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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Same procedure as every year: Eine digitale Krankenhausbibliothek in der Corona-Krise

Same procedure as every year: A digital hospital library during the corona crisis

Case Report Ein Jahr COVID-19

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  • corresponding author Diana Thiele - Helios Kliniken GmbH, Berlin, Deutschland
  • Liouba Popoff - Helios Kliniken GmbH, Berlin, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2021;21(1-2):Doc10

doi: 10.3205/mbi000499, urn:nbn:de:0183-mbi0004993

Veröffentlicht: 16. September 2021

© 2021 Thiele et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Die Helios Zentralbibliothek zieht Fazit nach einem Jahr Corona. Was hat sich geändert, was ist gleichgeblieben? Am Konzept und Bestand der Bibliothek, welche bereits vor 20 Jahren zur reinen Online-Bibliothek wurde, hat sich in diesem herausfordernden Jahr wenig geändert. Im Gegensatz dazu veränderte sich die Zusammenarbeit des Teams stark. Im Beitrag wird erläutert, auf welche Veränderungen sich das Team der Bibliothek einstellen musste, welche neuen Formate entwickelt wurden und wo es noch Verbesserungspotential gibt. Dabei werden Punkte wie Infrastruktur und Kommunikationswege aufgezeigt. Ebenfalls wird die Ebene der Bibliothek-Nutzenden-Beziehung beleuchtet und kontextualisiert. Corona hat dazu beigetragen, dass nach 20 Jahren die Transformation zur Online-Bibliothek auf eine neue Ebene gehoben wurde und die Digitalisierung vom ganzen Team gelebt wird.

Schlüsselwörter: Corona, Krankenhausbibliothek, Online-Bibliothek, Zusammenarbeit, Arbeitsabläufe, technische Unterstützung

Abstract

The Helios Library takes a look at one year of corona. What has changed, what has stayed the same? The concept and portfolio of the library, which became an online library 20 years ago, has changed little in this challenging year. In contrast, the way the team works has changed a lot. The article explains which changes the library team had to adapt to, which new formats were developed and where there is still room for improvement. Points such as infrastructure and communication channels are shown. The level of the library-user-relationship is also highlighted and contextualized. Corona has contributed to the fact that after 20 years the transformation to an online library has been raised to a new level and digitization is lived by the whole team now.

Keywords: corona, hospital library, online library, digital library, team work, workflows, technical support


Einleitung

Die Mitarbeiter:innen der medizinischen Fachbibliothek im Krankenhaus Berlin-Buch erkannten schon im Jahr 2001, dass die einzige Möglichkeit zum Fortbestehen der Bibliothek war, ein Angebot zu schaffen, welches der gesamte Helios Konzern nutzen kann. Damals umfasste der Konzern 22 Standorte mit 13.000 Mitarbeiter:innen und es wurden circa 250.000 Patient:innen im Jahr behandelt. So starteten wir die Helios Zentralbibliothek. Unser Bestand umfasste circa 100 Online-Zeitschriften und der Zugriff erfolgte über einige Links im Helios-Intranet. Im Mai 2002 ging das erste Bibliotheksportal online, was den Nutzer:innen helfen sollte, sich im Dschungel der medizinischen Literatur zurecht zu finden. Neben den Zugängen zu unseren Lizenzen war das Bibliotheksportal ein Kommunikationsmittel zwischen Nutzer:innen und den sieben Mitarbeiter:innen der Bibliothek [1].

20 Jahre später hat sich einiges geändert. Mittlerweile gehören 89 Kliniken und 130 Medizinische Versorgungszentren zu Helios, die von den sieben Mitarbeiter:innen der Helios Zentralbibliothek versorgt werden. Die Anzahl der Beschäftigten stieg auf 73.000 und die der Patient:innen auf 5,2 Millionen pro Jahr. Auch die Angebote der Bibliothek entwickelten sich weiter. Der Bestand wuchs auf circa 30.000 E-Books und 1.300 E-Journals. Die technische Infrastruktur wandelte sich ebenfalls, so dass im Laufe dieser 20 Jahre der Zugriff von zu Hause oder von überall sonst auf der Welt möglich wurde.

Vieles ist aber auch gleichgeblieben. Das Bibliotheksportal im Helios Netz ist weiterhin der Anlaufpunkt Nummer 1, um auf unsere Lizenzen zuzugreifen. Darüber hinaus stellen wir auf unserer Webseite strukturierten Zugriff auf Informationen aus den unterschiedlichen Fachgebieten bereit. Und auch die Nutzer:innen-Kommunikation kommt nicht zu kurz.

