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Offene Wissenschaft (Open Science) – ein Überblick
Open science – an overview
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Veröffentlicht: | 22. Dezember 2020 |
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Gliederung
Zusammenfassung
„Open Science“ bedeutet die komplette Öffnung des Forschungskreislaufs. Der Beitrag stellt überblicksartig die einzelnen Elemente vor und zeigt auf, was jeweils die Herausforderungen bzw. Diskussionspunkte sind, die mit einer Öffnung verbunden sind.
Abstract
Open science means opening up the research cycle completely. The article gives an overview on the single stages and delineates the challenges and issues that are related to the opening up of each stage.
Einleitung
Der Begriff „Open Science“ ist derzeit sowohl in der Wissenschaftskommunikation als auch im Bibliotheksbereich omnipräsent. Doch was ist damit konkret gemeint? Der Beitrag will überblicksartig beleuchten, was Open Science im Einzelnen bedeutet und welche Herausforderungen damit jeweils verbunden sind. Auf eine ausführliche Diskussion der einzelnen Aspekte wird verzichtet. Es geht vornehmlich darum, eine Gesamtschau zu geben, was hierunter alles gefasst werden kann.
Die deutschsprachige Open Science AG der Open Knowledge Foundation (OKF) verwendet auf ihrer Website die Helmholtz Open Science Definition, die wie folgt lautet [1]:
Hervorgehoben werden sollen insbesondere zwei Aspekte: erstens, dass mit der Öffnung der komplette Forschungskreislauf gemeint ist und zweitens, dass neben der Wissenschaft auch Gesellschaft und Wirtschaft von dieser Öffnung profitieren, wenn Forschungsergebnisse frei und offen zugänglich sind.
Was diese komplette Öffnung im Einzelnen bedeutet, lässt sich am besten anhand des Forschungskreislaufs erläutern (Abbildung 1 [Abb. 1], innen). Der Forschungskreislauf beginnt mit der Ideenfindung und initialen Literaturrecherchen. Im nächsten Schritt erfolgt die Planung des Forschungsvorhabens. Anschließend beginnt die eigentliche Forschungsarbeit mit der Datenerzeugung und -analyse, die zu neuen Erkenntnissen führen. Vor der Publikation der Ergebnisse steht die Qualitätssicherung, in der Regel mittels eines Peer-Review-Verfahrens. Mit der Publikation werden die Ergebnisse kommuniziert und stehen somit der Forschung so zu Verfügung, dass darauf aufgebaut werden kann.
Die einzelnen Stationen des Forschungskreislaufs sollen nun genauer betrachtet werden. Dabei soll erläutert werden, welche Ansätze es gibt, die Öffnung jeweils zu gestalten und welche Herausforderungen damit verknüpft sind (Abbildung 1 [Abb. 1], außen).
Ideenfindung und offene Antragsstellung
Am Anfang des Forschungskreislaufs steht die Ideenfindung zu einem Forschungsvorhaben, welche nicht selten in einen Forschungsantrag mündet, um entsprechende Forschungsgelder einzuwerben. Im Sinne von Open Science findet diese Ideenfindung bzw. Antragsstellung ebenfalls (teilweise) öffentlich statt, d.h. entsprechende Anträge werden zugänglich gemacht (im Idealfall auch die Begutachtungsergebnisse), um Transparenz zu schaffen. Obwohl dieser Punkt eher seltener diskutiert wird, gehört er zu einer konsequenten Umsetzung der Open-Science-Prinzipien dazu. Auf Plattformen wie Figshare (https://figshare.com/) oder ZENODO (https://zenodo.org/) finden sich unter dem Suchwort „Grant Proposal“ vereinzelt Bespiele. Die Plattform „Open Grants“ bietet eine entsprechende Publikationsinfrastruktur an (https://www.ogrants.org/). Auch auf Projektwebseiten oder Repositorien (beispielsweise im Kontext der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur – NFDI [2]) sowie vereinzelt auch auf Seiten von Forschungsförderern (z.B. https://wellcome.org/grant-funding/open-research-fund-project-proposals-submitted-wellcome) finden sich ebenfalls entsprechende Dokumente. Aktuell fehlt es allerdings an verbindlichen Policies und breiter angelegten Infrastrukturen, so dass sich die Veröffentlichung von Forschungsanträgen bislang noch nicht breit durchgesetzt hat.
