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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Alles dual oder was? Kooperatives, praxisintegrierendes oder praxisbegleitendes Studium in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft

Cooperative work-study programs in Library and Information Science in Germany

Fachbeitrag Personalgewinnung und -entwicklung

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  • corresponding author Ulla Wimmer - Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft, Berlin, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2024;24(1):Doc12

doi: 10.3205/mbi000595, urn:nbn:de:0183-mbi0005950

Veröffentlicht: 13. September 2024

© 2024 Wimmer.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Strategische Personalgewinnung richtet sich auf alle Phasen der Berufsbiographie. Sie beginnt schon beim Einstieg in ein Berufsfeld durch Ausbildung oder Studium. Duale Studiengänge gelten hier als besonders flexibel und versprechen eine frühe Bindung zwischen Bibliothek und prospektiven Absolvent*innen. Aufgrund von diversen hochschulrechtlichen Gegebenheiten gibt es derzeit in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft keinen offiziell dualen Studiengang, aber es gibt flexible und unbürokratische Alternativen dafür. Der Beitrag erklärt, welche „dual-ähnlichen“ Möglichkeiten für eine Kombination aus (bezahlter) Praxis und Studium die bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Institute anbieten.

Schlüsselwörter: duales Studium, Bibliotheks- und Informationswissenschaft, Studiengänge

Abstract

Strategic staff recruitment has to focus on all phases of the professional biography. It begins with the entry into a professional field through professional training or studies. Work-study programs – or “dual study programs” – are considered particularly flexible in this respect and promise an early bond between the library and prospective graduates. Due to various regulations, there is currently no officially “dual” study program in library and information science in Germany, but there are flexible and unbureaucratic alternatives. This article explains which “dual-like” options for a combination of (paid) professional practice and studies the library and information science institutes offer.

Keywords: work study programs, library and information science, study programs


1 Einleitung

„Duales Studium“ ist in aller Munde: Ob Soziale Arbeit, Versicherungsmanagement oder Wirtschaftsinformatik – in zahlreichen Bereichen bieten Verwaltungen, Unternehmen und Hochschulen gemeinsame Studiengänge an, die Theorie und Praxis von Anfang an verbinden. Die Betriebe hoffen, sich Nachwuchskräfte zu sichern, die das spezifische Wissen des Unternehmens schon im Studium erwerben und damit direkt nach dem Abschluss einsetzbar sind. Für die Studierenden stehen die unterschiedlichen Lernorte und Lernformen, die ganzheitliche (Aus-)Bildung und die Finanzierung des Studiums im Vordergrund. Wie steht es mit dem dualen Studium in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft (Library and Information Science, LIS)? Welche Formen und Angebote gibt es für Bibliotheken, Studierende frühzeitig zu fördern und sich damit als attraktive Arbeitgeber*innen zu etablieren?

Dieser Beitrag wird zunächst auf das Ziel von dualen Studiengängen eingehen, dann den Begriff „Duales Studium“ näher erläutern. Bei einer Bestandsaufnahme wird festgestellt, dass es zurzeit in Deutschland keinen Studiengang im Bereich der LIS gibt, der offiziell „duales Studium“ heißt. Es gibt stattdessen eine Vielzahl von neuen und alten Möglichkeiten, das Hochschulstudium mit (bezahlter) Praxis in einem LIS-Studiengang zu verbinden. Diese Möglichkeiten werden am Ende vorgestellt.


2 Was ist der Vorteil von dualen Studiengängen?

Die derzeitige Attraktivität von dualen Studiengängen – seitens der Unternehmen/Betriebe und seitens der Studierenden – hängt zum einen mit dem laufenden Generationswechsel und dem demographischen Wandel zusammen, die zum bekannten Fachkräftemangel führen. Dieser schlägt sich nieder in sinkenden Bewerbungszahlen auf Stellenausschreibungen, aber auch sinkenden Bewerbungen auf Studienplätze. Bibliotheken und Hochschulen sitzen also im selben Boot, wenn es darum geht, mehr motivierte Studierende und mehr Mitarbeiter*innen mit zeitgemäßen Kompetenzen anzuziehen. Zum anderen gibt es qualitative Argumente für ein duales Studium: den frühen Abgleich von Theorie und Praxis, die unterschiedlichen Lernorte, die für eine reichhaltige Lernerfahrung sorgen, eine ganzheitliche (Aus-)Bildung. Nicht zuletzt muss heute jeder Berufsstand der Tatsache Rechnung tragen, dass Lebensentwürfe und Karrierewege immer vielfältiger werden und die Frage nach der Finanzierbarkeit eines Studiums in späteren Lebensphasen eine größere Relevanz bekommt.

