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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

10 Fragen an das AGMB-Ehrenmitglied Oliver Obst anlässlich seines Ruhestandes

10 questions for AGMB honorary member Oliver Obst on the occasion of his retirement

Interview Online-Jahrestagung der AGMB 2021

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  • corresponding author Iris Reimann - Universitätsbibliothek RWTH Aachen University, Medizinische Bibliothek, Aachen, Deutschland
  • Oliver Obst - Münster, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2021;21(3):Doc28

doi: 10.3205/mbi000517, urn:nbn:de:0183-mbi0005172

Veröffentlicht: 20. Dezember 2021

© 2021 Reimann et al.
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Zusammenfassung

Anlässlich seines Ruhestandes und der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der AGMB beantwortet Dr. Oliver Obst von der Zweigbibliothek Medizin in Münster zehn Fragen zu seiner Berufswahl, Innovationen im Bibliothekswesen und der möglichen zukünftigen Ausrichtung von Medizinbibliotheken.

Schlüsselwörter: AGMB-Ehrenmitglied, Oliver Obst, Interview, Medizinbibliotheken, Rückblick

Abstract

On the occasion of his retirement and the award of honorary membership of the AGMB, Dr. Oliver Obst of the medical branch library in Münster answers ten questions about his choice of profession, innovations in librarianship, and the possible future focus of medical libraries.

Keywords: AGMB honorary member, Oliver Obst, interview, medical libraries, review


Einleitung

Mitte 2021 ist Dr. Oliver Obst, bis dahin Leiter der Zweigbibliothek Medizin der Universitäts- und Landesbibliothek Münster, in den wohlverdienten Ruhestand gegangen. Er war über viele Jahre sehr aktiv in der Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen e. V. (AGMB), er gab innovative und nachhaltige Impulse für die medizinbibliothekarische Landschaft im deutschsprachigen Raum. Die Satzung der AGMB erlaubt in § 7 Ehrungen die Ernennung von Personen, die sich um die AGMB besonders verdient gemacht haben, zum Ehrenmitglied. Der Vorstand der AGMB nahm den Eintritt von Oliver Obst in den Ruhestand zum Anlass, ihn einstimmig aufgrund seines langjährigen Engagements in der AGMB satzungsgemäß zum Ehrenmitglied zu ernennen. Oliver Obst beantwortet nachfolgend zehn Fragen, die gemeinsam vom Editorial Board von GMS MBI überlegt wurden, zu den Themenfeldern Kommunikation und neue Medienformen in der Kommunikation, Innovationen und Zukunftsthemen in der medizinischen Bibliothek, Berufsbild Bibliothekar*in und versucht einen Blick in die Glaskugel.


Interview

1 Kommunikation und neue Medienformen in der Kommunikation

Frage: Sie sind mit dem Weblog „medinfo“ 2004 online gegangen – ein damals noch nicht so verbreitetes Online-Medium zwischen Newsticker, Fachinformation und Zeitschrift. Wie war die Reaktion damals in der Bibliothekswelt auf dieses neue Medium?

Antwort: Edlef Stabenau, der Gründer von netbib, hatte auf der AGMB-Tagung 2003 eine Blog-Fortbildung gegeben und freute sich sehr darüber, dass netbib in medinfo so schnell einen Schwester-Blog bekam. Gehostet wurden beide Blogs unter der Domäne netbib.de. Die Reaktion in der Bibliothekswelt war verhalten, unter den Medizinbibliothekaren und Medizinbibliothekarinnen aber sehr gut – der Blog wurde schnell ihre zentrale Informations- und Wissensquelle.

Frage: MEDIBIB-L, Medinfo, GMS MBI: Welche Bedeutung messen Sie der Kommunikation in der beruflichen Entwicklung bei? Welche Kanäle sollten heute verstärkt genutzt werden?

