischen Literaturreviews qualitativer Studien, die die Perspektive der Frauen auf das Phänomen „Wunschkaiserschnitt“ ins Zentrum der Untersuchung stellen.

Ergebnisse: Im Ergebnis beschreiben fünf der sechs ausgewählten Studien die Frauen bei der Wahl zur „elektiven Sectio“ als fremdbestimmt aufgrund kultureller, sozialer, körperlicher und struktureller Einflüsse und gleichzeitig im Entscheidungsfindungsprozess als rational und als im Sinne eines Marktmodells handelnde, selbstbestimmte Individuen [3], [4]. Ausschließlich eine Studie distanziert sich davon, den „Wunschkaiserschnitt“ im Sinne einer völligen Autonomie als selbstverantwortlich zu betrachten, sondern beschreibt die Entscheidung als interaktiv verlaufenden Aushandlungsprozess, der weder rational ist noch dem Verständnis eines Marktes entspricht [5]. Alle Studien erklären die inhaltliche Bedeutung der Begrifflichkeit des „Wunsches“ als problematisch, zwei davon reflektieren darüber hinaus die Bedeutung der Verwendung des „Wunschbegriffs“ auf Ebene der Semantik [3], [4].

Schlussfolgerung/Diskussion: Schlussfolgernd definieren Autonomie, Entscheidungsmodelle und „Wunsch“ das Spannungsfeld von Selbst- und Fremdbestimmung beim sogenannten „Wunschkaiserschnitt“. Einerseits führt dies sowohl in der Forschung als auch in der Praxis zu Konflikten und Herausforderungen, wie auch das Dilemma von Autonomie und Evidenz widerspiegelt. Andererseits geht damit die absolute Selbstverantwortung der Frau einher. Perspektivisch macht die unreflektierte Verwendung des „Wunschs“ sowohl eine Definition des „Wunschkaiserschnitts“ als auch Studien mit verflechtungstheoretischer Subjektbetrachtung, jenseits der handlungstheoretischen Pole „Individuum“ und „Struktur“, zur adäquaten Darstellung des Phänomens notwendig.

Ethik und Interessenkonflikt: Die Forschungsarbeit wurde aus folgendem Grund keiner Ethikkommission vorgelegt: Literaturreview. Sie wurde durch Eigenmittel finanziert. Es liegt kein Interessenkonflikt vor.


Literatur

1.
Fenwick J, Staff L, Gamble J, Creedy D, Bayes S. Why do women request caesarean section in a normal, healthy first pregnancy? Midwifery. 2010;26(4):394-400. DOI: 10.1016/j.midw.2008.10.011 Externer Link
2.
Karlström A, Nystedt A, Johansson M, Hildingsson I. Behind the myth – few women prefer caesarean section in the absence of medical or obstetrical factors. Midwifery. 2011;27(5):620-7. DOI: 10.1016/j.midw.2010.05.005 Externer Link
3.
Douché J, Carryer J. Caesarean section in the absence of need: a pathologising paradox for public health? Nursing Inquiry. 2011;18(2):143-53. DOI: 10.1111/j.1440-1800.2011.00533.x Externer Link
4.
Tully KP, Ball HL. Misrecognition of need: women’s experiences of and explanations for undergoing cesarean delivery. Social Science & Medicine. 2013;85:103‑11. DOI: 10.1016/j.socscimed.2013.02.039 Externer Link
5.
Kingdon C, Neilson J, Singleton V, Gyte G, Hart A, Gabbay M, Lavender T. Choice and birth method: mixed-method study of caesarean delivery for maternal request. BJOG. 2009;116(7):886‑95. DOI: 10.1111/j.1471-0528.2009.02119.x Externer Link