Aus diesen Gründen möchten Bibliotheken und LIS-Hochschulen bzw. LIS-Fachbereiche möglichst vielfältige Zugangswege ins Berufsfeld bieten, und zwar auch außerhalb des „klassischen“ Karrierewegs. Bibliotheksbezogene Studiengänge sollen dadurch attraktiver werden, dass es möglich ist, ein LIS-Studium mit praktischer Bibliothekserfahrung bzw. mit bezahlter Berufstätigkeit zu verbinden. Es gibt viele Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen. Das Konzept „duales Studium“ ist ein Teil von ihnen.

(Fast) alle bibliotheksbezogenen Studiengänge haben traditionell einen Praxisbezug, ein beträchtlicher Teil der Leistung wird in Form von Praktika, einem ganzen Praxissemester oder anerkannter berufspraktischer Tätigkeit erbracht. Worin besteht also der Unterschied zu einem dualen Studiengang?


3 Was ist ein „duales Studium“?

Der Begriff „Duales Studium“ scheint auf den ersten Blick recht klar zu sein: Ein Studium, das den Erwerb von theoretischen und praktischen Fähigkeiten verbindet, und in dem der/die Studierende von Anfang an ein Ausbildungsentgelt erhält. Wie diese Verbindung von Lernen an der Hochschule und in einem Unternehmen jedoch genau aussieht, bleibt zu klären. Dafür gibt es eine Vielzahl von Modellen. Sie werden z.B. mit den Begriffen berufsbegleitend, berufsintegrierend, praxisintegrierend oder praxisbegleitend bezeichnet.

2013 hat der Wissenschaftsrat diese Modell- und Begriffsvielfalt mit seinen „Empfehlungen zur Entwicklung des dualen Studiums“ systematisiert [1]. Aus diesen ergibt sich, ob ein Studiengang formal als „dual“ bezeichnet werden kann. Auf diese Empfehlungen beziehen sich auch die folgenden Ausführungen.

Laut dem Positionspapier des Wissenschaftsrats gehören zu einem dualen Studium zwei Charakteristika:

1.
Es muss sich um ein wissenschaftliches Studium handeln (es muss also deutlich über Ausbildungsniveau hinausgehen und es gilt die Freiheit der Lehre) und
2.
dieses Studium findet an mindestens zwei sogenannten „Lernorten“ statt, nämlich an der Hochschule und im Betrieb / bei einem Praxispartner.

Das heißt, in einem dualen Studium ist die Bibliothek Lern- bzw. Ausbildungsort, nicht Arbeitsort. Der/die Studierende ist kein*e Arbeitnehmer*in sondern hat den Status einer Person in Ausbildung bzw. im Studium.

Die beiden Lernorte eines dualen Studiums müssen laut Wissenschaftsrat überdies „strukturell und inhaltlich verzahnt“ sein. „Strukturelle Verzahnung“ bedeutet, dass die Studierenden an beiden Orten als Lernende betreut werden und dass diese Betreuung koordiniert stattfindet. Um dies zu gewährleisten, muss es eine vertragliche Regelung zwischen Praxispartner und Hochschule geben sowie gemeinsame Gremien zur Abstimmung und Planung. Die Hochschule ist für die Qualitätskontrolle des Studiums sowohl in der eigenen Lehre als auch beim Praxispartner zuständig, der Praxispartner der Hochschule in dieser Hinsicht also Rechenschaft schuldig.