Antwort: Ich weiß nicht. Ich kann nur für mich sprechen. Viel habe ich durch persönliche Kontakte in der Bibliothek vor Ort gelernt. Regelrecht aufgesogen habe ich die bibliothekarische Professionalität und Serviceorientierung in den Vereinigten Staaten, die ich 1995 mit einem DFG-Stipendium bereisen konnte. Ich bin damals zu der Gründerin der Mailingliste medlib-l, Nancy Stuart, gefahren und habe mich von ihrem persönlichen Engagement sehr infizieren lassen. Danach habe ich die wichtigsten Medizinbibliotheken der Ostküste besucht – das war natürlich „old school“. Heute würde man vielleicht mit Facebook, Twitter oder Instagram loslegen. Generell würde ich immer alle Kanäle ausprobieren, die vorhanden sind, und die für mich passenden weiternutzen. Da eignet sich jeder Kanal vielleicht für einen anderen Zweck oder für einen anderen Typus von Mensch.

2 Innovationen und Zukunftsthemen in der medizinischen Bibliothek

Frage: Manche Themen kehren zyklisch wieder, manche Themen verschwinden ganz. Mit welchen Aspekten des Bibliothekwesens werden wir uns Ihrer Ansicht nach immer wieder beschäftigen müssen?

Antwort: Braucht man noch Gebäude/Räume mit Arbeitsplätzen, Büchern und dezidiertem Fachpersonal, die man Bibliotheken nennen könnte? Wir wollen ja immer als „unverzichtbar“ angesehen werden: Was können wir bestenfalls als unverzichtbare Ressource anstreben – das Gebäude oder die Personen? Wie können wir uns vernetzen und unsere besondere neutrale und zentrale Stellung auf dem Campus ausbauen? Wir müssen auch gut Bescheid wissen über unseren Return of Investment und dazu u.U. eigene Untersuchungen durchführen.

Frage: Sie haben mehrfach einen Zukunftskongress durchgeführt. Welche Zukunftsthemen hatten Bestand?

Antwort: Oh, ich weiß schon gar nicht mehr, was wir das letzte Mal besprochen haben, das ist schon etwas her. Der Kongress lief ja seit 2004 alle sechs Jahre, also dreimal. Open Access war seit Beginn immer ein Thema; inwieweit die Dienstleistungen wichtiger werden als die lizenzierten Inhalte (Community is King vs. Content is King); Finanzierungsprobleme durch die ewigen Preissteigerungen bei den Zeitschriften; welche Dienstleistungen man sich von den anderen abgucken kann – ja, ich glaube, das war uns auch immer ganz wichtig.

Frage: Welcher Innovation, die Sie in Ihrem Berufsleben beobachtet oder selbst entwickelt haben, hätten Sie einen größeren bzw. durchschlagenderen Erfolg gewünscht?

Antwort: Jede Innovation ist und war gut und hatte ihre Zeit. Da muss man auch loslassen können und sich auf die nächstbeste Lösung einlassen, ganz pragmatisch. Als ich vor 20 Jahren das erste E-Book anbot und dann in einer Umfrage nach Unterstützung für diesen Kurswechsel suchte, wurden mir die drei wichtigsten Ressourcen wie folgt benannt: 1. gedruckte Bücher, 2. gedruckte Bücher, 3. gedruckte Bücher. Die Antwort habe ich auch noch 15 Jahre später bekommen. Ein anderes Beispiel: 2004 hatten wir die Personal Digital Assistants wie den Palm Tungsten sehr gepusht. Die Idee war gut, letztendlich stellte sich das aber als eine Sackgasse bzw. ein Übergangsstadium heraus. Als das iPhone rauskam, konnten wir alle unsere PDA-Leihgeräte in die Tonne werfen. Als wir dann iPads ausliehen, konnten wir aber auf die Erfahrungen mit den PDAs zurückgreifen.

Frage: Sie haben sich auch in internationalen Bibliotheksorganisationen engagiert. Was können die Bibliotheken im deutschsprachigen Raum z.B. von der EAHIL lernen? Was können diese von uns lernen?