Die Gründe für unsere Online-Bibliothek galten vor 20 Jahren und haben noch heute Gültigkeit: Wir sind auf ausschließlich digitale Medien angewiesen, um allen Helios-Mitarbeiter:innen in Deutschland Zugriff auf unsere Angebote zu ermöglichen. Zusätzlich ist es günstiger, eine Lizenz für alle Helios-Kliniken zu kaufen, als wenn jede Klinik ihre eigene Lizenz erwerben würde. Der Remote-Zugang war uns schon vor Corona wichtig, damit die Mitarbeiter:innen auch außerhalb der Kliniken lesen, recherchieren und sich fortbilden können.


Änderungen durch Corona auf Bibliotheksebene

Weder am Bestand und den Angeboten der Bibliothek noch an der Infrastruktur änderte sich seit März 2020 etwas. Wir konnten im letzten Frühjahr das Produkt Clinical Key Student Pflege einführen [2], was die Umstellung des Unterrichts in unseren Bildungszentren unterstützte. Die Pandemie war jedoch nicht der Auslöser für diese Erwerbung.

Es gab keine erhöhten Anfragen für Erwerbungen seitens der Mitarbeiter:innen. Es ist aber positiv aufgefallen, dass bei Erwerbungsvorschlägen die Fragen nach digitalen Medien selbstverständlicher wurden. Früher musste die Bibliothek explizit auf die Möglichkeit der Onlinemedien hinweisen, mittlerweile wird von den meisten unserer Nutzer:innen – abhängig von der Zielgruppe – ganz automatisch darum gebeten.

Auch bei der Unterstützung der Nutzer:innen, egal ob es sich um inhaltliche Anfragen oder technischen Support handelt, gab es keinen erhöhten Aufwand. Dies ist sicherlich darin begründet, dass viele Nutzer:innen schon vor der Coronazeit von zu Hause auf die Bibliothek zugegriffen haben und dadurch wussten, wie alles funktioniert.

Da wir keine Präsenzbibliothek sind, mussten wir uns um die Erreichbarkeit, Öffnungszeiten, Hygiene, Corona-Regeln und ähnliches keine Gedanken machen.

Unsere Aufgaben änderten sich ebenfalls wenig. Zu Beginn der Pandemie haben wir bei der Anfertigung einer tagesaktuellen Übersicht zu Studien und Wissenschaft zu COVID-19 unterstützt. Es wurden von verschiedenen medizinischen Abteilungen relevante Aufsätze zusammengetragen und diese von den Mitarbeiter:innen der Bibliothek strukturiert und übersichtlich in unser Intranet eingepflegt. Nachdem die erste Welle vorbei und Grundlagen der Krankheit weitestgehend bekannt waren, war diese kurzzeitige Zusatzaufgabe nicht mehr nötig.


Änderungen durch Corona auf Teamebene

Technisch sind die Verwaltungsmitarbeiter:innen von Helios schon seit längerer Zeit gut ausstattet. Nahezu jedes Teammitglied arbeitet an einem Laptop. Homeoffice war auch vor 2020 bereits möglich und teilweise erwünscht, um die Vereinbarung von Familie und Beruf zu gewährleisten. Der positive Nebeneffekt ist eine Entlastung der Lautstärke in unserer Unternehmenszentrale. Nahezu jede:r, der:die vorher schon einmal Homeoffice in Anspruch genommen hat, verfügte bereits über ein Diensthandy, einen VPN-Zugang und eine Lizenz für einen internetbasierten Instant-Messaging-Dienst. Als im März 2020 fast alle ins Homeoffice geschickt wurden, mussten die VPN-Zugänge und Lizenzen lediglich auf mehr Menschen erweitert werden. Dadurch, dass die Infrastruktur bereits vorhanden war, ging das sehr schnell und unkompliziert. Doch auch in einer Online-Bibliothek gibt es Aufgaben, die vor Ort erledigt werden müssen. Ein:e Bibliotheksmitarbeiter:in war weiterhin täglich im Büro. Da ist einerseits der Zugriff auf unser Magazin, falls es Anfragen für Aufsätze gibt, die nicht digital vorliegen. Andererseits musste die Post regelmäßig geprüft und angefragte Aufsätze und Bücher an Nutzer:innen versendet werden. Der große Vorteil für uns im Homeoffice war, dass unser:e Kolleg:in dringend benötigte Unterlagen einscannen konnte, sofern sie bis dahin noch nicht digital vorlagen. Aber auch Weihnachtspost hat uns auf diesem Weg zu Hause erreicht.