„Inhaltliche Verzahnung“ bedeutet, dass Praxisphasen als Studieninhalte in ECTS auf das Studium angerechnet werden. Die beiden Lernorte beziehen sich aufeinander mittels „gestalteter Bezugnahmen“, d.h. das Curriculum des Studiengangs und die Lernziele in den Praxisphasen sind aufeinander abgestimmt, die Lehrinhalte beziehen sich aufeinander und es gibt spezielle Lehrveranstaltungen (z.B. Praxiskolloquien), bei denen der Bezug zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung reflektiert wird. Die duale Komponente muss in einer eigenen Studien- und Prüfungsordnung formal abgebildet werden, d.h. ein dualer Studiengang läuft als Studiengang separat zu einem nicht-dualen Studiengang.

Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt die Systematik, die sich aus diesen Kriterien ergibt. „Dual“ können laut Wissenschaftsrat nur Studienformate sein, bei denen es die formale und inhaltliche „Verzahnung“ gibt. Das sind die in der linken Spalte von Abbildung 1 [Abb. 1]. Sie heißen berufs- oder praxis-„integrierend“. Wenn der/die Studierende einen Ausbildungsvertrag mit der Einrichtung hat, dann spricht man von „praxisintegrierend“. Wenn der/die Studierende einen Arbeitsvertrag mit der Einrichtung hat, dann spricht man von „berufsintegrierend“. Voraussetzung ist hier natürlich, dass die Person bereits einen ersten berufsqualifizierenden Abschluss hat, also einen Ausbildungs- oder einen Bachelorabschluss.

Bei anderen Modellen (vgl. Abbildung 1 [Abb. 1], rechte Spalte) werden zwar auch Beruf, Praktikum und Studium kombiniert, aber ohne engere „gestaltete Bezugnahmen“, daher können diese Studienformate nach den Kriterien des Wissenschaftsrats nicht dual genannt werden. Sie werden als „begleitend“ bezeichnet.

Für ein duales Studium müssen also die drei Partner institutionell-strukturell, d.h. auch vertraglich, mit einander verbunden werden: Die Praxiseinrichtung und Hochschule regeln ihre Beziehung in einem Vertrag, der auch Absprachen zur Zulassung beinhaltet. Praxiseinrichtung und Studierende schließen ebenfalls einen (Ausbildungs-)Vertrag. Und Hochschule und Studierende regeln ihr Verhältnis in einer spezifischen Studienordnung, die die Verzahnung der unterschiedlichen Studienphasen und -anteile regelt. Dazu kommen ggf. noch länderspezifische Regelungen (z.B. kann in Baden-Württemberg nur die Duale Hochschule Baden-Württemberg duale Studiengänge anbieten.)

Organisatorisch sieht ein duales Studium so aus, dass der/die Studierende von der Einrichtung eine monatliche Ausbildungsvergütung erhält und einen tariflichen Urlaubsanspruch hat. Es wechseln sich in den folgenden sechs bis sieben Semestern Theorie- und Praxisphasen ab (z.B. in einem dreimonatigen Rhythmus). Die Theoriephasen finden an der Hochschule in Form von Vorlesungen, Seminaren und Übungen statt. Die Praxisphasen finden im Unternehmen in Form einer praktischen Unterweisung oder von Projekten statt. Während der Praxisphasen wird auch der Urlaub genommen.

Der Wissenschaftsrat unterscheidet also das systematisch verzahnte, inhaltlich und strukturell abgestimmte duale Studium von einer rein zeitlich möglichen Kombination aus Studium und Beruf oder von einem Studium mit Praktikumsanteilen.


4 Wie „dual“ sind die LIS-Studiengänge derzeit?

Fassen wir die Kriterien zusammen, die ein Studiengang erfüllen muss, um sich offiziell als „dual“ bezeichnen zu dürfen – also dreiseitige vertragliche Vereinbarungen, gemeinsame Gremien, gegenseitige Anrechnung von Studienleistungen, inhaltliche Abstimmung, gemeinsame Betreuung, eine eigene Studienordnung – dann stellen wir fest, dass nur die traditionellsten Studienformen im Bibliotheksbereich die Anforderungen des Wissenschaftsrates weitgehend erfüllen, nämlich das Referendariat im Masterniveau und die verwaltungsinterne Ausbildung (die heute nur noch in Bayern möglich ist) auf dem Bachelor-Niveau. Bei diesen Studiengängen sind die meisten Kriterien erfüllt – was allerdings fehlt, ist das Label „dual“.