Antwort: Wie oben dargelegt ist für mich der Austausch mit Kollegen und Kolleginnen weltweit immer essentiell gewesen. Bei der EAHIL kommen zu den Konferenzen meist über 400 Bibliothekare und Bibliothekarinnen aus 40 Ländern zusammen, oft auch aus außereuropäischen Ländern. Die Bandbreite an Vorträgen, Postern und Gesprächen ist dementsprechend weit gefächert. Die dem Annual Meeting vorgeschalteten, mehrtägigen Continuing Education Courses zählen zu den besten Fortbildungen für Medizinbibliothekare und Medizinbibliothekarinnen weltweit. Dies wird nur noch übertroffen durch die Tagungen der Medical Library Association der USA, deren Besuch zu den absoluten Highlights meines beruflichen Lebens zählten. Die Konferenzen beider Organisationen zeichnet aus, dass den Teilnehmenden ein exzellentes Programm in den allerbesten Locations angeboten wird. Das hat natürlich seinen Preis. Die AGMB zeichnet sich demgegenüber durch familiäre und bezahlbare Tagungen aus.

3 Berufsbild Bibliothekar*in

Frage: Das Ausscheiden aus dem Berufsleben ist auch eine Gelegenheit, um Bilanz zu ziehen. Womit hätten Sie rückblickend lieber Ihre „Brötchen verdient“ – als Biologe, Erfinder, Clown oder doch als Bibliothekar? Was hätten Sie aus heutiger Sicht anders gemacht? Warum?

Antwort: Natürlich das Bibliothekswesen. Ich habe es immer als Privileg empfunden, in einem so schönen Beruf arbeiten zu dürfen und auch noch Geld dafür zu bekommen. Vor sieben Jahren ergab sich für mich die Möglichkeit, nach München zu gehen. Ich habe es nicht gemacht, weil mir nach intensiven Gesprächen klar wurde, dass ich bereits die optimale Stelle innehatte.

Frage: Würden Sie jungen Menschen heute empfehlen, Ihren gewählten Beruf zu ergreifen? Warum?

Antwort: Auf jeden Fall. Bibliothekar oder Bibliothekarin ist ein interessanter und krisenfester Beruf, der es einem weitgehend ermöglicht, sich mit seinen Ideen einzubringen. Es ist darüber hinaus eine sehr verdienstvolle Aufgabe, in einem Gebiet wie der Medizin seine nützlichen und lohnenswerten Dienste anzubieten.

4 Blick in die Glaskugel

Frage: Ein Blick in die Glaskugel: Wer wird in 20 Jahren eine medizinische Bibliothek wie die ZB Medizin in Münster leiten – ein/e Bibliothekar/in, ein/e Informatiker/in, ein/e Wissenschaftsmanager/in oder ein/e Mediziner/in?

Antwort: Das ist nicht schwierig zu beantworten: Das wird mein Nachfolger oder meine Nachfolgerin sein, mit oder ohne MALIS-Ausbildung. Wie ich wird er oder sie die Bibliothek mit Freude 25 Jahre lang leiten. Was danach kommt weiß keiner.

Frage: Wie stellen Sie sich eine medizinische Bibliothek in 20 Jahren vor? Was brauchen Medizinstudierende von der Bibliothek in 20 Jahren? Was braucht die Forschung?

Antwort: Ich wage eine nicht allzu kühne Behauptung: Die Bibliothek vor Ort wird als „Undergraduate Library“ primär Arbeitsplätze und Bücher für Medizinstudierende bereitstellen, vermutlich in enger Zusammenarbeit mit oder unter der Ägide des Studiendekanats – ebenso wie die Lizenzierung von Lern-Apps. Hier hilft ein rigoros serviceorientiertes Team, das genau über die Bedürfnisse der Studierenden informiert ist und für diese Lobbying betreibt. Die Notwendigkeit eines Bündnisses zwischen Studierenden und der Bibliothek kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Services für Forscher und Forscherinnen wie Medien und Data Management sollten wohl eher digital und zentral zur Verfügung gestellt werden. Dazu würde ich mir wünschen, dass die Bibliothek näher an die Ärzte, Ärztinnen, Forscher und Forscherinnen rücken würde.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autor*innen erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.