Arbeitsabläufe und Werkzeuge

Bei unseren Arbeitsweisen waren geringe Anpassungen notwendig, um uns auf die veränderte Situation einzustellen. Beispielsweise waren schon vorher alle Verträge in einer digitalen Version auf unseren Servern abgelegt. Nun kam nach langer Prüfung im Unternehmen die Einführung von digitalen Unterschriften hinzu, um keine zeitliche Verzögerung zu haben.

Im Jahr 2019 wurde bei Helios ein digitaler Arbeitsbereich eingeführt, um gemeinsam an Projekten zu arbeiten oder Protokolle zur Verfügung zu stellen. Das kam uns während der Coronazeit sehr zu Gute, da die Nutzung doch meist erheblich einfacher ist als die gemeinsame Bearbeitung von Dokumenten auf unseren Servern.

Mittlerweile haben alle Mitarbeiter:innen in der Bibliothek einen Instant-Messaging-Dienst auf ihren Arbeitsrechnern. Das hat zahlreiche Vor-, aber durchaus auch Nachteile. Die Kolleg:innen sind schnell erreichbar – per Chat, Telefon oder sogar Video. Es können Termine mit mehreren Teilnehmer:innen angesetzt werden. Der Bildschirm kann geteilt werden, was ein großer Vorteil ist, falls man nicht am gleichen Standort sitzt oder Nutzer:innen helfen muss. Allerdings ist Ablenkung vorprogrammiert. Etwa wenn in einem Termin plötzlich das Zeichen des Messaging-Dienstes anfängt zu blinken und dann nebenbei gechattet wird. Andererseits kann jede:r für sich entscheiden, eine Nachricht nicht sofort zu lesen, oder seinen:ihren Status auf „Nicht Stören“ zu setzen, um ablenkungsfrei arbeiten zu können.

Da kein regelmäßiger Austausch zu technischen Problemen unserer Nutzer:innen stattfand und die Teamleitung keinen Überblick mehr über die anfallenden Supportaufwände hatte, wurde ein Ticketsystem eingeführt, welches unsere IT-Abteilung schon lange nutzt. Es wurde eine neue Support-E-Mail-Adresse eingerichtet, die unsere Nutzer:innen anschreiben können. Hier sehen wir auf einen Blick, welche Anfragen noch offen sind, welche Anfrage von welchem:r Mitarbeiter:in bearbeitet wird und falls jemand wegen Krankheit oder Urlaub ausfällt, hat der Rest des Teams den aktuellen Stand zu allen offenen Problemen. Zusätzlich kann eine Statistik erhoben werden, die zeigt, wie viele Anfragen es gab, wie oft Fehler bei Dienstleistern beanstandet wurden und ähnliches.

Um am Stück konzentriert arbeiten zu können, diskutieren wir in der Helios Zentralbibliothek derzeit die Einführung des Konzepts „Deep Working“. Jede:r Mitarbeiter:in kann entscheiden, ob er oder sie an maximal zwei Tagen in der Woche jeweils vier Stunden nicht erreichbar ist. In dieser Zeit werden das E-Mail-Programm und Messaging-Dienst geschlossen, keine Termine angenommen und alle anderen Ablenkungen abgestellt. Dadurch kann hintereinander an einem oder mehreren Themen gearbeitet werden – ohne, dass etwas dazwischenkommt. Andere Teams in der Helios Zentrale setzen dieses Konzept bereits erfolgreich ein.


Termine

Was sich stark verändert hat, ist die Terminkultur. Termine, die vorher in Präsenz stattgefunden haben, wurden in den digitalen Raum verlegt. Dabei ist aufgefallen, dass sich nicht jeder Termin 1:1 von analog auf digital umstellen lässt. Hier mussten wir uns fragen, ist ein Termin weiterhin sinnvoll? Was kann geändert werden, damit er wieder die Ergebnisse bringt, die wir erwarten? Es sind situationsbedingt auch neue Formate entstanden, wodurch die Kalender der Mitarbeiter:innen voller sind als noch im Jahr zuvor.

Beispielsweise gibt es mittlerweile jeden Morgen eine kurze Videokonferenz – ein so genanntes Daily –, in die sich alle Mitarbeiter:innen der Bibliothek einwählen. Dort erzählen wir, was am vorangegangenen Tag bearbeitet wurde und was für den aktuellen Tag ansteht. So gehen Kleinigkeiten nicht unter. Es ist wichtig, dass alle gleichermaßen informiert sind. Dinge, die sonst auf dem Flur, in der Kaffeeküche oder über die Schreibtische hinweg kommuniziert wurden, wurden plötzlich nicht mehr besprochen. Ein Großteil der Spontanität fiel weg. Für jede Kleinigkeit wird nun ein Termin angesetzt. Das hat teilweise auch zur Folge, dass Sachen bis zu Terminen liegen bleiben oder ganz vergessen werden.