Einen eigenständigen, formal als „dual“ bezeichneten Studiengang gibt es dagegen in unserem Fach nicht. Die Gründe dafür deuten sich nach den o.g. Ausführungen bereits an: Die formalen und regulatorischen Anforderungen an jeden neuen Studiengang sind enorm, für einen kooperativen – dualen – Studiengang sind sie noch einmal größer. Um einen neuen Studiengang zu etablieren, ist ein Vorlauf von 2–3 Jahren realistisch, ganz abgesehen davon, dass zurückgehende Studierendenzahlen einen neuen zusätzlichen Studiengang nur schwer begründbar machen. Zwar sind bei den bestehenden Studiengängen die Kriterien für ein duales Studium nicht erfüllt. In Bezug auf die erweiterte Zielsetzung der Bibliotheken und LIS-Hochschulen – nämlich ein Studium bezahlt mit praktischen Anteilen zu verbinden – können jedoch auch die „begleitenden“ Studienformate durchaus relevant sein. Insofern ist es sinnvoll, die vorhandenen Studienmöglichkeiten um Studienmodelle zu erweitern, die dann zwar nicht „dual“ heißen, aber diese Ziele unterstützen und einige Kriterien erfüllen.

Es finden sich bereits jetzt verschiedene Zwischenformen für die (bezahlte) Verbindung von praktischer Tätigkeit und Studium:

  • In praktisch allen LIS-Studiengängen gibt es eine informelle Verbindung von Studium und Berufstätigkeit – z.B. durch die zahlreichen Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste (FaMIs), die in Bachelorstudiengängen studieren oder Bachelor-Absolvent*innen, die bei reduzierter Berufstätigkeit den Master absolvieren. Allerdings liegt hier – im Gegensatz zum dualen oder dual-ähnlichen – Studium, die Last, beide Bereiche zu verbinden, ausschließlich bei den Studierenden. Und es gibt nur wenige „gestaltete Bezugnahmen“ zwischen Studium und Beruf.
  • Die weiterbildenden Studiengänge auf Master-Niveau (an der Technischen Hochschule Köln [2], der Technischen Hochschule Wildau [3] oder der Humboldt-Universität zu Berlin [4]) integrieren alle in irgendeiner Form Beruf oder Praxis (z.B. in Form von Praxis-Projekten, Anrechnungen usw.), heißen aber nicht „dual“ – und müssen aufgrund ihres weiterbildenden Charakters kostenpflichtig angeboten werden, was eine zusätzliche Hürde darstellt.
  • Auf der Bachelor-Ebene gibt es mittlerweile einige Studiengänge, die besonders berufstätige FaMIs im Blick haben und ihnen das Studium so ermöglichen, dass sie während des Studiums im Beruf bleiben können und ggf. Vorkenntnisse anrechnen, die zu einer Verkürzung der Studienzeit führen.

Auch innerhalb der Studiengänge sind unterschiedliche Konstellationen möglich: Manche der berufstätigen Studierenden studieren ohne Unterstützung ihrer Arbeitsstelle, andere in enger Absprache und mit organisatorischer oder gar finanzieller Unterstützung ihrer Bibliothek. Das Land Berlin vergibt z.B. derzeit sogenannte „Hauptstadtstipendien“ (https://www.berlin.de/karriereportal/kampagnen) an Studierende in Studiengängen, die für öffentliche Einrichtungen relevant sind. Einige dieser Stipendien wurden bereits für Studierende der Bibliotheks- und Informationswissenschaft ausgeschrieben. Ein Beispiel dafür, wie eine Bibliothek aus einem Studiengang eigenständig eine „quasi-duale“ Weiterbildung mit „Praxisphasen“ konzipieren kann, ist das Weiterbildungsangebot für Quereinsteiger*innen der Bibliothek der TU München auf der Q4 / Masterniveau [5].

