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4. Internationale Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi)

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e. V.

16.02.2018, Mainz

Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) in der Schwangerschaft – Erfahrungen von Frauen mit geringen finanziellen Ressourcen

Meeting Abstract

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  • corresponding author Annette Berthold - Hochschule für Gesundheit, Bochum, Deutschland
  • Renate Zwicker-Pelzer - Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, Köln, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft. 4. Internationale Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi). Mainz, 16.-16.02.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dghwiP03

doi: 10.3205/18dghwi09, urn:nbn:de:0183-18dghwi096

Dieses ist die deutsche Version des Artikels.
Die englische Version finden Sie unter: http://www.egms.de/en/meetings/dghwi2018/18dghwi09.shtml

Veröffentlicht: 13. Februar 2018

© 2018 Berthold et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Sind schwangere Frauen in Deutschland gesetzlich krankenversichert, erstattet die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in der Regel alle Leistungen, insofern sie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind [1]. Allerdings zeigen Erfahrungen aus Praxis und Forschung, dass in der Schwangerschaft von Gynäkolog/innen und Hebammen eine Reihe von „Individuellen Gesundheitsleistungen“ (IGeL) vorgeschlagen und durchgeführt werden, die nicht zu dem regulären Versorgungsangebot der GKV während der Schwangerschaft gehören. Ohne vorherige Indikation ist für derartige Leistungen, eine private (Zu)Zahlung der Schwangeren notwendig [2]. Dies sind z.B. 3D/4D Ultraschall-Untersuchungen, spezielle Blutuntersuchungen oder die Partnergebühr im Geburtsvorbereitungskurs. Offenbar werden IGeL von Schwangeren, unabhängig von ihrer sozioökonomischen Lebenssituation, genutzt oder nachgefragt [2], [3].

Fragestellung: Folgende Fragen werden bezüglich IGeL für Schwangere, denen nur geringe finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, betrachtet: 1. Wie erleben Schwangere, die in einer von Armut geprägten Situation leben, das Angebot von IGeL in der Schwangerschaft? 2. Welche Wünsche und Erwartungen haben Schwangere, bei geringen finanziellen Ressourcen, hinsichtlich der IGeL in der Schwangerschaft?

Methodik: Um sich erstmals in Deutschland diesem Thema qualitativ zu nähern, wurden zehn Frauen, die in finanzieller Armut leben (Hartz IV-Bezug), in persönlichen leitfadengestützten Interviews befragt. Die Interviews wurden in drei Städten in Nordrhein-Westfalen durchgeführt, aufgezeichnet, transkribiert und mittels der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet [4].

Ergebnisse: Die Frauen des Samples fühlen sich durch IGeL-Angebote belastet. Durch IGeL werden sie auch im Kontext der medizinischen Versorgungsstrukturen mit ihrer unzulänglichen finanziellen Lebenssituation konfrontiert und müssen zu einer Entscheidung finden, wie sie mit den privat zu zahlenden Leistungen umgehen. Sowohl den vollständigen Verzicht, als auch die Auswahl von einzelnen IGeL erleben die Schwangeren als belastend, da sie Sorge haben, von relevanter medizinischer Versorgung ausgegrenzt zu sein. Ein Ergebnis der Analyse zeigt, dass Frauen, die sich die privat zu zahlende Partnergebühr für den Geburtsvorbereitungskurs nicht leisten können, ganz auf einen Kurs verzichten, weil die gesetzlichen Krankenkassen die Kursgebühren grundsätzlich nur für die Schwangere und nur in Ausnahmefällen für den Partner oder eine andere Begleitperson übernehmen. Frauen, die sich scheuen, einen Kurs alleine zu besuchen, nehmen dadurch nicht einmal die Kassenleistung in Anspruch. Ein anderes Ergebnis macht deutlich, dass hochwertige Ultraschallbilder von den Frauen nicht nur mit medizinischer Vorsorge, sondern auch mit gesellschaftlicher Würdigung und der persönlichen Erinnerung an die Schwangerschaft verbunden werden.

Relevanz: Im Rahmen der qualitativen Studie wurde Schwangeren, die in einer von finanzieller Armut geprägten Situation leben, erstmals die Möglichkeit gegeben, sich ausführlich zu dem aktuellen Thema IGeL in der Schwangerschaft zu äußern.

Schlussfolgerung: Die Ergebnisse bieten einen ersten Einblick in die subjektiven Wünsche, Erwartungen und Bewältigungsstrategien der betroffenen Frauen und können als Basis für Diskussion unter Hebammen und Ärzt/innen und weitere qualitative oder quantitative Studien dienen.

Ethik und Interessenkonflikt: Die Forschungsarbeit wurde aus folgendem Grund keiner Ethikkommission vorgelegt: Forschungsethische Grundsätze wurden auf Grundlage des Ethik-Kodexes der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) und der Helsinki-Deklaration eingehalten und umgesetzt. Sie wurde durch Eigenmittel finanziert. Es liegt kein Interessenkonflikt vor.


Literatur

1.
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Sozialgesetzbuch (SGB) Fuenftes Buch (V) – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 20.12.1988, BGBI. I S. 2477), zuletzt geändert durch Art. 30 G v. 27.6.2017. I 1966.
2.
Schaefers R, Kolip P. Zusatzangebote in der Schwangerschaft: Sichere Rundumversorgung oder Geschäft mit der Unsicherheit? In: Böcken J, Braun B, Meierjürgen R, Hrsg. Gesundheitsmonitor 2015: Bürgerorientierung im Gesundheitswesen – Kooperationsprojekt der Bertelsmann Stiftung und der BARMER GEK. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung; 2015. p. 119–50.
3.
Siegmund-Schultze E, Kielblock B, Bansen T. Schwangerschaft und Geburt: Was kann die Krankenkasse tun? Gesundh ökon Qual manag. 2008;13(4):210-5. DOI: 10.1055/s-2008-1027223 Externer Link
4.
Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. Weinheim Basel: Beltz; 2010.