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Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Medizinische Literaturversorgung im Umbruch – ein persönlicher Erfahrungsbericht

Medical literature supply in upheaval – an experience report

Case Report Medizinische Literaturversorgung im Umbruch

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GMS Med Bibl Inf 2022;22(1):Doc08

doi: 10.3205/mbi000526, urn:nbn:de:0183-mbi0005263

Veröffentlicht: 16. September 2022

© 2022 Samin.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Der medizinische Studienalltag hat sich in den vergangenen Jahren – nicht zuletzt aufgrund der pandemiebedingten Herausforderungen – stark gewandelt. Digitale Literatur findet unter den Studierenden immer größeren Anklang. Dies ist ein persönlicher Erfahrungsbericht einer Studierenden der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen, der den Wandel der Lehre und des Lernumfelds für Medizinstudierende der letzten Jahre an einigen universitätsspezifischen Beispielen aufzeigen soll.

Schlüsselwörter: digitale Lehre, Lehrmittelversorgung, Lernverhalten von Medizinstudenten, medizinische Lehrbücher, Zukunft der Lehre, neue Lernformen

Abstract

The everyday life of medical students has changed considerably in recent years – not least due to the challenges posed by the pandemic. Digital literature is becoming increasingly popular among students. This is a personal experience report by a student at the Medical Faculty of the University of Duisburg-Essen, which aims to show the changes in teaching and the learning environment for medical students in recent years using some university-specific examples.

Keywords: digital teaching, teaching material supply, learning behaviour of medical students, medical textbooks, future of teaching, new learning methods


Medizinische Literaturversorgung im Umbruch – ein persönlicher Erfahrungsbericht

Jährlich werden ca. 230 Studienplätze an angehende Medizinstudierende an der Universität Duisburg-Essen vergeben. Stattet man der Fachbibliothek Medizin am Uniklinikum Essen einen Besuch ab, so findet man einige dieser Studierenden wieder. Studierende, die über ihren Prüfungsvorbereitungen sitzen, ihren Hausarbeiten den letzten Schliff geben, sich für die morgigen Vorlesungen vorbereiten oder auch bereits an ihren Promotionsarbeiten schreiben.

Das ruhige und gleichzeitig geschäftige Treiben in der Bibliothek hat seinen ganz eigenen Rhythmus und seine ganz eigene Dynamik. Ganz gleich, ob man in die gestressten Gesichter mit erhitzten, geröteten Wangen schaut oder doch einen Blick in die Gruppenräume wagt und dort heitere und gelassene Fachgespräche belauscht, eines fällt auf: Obwohl den Rahmen für diese Szene die prall gefüllten Bücherregale an allen Wänden und in allen Gängen bilden, verirren sich eben diese Bücher nur ganz selten an die Arbeitsplätze. Stattdessen dominieren hier Laptops und Tablets das Bild. Hier und da kann man zwar auch ein Buch erspähen, aber die deutliche Mehrheit tendiert zum digitalen Medium.

Es drängt sich unweigerlich die Frage nach dem Warum auf. Liegt der Grund am mangelnden Bestand? Ein Blick in die Regale genügt, um diese Vermutung zu verwerfen. Ist es die Bequemlichkeit, die dem lästigen Heraussuchen der richtigen Lektüre aus dem Regal und anschließenden Einräumen im Weg steht? Wohl kaum, da oftmals das Herunterladen von E-Books oder E-Journals und das Anmelden und Registrieren auf digitalen Plattformen deutlich zeitintensiver und nervenaufreibender ist. Also was ist nun der Grund für diesen Trend? Eigentlich ein nachvollziehbarer: Digitale Lektüre ist schlichtweg flexibler einsetzbar, praktischer und bietet insgesamt sehr viel mehr Möglichkeiten für die individuelle Verwendung. Was das im Einzelnen bedeutet, findet man schnell heraus, wenn man sich direkt mit den anwendenden E-Medien-Konsumenten unter den Studierenden austauscht.