Wir sehen: Das Ziel, Studium und Bibliothekstätigkeit sowie theoretischen und praktischen Kompetenzerwerb bezahlt zu verbinden, kann auf vielen Wegen erreicht werden. Auch Studiengänge, die nicht unter dem Label „dual“ laufen, können Aspekte eines dualen Studiums aufweisen. Im Sinne der langfristigen Personalgewinnung geht es im Kern darum, wie Bibliotheken ihre Mitarbeiter*innen bei einem Studium unterstützen können und wie die Hochschulen ihre LIS-Studiengänge so gestalten können, dass bezahlte Berufstätigkeit möglich ist. Dieser Weg besteht darin, die vorhandenen Studiengänge um „duale“ – d.h. praxis- oder berufsintegrierende – Studienmöglichkeiten zu erweitern. Drei Beispiele dafür folgen im nächsten Kapitel. Dieses entstand mit Unterstützung von Dr. Anke Wittich, Hochschule Hannover, Prof. Dr. Heidrun Wiesenmüller, Hochschule der Medien Stuttgart, und Prof. Dr. Simone Fühles-Ubach, Technische Hochschule Köln.


5 „Dual-ähnliche“ Studienmöglichkeiten in der LIS an deutschen Hochschulen

Wir halten fest: Es gibt in Deutschland Studiengänge, die alle Kriterien eines dualen Studiums erfüllen, aber nicht dual heißen: die verwaltungsinterne Ausbildung zum gehobenen Dienst (Q3) in Bayern und das Referendariat bzw. Volontariat für den höheren Dienst (Q4) in allen Bundesländern.

Es ist weiterhin üblich, dass Beschäftigte in Bibliotheken (meist FaMIs) parallel zu ihrer Berufstätigkeit studieren – in Vollzeit oder Teilzeit, mit oder ohne Unterstützung durch ihre arbeitgebende Institution. Diese Konstellation gibt es an allen Hochschulen, sie gilt aber – aus den oben erläuterten Gründen – nicht als „dual“.

Darüber hinaus gibt es Studiengänge, die eine Form des „dual-ähnlichen“, praxis- oder berufsbegleitenden oder -integrierenden Bachelor-Studiums anbieten. Diese Studiengänge stelle ich im Folgenden im Überblick vor. Da alle Hochschulen sich derzeit mit der Frage nach flexibleren Studienmöglichkeiten beschäftigen, wird es hier in den nächsten Jahren einige Bewegung geben; es handelt sich also um eine Momentaufnahme zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Beitrags Mitte 2024.

Die Studiengänge setzen unterschiedliche fachliche Schwerpunkte und bieten den Studierenden verschiedene Spezialisierungsrichtungen. Sie qualifizieren aber alle für eine Tätigkeit im Informationssektor, und dabei stehen Bibliotheken besonders im Fokus. Auf inhaltliche Unterschiede zwischen den Studiengängen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden; ich beschränke mich auf die organisatorischen und vertraglichen Modelle zur Verbindung einer Praxistätigkeit mit einem Studium sowie auf die Rollen, die die drei Akteur*innen – Studierende/r, Bibliothek und Hochschule – darin einnehmen. Besonders relevant sind dabei folgende Aspekte:

  • Zugang und Zulassung
  • Organisation / Vereinbarkeit mit Berufstätigkeit / Praxisphasen
  • Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Hochschule – Bibliothek – Studierenden
  • Rolle der Bibliothek im Studium

Der Bachelor-Studiengang „Informationsmanagement berufsbegleitend“ (BIB) an der Hochschule Hannover

Der Studiengang „Informationsmanagement berufsbegleitend“ [6] ist das älteste bestehende Studienmodell auf Bachelor-Ebene, das die Verbindung von Beruf und Studium mitdenkt. Es handelt sich dabei um einen regulären, grundständigen Bachelor-Studiengang, der so organisiert ist, dass das Studium mit einer Berufstätigkeit verbunden und auch aus größerer räumlicher Entfernung studiert werden kann. Konkret besteht das Studium aus fünf bis sechs Präsenzphasen an der Hochschule (Donnerstag/Freitag/Samstag) pro Semester, die durch Selbststudium und virtuelle Lernangebote ergänzt werden. In sieben Semestern erwerben die Studierenden so einen Bachelor-Abschluss. Die beiden notwendigen Praxisphasen können in der eigenen Einrichtung abgeleistet werden, die zweite Phase häufig in Form eines Praxisprojektes.