Privates

Bei sieben Menschen in einem Team werden natürlich auch private Dinge besprochen. Wie war das Wochenende, welches Buch wurde zuletzt gelesen oder welcher Urlaub wird derzeit geplant? Was früher in gemeinsamen Mittagspausen erzählt wurde, fiel ebenfalls weg. Wir haben versucht, einmal in der Woche ein gemeinsames, digitales Mittagessen zu etablieren. Jede:r vor seinem:ihrem Rechner, aber das hat sich nicht durchgesetzt. Der Grund war vermutlich, dass man die Mittagspause nicht vor dem PC verbringen möchte, auch wenn dabei nicht über die Arbeit gesprochen wird. Wir nutzen derzeit unser Daily, um auch mal hier oder da private Dinge zu erzählen. Das hat bei weitem nicht den gleichen Umfang wie früher. Hier suchen wir noch nach einer richtigen Möglichkeit zum Austauschen.


Nutzung des Bibliotheksportals

Eine pauschale Aussage darüber, wie sich die Corona-Pandemie auf die Nutzung des Bestands der Helios Zentralbibliothek ausgewirkt hat, lässt sich nicht treffen. Wie so oft spielen beim Thema Nutzungsstatistiken viele Faktoren, auch technischer Art, eine Rolle.

Insgesamt war die Nutzung des Bestandes der Helios Zentralbibliothek im Jahr 2020 höher als im Jahr 2019. Tatsächlich stieg von 2019 auf 2020 die Nutzung um circa 25 Prozent bei den E-Journals und E-Books. Wie viel davon dem Homeoffice, dem erhöhten Bedarf an digitalen Angeboten oder an Informationen rund um das neue Virus geschuldet war, lässt sich nicht nachvollziehen. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Monate April und Mai 2020 die beste Nutzung verzeichneten. Die zweite Jahreshälfte ist gekennzeichnet durch zurückgehende Nutzungszahlen, was mit dem üblichen Sommerloch und dem erneuten Aufflammen der Epidemie im Herbst 2020 begründet werden kann. Eine Vermutung ist, dass das Krankenhauspersonal im zweiten Halbjahr, nachdem der Informationsdurst erst einmal gestillt war, nicht besonders viel Zeit hatte, sich mit Fachliteratur zu beschäftigen.

Mitberücksichtigt werden muss außerdem, dass viele Verlage in 2020 ihre Inhalte kostenlos zur Verfügung gestellt haben, so dass diese Nutzung zum Teil nicht nachvollzogen werden kann. Darüber hinaus musste die Bibliothek im Sommer 2020 für den Bestandsnachweis in PubMed auf einen Linkresolver umsteigen, was sich ebenfalls auf die Nutzungszahlen ausgewirkte.


Fazit

Same procedure as every year, oder doch nicht? Als digitale Krankenhausbibliothek waren wir nicht gezwungen, uns neu zu erfinden. Ausstattung, Bestand und Aufgaben mussten nicht an diese besondere Situation angepasst werden. Dennoch hat Corona uns geholfen, bekannte Wege zu verlassen und bewährte Arbeitsweisen zu hinterfragen. Als Mitarbeiter:innen der Helios Zentralbibliothek haben wir die Gelegenheit genutzt, uns weiterzuentwickeln – auf digitaler und auf Teamebene. Besonderes Augenmerk haben wir auf neue Kommunikationsformen gelegt, um den Wissenstransfer zu gewährleisten. Uns wird Corona nicht fehlen, aber die steigende Akzeptanz von digitalen Medien bei den Mitarbeiter:innen empfinden wir als gewinnbringend. Die ersten Schritte sind getan. Weitere Ideen werden folgen, um die Kommunikation mit der großen Vielfalt unserer Nutzer:innen noch hürdenloser zu gestalten.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autorinnen erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Johannsmeyer B. Bibliothekssterben – bei Helios (k)ein Thema?! Von der Zentralbibliothek des Klinikums Buch zur virtuellen Bibliothek der Helios Kliniken Gruppe. In: 29. Arbeits- und Fortbildungstagung der Arbeitsgemeinschaft der Spezialbibliotheken; 2003 Apr 08-11; Stuttgart, Deutschland.
2.
Hock R, Popoff L. Digitalisierung an Bildungszentren: Wie die Bibliothek unterstützen kann. GMS Med Bibl Inf. 2021;21(1-2):Doc07. DOI: 10.3205/mbi000496 Externer Link