E-Books können in passenden Programmen und Apps, wie beispielsweise Adobe Reader, GoodNotes, OneNote und Notibility, geöffnet werden und man kann ohne schlechtes Gewissen nach Lust und Laune reversibel Notizen und Anmerkungen am Rand hinterlassen. Ganze Textabschnitte können blitzschnell in perfekten Linien bunt hervorgehoben und ebenso schnell wieder ausradiert werden. Gleich zwei, fünf oder wenn es sein muss sogar zehn verschiedene Kapitel können gleichzeitig nebeneinander geöffnet werden, ohne dass dafür mehrere Meter Tischfläche benötigt wird. Man springt von einem Buch zum anderen und wieder zurück. Egal ob Fotos aus der Galerie oder Live-Schnappschüsse von der laufenden Vorlesung, alles kann zu den Seiten hinzugefügt werden und nachträglich wieder problemlos revidiert werden. Den vielfältigen Möglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt.

In Uni-Städten ist es auch keine Seltenheit, dass Studierende aus der ganzen Bundesrepublik vertreten sind. Pendler:innen haben so die Möglichkeit, im Zug auf dem Weg zur Uni nochmal schnell online in ein oder mehrere Bücher zu schauen. Am Wochenende zu Besuch bei den Eltern oder Großeltern die wichtigsten Bücher im Gepäck zu haben, bedeutet heute kein lästiges Schleppen mehr. Selbst der Sonntagsbrunch im Lieblingscafé kann von der Pathologie über die Pädiatrie bis hin zur Chirurgie auf dem Tablet begleitet werden.

Viele medizinische Plattformen wie beispielweise AMBOSS (https://www.amboss.com/) setzen mittlerweile ausschließlich auf digitale Formate. Während bis 2019 noch die gedruckte Version der Lerninhalte für das erste Staatsexamen unter dem Titel „Fokus Physikum“ [1] vertrieben wurde, wird jetzt nur noch eine digitale Bibliothek mit verschiedenen Lernplänen angeboten. Auch die Plattform „Examen online“ von Thieme (https://examenonline.thieme.de/) erfreut sich großer Beliebtheit unter den Studierenden der Humanmedizin.

Ob nun für Klausuren, das erste, zweite oder dritte Staatsexamen oder zum Nachschlagen zwischendurch, digitale Lehre ist heute die bevorzugte Wahl. Hunderte von Büchern und Skripten kompakt auf einem 400-Gramm-Tablets im Rucksack und nur mit einem Klick aufrufbar. So sieht der moderne Alltag wohl mittlerweile aus. Ist die aktuelle Auflage in der Bibliothek gerade ausgeliehen? Kein Problem, denn online steht sie in unbegrenzter Anzahl zur Verfügung.

Selbst den Lehrenden ist dieser Wandel aufgefallen und viele setzen auf E-Book- oder App-Empfehlungen statt wie früher auf Literaturlisten. Vorlesungsskripte werden schon lange nicht mehr verteilt oder stehen zum Kauf im Sekretariat zur Verfügung. Downloaden, bspw. von der Plattform Moodle, ist das neue Drucken. Auch das Umweltbewusstsein vieler junger Menschen wird hier wohl neben den praktischen Aspekten eine Rolle spielen.

Einige Lehrende setzen die Anwendung von Learning-Apps sogar voraus! Der beliebte Untersuchungskurs im ersten klinischen Semester an der Universität Duisburg-Essen arbeitet beispielsweise mit seiner ganz eigenen App, der „Learning Toolbox“ [2]. Hier werden die Inhalte des Kurses nochmal spielerisch im Quizformat aufgearbeitet.

Ein weiterer Vorteil der Online-Lehre ist die Vernetzbarkeit der medizinischen Fakultäten untereinander. Beispielsweise setzt auch die Universität Freiburg beim Untersuchungskurs auf die Methoden der digitalen Lehre. Der U-Kurs [3] widmet sich hier den Untersuchungstechniken sowie den theoretischen und praktischen Inhalten des Kurses. Die Medizinische Fakultät der Universität Duisburg-Essen motiviert ihre Studierenden, dieses Angebot ebenfalls zu nutzen und verweist über die Moodle-Plattform auf die Seiten der Universität Freiburg.

Selbst das bisher Undenkbare wurde, Corona sei Dank, zur Realität von Medizinstudierenden: Online-Klausuren! Es hat sich gezeigt, dass Prüfungen tatsächlich von zu Hause online absolviert werden können. Entsprechende Programme, die auch den entsprechenden rechtlichen Rahmen bieten, wurden kurzerhand im Auftrag des Studiendekanats entwickelt und eingesetzt.