Der Studiengang steht Studierenden offen, die ein Abitur und eine FaMI-Ausbildung besitzen oder bereits mindestens drei Jahre in einer Bibliothek tätig sind: entweder als FaMI oder als Quereinsteiger*in mit Studienabschluss. Personen ohne Abitur oder Fachhochschulreife können die Hochschulzugangsberechtigung auch durch mehrjährige berufliche Tätigkeit erwerben.

Die Studierenden haben in der Regel einen Arbeitsvertrag mit der Bibliothek; zunehmend gibt es auch Weiterbildungsvereinbarungen. Da es sich um ein reguläres grundständiges Studium handelt, gibt es keine Vereinbarungen zwischen Bibliothek und Hochschule: Die Zulassung erfolgt allein durch die Hochschule. Es fallen ausschließlich die üblichen Studienbeiträge an. In diesem Studiengang studiert jährlich eine Kohorte von 30–35 Studierenden.

Bibliothek und Hochschule gehen in diesem Fall also formal keine Beziehung ein. Während des Studiums spielt die arbeitgebende Bibliothek für die Studierenden selbstverständlich trotzdem eine bedeutende Rolle. Diese variiert jedoch stark: Wenn Studierende bewusst ihre Berufstätigkeit und das Studium trennen möchten, nimmt die Bibliothek keine aktive Rolle ein, weiß im Extremfall nicht einmal von dem Studium. Führen die Studierenden das Studium aber mit Wissen oder in Absprache mit ihrer Bibliothek durch (das ist die Mehrheit), dann sind sehr unterschiedliche Formen und Grade der Unterstützung möglich. Neben finanzieller oder organisatorischer Unterstützung, wie der Flexibilisierung von Arbeitszeiten, Freistellungen oder einer Übernahme von Reisekosten oder der Studienbeiträge, spielt es für die Studierenden vor allem eine Rolle, dass ihr Studium als besonderes Engagement von der Bibliotheksleitung wertgeschätzt wird. Das kann sich ganz einfach darin äußern, dass die Präsenzphasen bei der Dienstplanung berücksichtigt werden, oder dass den Mitarbeiter*innen auch im Betrieb möglichst oft die Möglichkeit zum Lernen gegeben wird, z.B. durch Mitarbeit in Projektgruppen, in Gremien oder durch Hospitationen.

Der Bachelor-Studiengang „Bibliothek und Digitale Information“ an der Hochschule der Medien Stuttgart

Der Studiengang „Bibliothek und digitale Information“ [7] (bis Sommersemester 2024: „Informationswissenschaften“) an der Hochschule der Medien Stuttgart (vgl. den Beitrag von Vonhof & Wiesenmüller in diesem Heft [8]) kann auch praxisbegleitend studiert werden. Es handelt sich nicht um einen eigenen Studiengang und es gelten die allgemeinen Regeln zur Zulassung von Studierenden und für den Zugang zur Hochschule. D.h. es ist eine Hochschulzugangsberechtigung (Abitur oder Fachhochschulreife) notwendig, um studieren zu können. Studieninteressierte mit einschlägiger mehrjähriger Berufstätigkeit, die keine Hochschulzugangsberechtigung haben, können auf dem Wege einer besonderen Eignungsprüfung zugelassen werden.

Die Initiative zum praxisbegleitenden Studium geht von Bibliotheken aus, die dies als zusätzlichen Weg der Personalgewinnung und -bindung nutzen möchten. Sie schreiben entsprechende Stellen aus und wählen in einem regulären Bewerbungsprozess geeignete Bewerber*innen aus. Im nächsten Schritt bewerben sich diese Personen ganz regulär an der Hochschule um einen Studienplatz. Zu beachten ist, dass es keine Vereinbarung bzw. keinen Vertrag zwischen den Bibliotheken und der Hochschule gibt. Studierende mit FaMI-Abschluss der Fachrichtung Bibliothek können das 7-semestrige Studium auf dem Weg der strukturierten Anrechnung auf 5 Semester verkürzen [9].

