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Deprescribing von Antidepressiva: RAND-Verfahren zur Konsentierung von Kriterien für Risiko- und Übermedikation
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Veröffentlicht: | 27. September 2023 |
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Hintergrund: Der Einsatz von Antidepressiva hat weltweit deutlich zugenommen, wobei der beobachtete Anstieg u.a. auf vermehrten Langzeitgebrauch und den Einsatz von Antidepressiva zur Behandlung von Schlafstörungen und chronischen Schmerzen zurückzuführen ist. Insbesondere bei älteren Patient:innen mit Multimorbidität und Multimedikation können Antidepressiva das Risiko schwerwiegender unerwünschter Wirkungen erhöhen. Potenzielle Übermedikation und Risikomedikation mit Antidepressiva können daher Anlass sein, eine Therapie mit Antidepressiva zu überprüfen, zu reduzieren oder sie zu beenden (Deprescribing).
Fragestellung: Wann sollten Antidepressiva bei Patient:innen mit Multimorbidität und Multimedikation aufgrund des Risikos unerwünschter Arzneimittelwirkungen oder hoher Behandlungslast kritisch überprüft werden?
Methoden: Das Studiendesign ist ein Konsensverfahren auf der Grundlage der RAND Appropriateness Method. Anhand einer Literaturrecherche wurden Konstellationen für eine Risiko- und Übermedikation mit Antidepressiva identifiziert, die von insgesamt 10 Experten auf die Notwendigkeit einer kritischen Überprüfung der Verordnung von Antidepressiva auf einer 9-Punkte-Likert-Skala bewertet wurden. Das Konsensverfahren umfasste ein dreistufiges Bewertungsverfahren, wobei zwischen den Bewertungsrunden jeweils die bisherigen Ergebnisse vorgestellt und im Rahmen eines moderierten Meetings diskutiert wurden.
Ergebnisse: Die teilnehmenden Experten waren 10 Ärzt:innen mit Facharztweiterbildungen in Allgemeinmedizin, (Geronto-)Psychiatrie, Geriatrie und Pharmakologie. Die abschließende Bewertungsrunde ergab über 30 Indikatoren für eine Risikomedikation, die v.a. Konstellationen für bekannte anticholinerge und kardiovaskuläre Risiken sowie gastrointestinale Blutungen, Stürze und Hyponatriämie umfassten. Zusätzlich wurden über 20 Indikatoren für eine Übermedikation identifiziert, die insbesondere die angemessene Dauer der Antidepressiva-Therapie für verschiedene Indikationen berücksichtigten.
Diskussion: Das Absetzen von Antidepressiva ist eine komplexe Entscheidung, die eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Abwägung für jede:n einzelne:n Patient:in erfordert. Da derzeit klare Leitlinien für die Notwendigkeit einer Überprüfung der Antidepressiva Verordnung fehlen, wurden hier klinische Situationen identifiziert, die eine zeitnahe kritische Überprüfung der Antidepressiva erfordern, und somit Ärzt:innen bei dieser Entscheidung unterstützen können.
Take Home Message für die Praxis: Die konsentierten Indikatoren können im Rahmen von Deprescribing-Interventionen als Entscheidungshilfen für eine sichere und angemessene Behandlung mit Antidepressiva eingesetzt werden und eignen sich zur kontinuierlichen Verbesserung der Medikationssicherheit im hausärztlichen Kontext.