Auch jetzt, wo allmählich wieder die Normalität der Vor-Corona-Zeit in den Studienalltag einkehrt, werden viele dieser Umstellungen beibehalten. Ein Beispiel hierfür ist das Ablegen der zentralen Abschlussklausuren zum Semesterende auf iPads. Die Abschlussklausuren finden mittlerweile wieder vor Ort an der Universität statt, unter Aufsicht, aber größtenteils in digitaler Form.

Es zeigt sich also deutlich, wer sich bisher strikt geweigert hat, mit dem Wandel der Zeit zu gehen, wurde spätestens durch die Corona-Pandemie und ihre lästigen Begleiter – Lock-Down und Quarantäne – auf die Notwendigkeit einer digitalen Alternative gestoßen. Als Lehrende, die sich schon auf ihr letztes Jahr im vollen Hörsaal vor der wohlverdienten Pensionierung gefreut haben, plötzlich mit Videokonferenzsoftware jonglieren mussten und Studierende sich in Ein-Zimmer-Apartments ein Homeoffice einrichten mussten, war auch den letzten Zweiflern klar, dass Lehre komplett digitalisiert stattfinden kann und muss.

Der Marburger Konzern MEDI-LEARN, der mit seinen (freiwilligen) Repetitorien und seinen gedruckten Skripten seit 1988 eine Erfolgsgeschichte schreibt, war im Zuge der Pandemie ebenfalls auf einen Umstieg angewiesen. So entstand die Idee der Webinare. Medizinische Repetitorien von der Couch aus streamen und dabei die Skripte bequem downloaden. „Damit kann jede/r Examenskandidat/in mit nur wenigen Kompromissen unseren Kurs optimal auf seine persönliche Situation abstimmen“ [4], so wirbt MEDI-LEARN auf seiner Website für das neue Online-Format.

Heißt das also, dass gedruckte Bücher so gar keinen Anklang mehr finden und Bibliotheken nur noch Lernstätten sind? Definitiv nicht! Auf meine persönliche Nachfrage hin sagen viele Studierende, dass sie immer noch gerne in ein gedrucktes Buch schauen und durch die Seiten blättern. Manche finden es nach mehreren Stunden Lernen und auf Bildschirme Starren auch einfach erholsam, mal zur Abwechslung in ein Buch zu gucken. Einige wenige behaupten sogar, sie würden effektiver lernen, wenn sie nicht am Laptop oder Tablet arbeiten. Selbst die Aussage, dass ein schöner Anatomie-Atlas einfach in das Regal eines Medizinstudenten gehört, ist kein Einzelfall.

Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass in Zukunft medizinische Literatur verstärkt in digitaler Form nachgefragt wird und Online-Plattformen die zentralen und schon heute kaum noch wegzudenkenden Bestandteile des Lernumfelds eines Medizinstudierenden sind.


Anmerkung

Mashal Samin ist Medizinstudierende an der Universität Duisburg-Essen. Sie ist als studentische Hilfskraft in der Fachbibliothek Medizin der Universitätsbibliothek Duisburg-Essen tätig.


Interessenkonflikte

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Fokus Physikum: 2018/2019: alle vorklinischen Kapitel aus der beliebten AMBOSS-Bibliothek. 1. Aufl. Köln: Miamed; 2017.
2.
Medizinische Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Mobiles Lernen im Medizinstudium – Learning Toolbox (LTB) für den Untersuchungskurs [Meldung]. Verfügbar unter: https://www.uni-due.de/med/meldung.php?id=576 Externer Link
3.
Institut für Allgemeinmedizin der Universität Freiburg. U-Kurs. Untersuchungskurs der Uni Freiburg. Verfügbar unter: https://www.ukurs.uni-freiburg.de/ Externer Link
4.
MEDI-LEARN. MEDI-LEARN FAQs. [Zuletzt aufgerufen am 05.09.2022]. Verfügbar unter: https://www.medi-learn-kurse.de/responsive/responsive.php?&homepage=allgemein&seite=faqs_ausgabe_als_leitartikel&ursite=tn_m1 Externer Link