Die Ausgestaltung der Beziehung zwischen Bibliothek und Studierender/m, einschließlich des Vertragsverhältnisses und der Vergütung, liegt alleine in der Verantwortung der Einrichtung bzw. ihres Trägers. Damit entsteht ein „gesponsertes Studium“, in dem die Studierenden den regulären Vollzeit-Bachelor-Studiengang absolvieren und vor allem in der vorlesungsfreien Zeit in der Bibliothek zusätzliche Praxiserfahrung sammeln. Das Studium beinhaltet außerdem ein Praxissemester, das in der Regel in der Bibliothek absolviert wird. In vielen Fällen bedeutet dies für den/die Studierende*n pendeln zwischen Betrieb und Hochschule.

In diesem Modell initiiert also die Bibliothek das Studium. Sie allein steht in einer vertraglichen Beziehung zum oder zur Studierenden. Die Bibliothek wird damit Lernort und kann sich überlegen, in welcher Form sie diese Rolle ausgestalten will. Dazu kann sie auf Formate zurückgreifen, die aus anderen Ausbildungsverhältnissen (vom FaMI bis zum Referendariat) bekannt sind, besonders auf den Hausdurchlauf oder kleinere Projekte.

Die ersten praxisbegleitend Studierenden haben das Studium zum Wintersemester 2022/23 begonnen. Aktuell studieren 10 Personen praxisbegleitend.

Das praxisintegrierende Studium im Bachelor-Studiengang „Bibliothek und digitale Kommunikation“ an der Technischen Hochschule Köln

Seit dem Wintersemester 2023/24 bietet das Institut für Informationswissenschaft (IWS) der Technischen Hochschule Köln ein „praxisintegrierendes“ Studium [10] an. Auch diese Studienmöglichkeit ist eine Modifikation des regulären Bachelor-Studiengangs „Bibliothek und digitale Kommunikation“. Das Modell wurde in Anlehnung an das praxisbegleitende Studium an der HdM Stuttgart entwickelt und weist daher viele Ähnlichkeiten auf:

Die entsendende Bibliothek schreibt eine Stelle zum praxisintegrierenden Studium aus und wählt eine/n Bewerber*in aus. Diese/r bewirbt sich dann um einen Studienplatz im Studiengang, der derzeit zulassungsbeschränkt ist. Zugelassen werden können Personen mit einer Hochschulzugangsberechtigung oder mit einem FaMI-Abschluss und mindestens drei Jahren Berufserfahrung. Das Studium umfasst sieben Semester, FaMIs können hier ebenfalls die Studienzeit auf 5 Semester verkürzen; sie steigen dann ohne Numerus Clausus als Quereinsteiger direkt ins dritte Semester ein.

Erst wenn klar ist, dass der/die Bewerber*in zum Studium zugelassen wurde, schließen Bibliothek und Studierende/r einen Vertrag ab. Im Fall eines/r Neueinsteiger*in wird ein Ausbildungsvertrag abgeschlossen (ein Beispiel für einen Ausbildungsvertrag wird auf der Informationsseite zum Studiengang bereitgestellt [10]), der z.B. vorsieht, dass die vorlesungsfreien Zeiten (abzüglich des Urlaubs) und das Praxissemester in der entsendenden Bibliothek verbracht werden. Auch eine Ausbildungsvergütung ist darin vereinbart, die z.B. der Höhe der FaMI-Vergütung entsprechen kann. Es liegt bei der Bibliothek, inwiefern sie den Studierenden weitere Unterstützung – z.B. Reisekosten – zukommen lässt.

Handelt es sich um eine/n (FaMI-)Angestellte/n der Bibliothek, wird nach der Zulassung „ein Arbeitszeit- und Finanzierungsmodell für die Dauer des Studiums“ [10] vereinbart. Die Hochschule empfiehlt eine wöchentliche Arbeitszeit von nicht mehr als 10 Stunden.

Ein Vertrag zwischen Bibliothek und Hochschule ist nicht vorgesehen, eine Bibliothek muss jedoch in der Lage sein, ihre/n Studierende/n fachlich und persönlich anzuleiten. Hier nimmt die Bibliothek also eine Rolle als Lernort ein und soll diese angemessen ausfüllen.


