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Verzerrte Informationsverarbeitung bei Essstörungen: Ein Symptom oder ein ätiologischer Faktor? Eine experimentelle Online-Untersuchung zur Erfassung und Induktion eines Interpretationsbias
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Veröffentlicht: | 18. Februar 2016 |
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Hintergrund: Kognitiv-behaviorale Theorien postulieren kognitive Verzerrungen, beispielsweise Interpretationsbias, im Sinne einer Dominanz der Überbewertung von Figur und Gewicht als zentral für die Aufrechterhaltung von Essstörungen. Nur wenige Studien haben die charakteristische Verarbeitung von mehrdeutigen Situationen in Richtung einer negativen figurbezogenen Interpretation bei Menschen mit (sub-)klinischen Essstörungen gezeigt. Es bleibt allerdings unklar, ob der Bias kausal auf die Essstörungssymptomatik wirkt und ob die Erfassung solcher Prozesse auch in leicht zugänglichen (online) Formen möglich ist.
Methoden: In der vorliegenden Studie wurde zunächst mittels eines modifizierten Paradigmas, des Wort-Satz-Assoziationsparadigma, der Interpretationsbias online bei zwei Gruppen von Frauen (>18 Jahre; 56 gesunde und 39 mit Essstörungssymptomen; EDE-Q >= 3.18) untersucht. Danach wurde bei drei gesunden Gruppen (positiv: n = 30, negativ: n = 29 und neutral: n = 25) eine Bias-Induktion mittels entsprechenden Rückmeldungen zu den Antworten im selben Paradigma durchgeführt. Vor und nach der Induktion wurden das Körperbild, die Körperunzufriedenheit und Emotionen (Frustration, Ekel, Scham, Angst und Traurigkeit) sowie die Schwere des Bias (Anteil angenommener Interpretationen und Reaktionszeit) untersucht.
Ergebnisse: Auch online zeigte sich bei Teilnehmerinnen mit Essstörungssymptomen im Vergleich zu gesunden ein verstärkter negativer essstörungsspezifischer Interpretationsbias (Anteil angenommene Interpretationen und Reaktionszeiten; ps < .001). Die Befunde zur Induktion des Bias waren weniger konsistent. Während die Akzeptanz für positive Interpretationen in allen Gruppen stieg (p < .001), zeigte sich eine Abnahme der Akzeptanz negativer Interpretationen nur bei den positiv (p < .001) und neutral induzierten Gruppen (p < .05). Das Körperbild verschlechterte sich nach der negativen Induktion (p < .05). Keine signifikanten Effekte wurden für die Reaktionszeit, die Körperunzufriedenheit und die Emotionen gefunden.
Schlussfolgerung: Die Studien konnten erstens zeigen, dass der Interpretationsbias auch mittels eines Onlineparadigmas erfasst werden kann. Zweitens war ein Trend hinsichtlich der Induzierbarkeit des Bias zu verzeichnen, was die Kausalität der Verzerrung für die Entwicklung und Aufrechterhaltung unterstützen würde. Nach einer Replikation des letzten Befundes, wäre ein nächster Schritt die Entwicklung und Evaluation eines Online-Modifikation-Trainings, welches das Potenzial haben könnte, die Wartelistenzeit zu verkürzen und bereits vor Therapiebeginn zu einer Symptomreduktion beizutragen.