6 Fazit

Es gibt viele Möglichkeiten, auch ohne das Label „dual“ ein Studium und Bibliothekspraxis (bezahlt) zu verbinden und damit den Einstieg in den Bibliotheksberuf oder die Höherqualifizierung attraktiv zu gestalten. Im Vergleich zur Einrichtung neuer Studiengänge ist es schneller und risikoärmer, die bestehenden Studiengänge um kooperative Studienmodelle zu erweitern.

Drei Beispiele für solche behutsamen Erweiterungen wurden vorgestellt. Auch wenn die LIS-Studiengänge selbst nicht „dual“ heißen, können Bibliotheken Qualifikationsstellen im Sinne eines „dualen Studiums“ ausschreiben, um damit den kooperativen und unterstützenden Charakter des Studienmodells zu verdeutlichen.

Bibliotheken, die eine/n Studierende/n von Anfang an einbinden oder einer/m Beschäftigten eine Höherqualifizierung ermöglichen möchten, sollten sich mit der nächstgelegenen Hochschule in Verbindung setzen. Die Möglichkeiten, Studium und Bibliothekspraxis kreativ zu verbinden, sind noch lange nicht ausgeschöpft. Bibliotheken und Hochschulen können hierfür gemeinsam neue Wege finden.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.

ORCID der Autorin

Dr. Ulla Wimmer: 0000-0003-0725-4567


Literatur

1.
Wissenschaftsrat. Empfehlungen zur Entwicklung des dualen Studiums. Positionspapier. Drs. 3479-13. 2013. Verfügbar unter: https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/3479-13 Externer Link
2.
Technische Hochschule Köln. Bibliotheks- und Informationswissenschaft (Master in Library and Information Science – MALIS). [zitiert 17. Juni 2024]. Verfügbar unter: https://www.th-koeln.de/studium/bibliotheks--und-informationswissenschaft-master_3202.php Externer Link
3.
Technische Hochschule Wildau. Bibliotheksinformatik (M.Sc.) – Berufsbegleitendes Studium. [zitiert 17. Juni 2024]. Verfügbar unter: https://www.th-wildau.de/studieren-weiterbilden/studiengaenge/bibliotheksinformatik-msc-berufsbegleitendes-studium Externer Link
4.
Humboldt-Universität zu Berlin. Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Der Weiterbildende Masterstudiengang Bibliotheks- und Informationswissenschaft im Fernstudium. [zitiert 17. Juni 2024]. Verfügbar unter: https://www.ibi.hu-berlin.de/de/studium/studiengaenge/fernstudium Externer Link
5.
Leiß C. Duale Weiterbildung für Quereinsteiger*innen im Bibliothekswesen. Bibliotheksforum Bayern. 2023;17(1):17-21. Verfügbar unter: https://www.bibliotheksforum-bayern.de/archiv/2023/heft-1-2023 Externer Link
6.
Hochschule Hannover. Informationsmanagement berufsbegleitend (BIB) – Fakultät III. [zitiert 17. Juni 2024]. Verfügbar unter: https://f3.hs-hannover.de/studium/bachelor-studiengaenge/informationsmanagement-berufsbegleitend-bib Externer Link
7.
Hochschule der Medien Stuttgart. Studiengang Bibliothek & digitale Information. [zitiert 17. Juni 2024]. Verfügbar unter: https://www.hdm-stuttgart.de/bdi Externer Link
8.
Vonhof C, Wiesenmüller H. Bibliothekarische Studienangebote an der Hochschule der Medien Stuttgart (HdM). GMS Med Bibl Inf. 2024;24(1):Doc06. DOI: 10.3205/mbi000589 Externer Link
9.
Hochschule der Medien Stuttgart. Short-Track – Studiengang Bibliothek & digitale Information. [zitiert 17. Juni 2024]. Verfügbar unter: https://www.hdm-stuttgart.de/bdi/studieninteressierte/studium/short-track Externer Link
10.
Technische Hochschule Köln. Das Praxisintegrierende Studium im B.A. Bibliothek und digitale Kommunikation. [zitiert 17. Juni 2024]. Verfügbar unter: https://www.th-koeln.de/studium/das-praxis-integrierende-studium-im-ba-bibliothek-und-digitale-kommunikation_109711.php Externer Link