Forschungsplanung mit Registrierung von Studien
Spätestens mit der Bewilligung beginnt die Umsetzung des Forschungsvorhabens. Um Hypothesenbildung und Datensammlung einerseits sowie deren Auswertung andererseits voneinander zu entkoppeln, wird die Vorabregistrierung von Studien (Preregistration) bzw. Vorabeinreichung (Registered Reports) bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift – auch mit Begutachtung der Methodik – vorgeschlagen [3]. Hiermit wird unter anderem sichergestellt, dass Hypothesen im Nachhinein nicht angepasst werden. Forschung wird damit transparenter und glaubwürdiger. Zusätzlich dient dieses Vorgehen der Dokumentation des Forschungsvorhabens und verhindert Doppelarbeit. Das Verfahren erinnert an das Vorgehen in der Medizin bei klinischen Trials, wird aber an die Bedarfe der anderen Disziplinen angepasst. Größter Unterschied mit Blick auf die „Registered Reports“ ist dabei die Begutachtung der Methodik vor der Durchführung der Experimente, was gleichzeitig mit der Herausforderung verbunden ist, dass Zeitschriften sich auf ein solches Verfahren einlassen und auch bereit sind, mögliche negative Ergebnisse zu berücksichtigen und zu publizieren. In einer Initiative des Centers for Open Science haben bereits über 250 Zeitschriften ihr Interesse bekundet, Vorabeinreichungen zu unterstützen [4]. Darüber hinaus stellt das Center auch eine Plattform zur Registrierung sowie Musterdokumente bereit: https://osf.io/registries. Die Plattform AsPredicted (https://www.aspredicted.org/) stellt ebenfalls Infrastruktur bereit, um Studien vorab zu registrieren.
Erzeugung von Daten und (offene) digitale Dokumentation der Arbeitsschritte
Bei der Erzeugung von Daten sowie der Dokumentation der Arbeitsschritte wird zunehmend der Einsatz von sogenannten elektronischen Laborbüchern überlegt, einer digitalen Variante des klassischen papiergebundenen Laborbuchs. Neben der Möglichkeit des Ausnutzens der Vorteile einer digitalen Umgebung wie Zeitstempel, Verlinkung, Anbindung an andere Anwendungen im Forschungsdatenmanagement oder zu Analysetools, Such- und Filterfunktionen, Funktionalitäten zum gemeinsamen Arbeiten sowie Wiederverwendung von Vorlagen etc. bieten elektronische Laborbücher insbesondere einen gewissen Schutz vor Datenverlust, z.B. durch unleserliche Handschrift oder Verlust des Papierhandbuchs. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Anwendungen, die lokal installiert und solchen, die über eine Internetplattform genutzt werden [5]. Verfolgt man den Open-Science-Ansatz konsequent, bedeutet dies schlussendlich auch die Öffnung des Elektronischen Laborbuchs im Sinne eines Open Lab Notebooks, insbesondere, um Forschung zu beschleunigen und die Zusammenarbeit zu fördern sowie alle Ergebnisse, positiv wie negativ, offen zu legen [6]. Die größte Herausforderung dürfte aber zunächst der Umstieg auf eine digitale Variante sowie die Auswahl einer geeigneten Software und Integration in das Forschungsdatenmanagement sein, weshalb die Öffnung bislang noch wenig diskutiert wird und auch hier Policies etc. fehlen.
Datenanalyse und offene Forschungssoftware
Gerade in den Lebenswissenschaften kommt zur Analyse von Daten häufig selbstgeschriebene Software zum Einsatz. Diese Software ist somit ein eigenständiges Arbeitsergebnis wissenschaftlicher Forschung, die auch essentiell für ein Verständnis der Ergebnisse ist. Im Sinne von Open Science sollte diese auch zur Nachnutzung (und ggf. zur Weiterentwicklung) zur Verfügung gestellt werden, mindestens aber, um die damit generierten Ergebnisse nachvollziehbar und überprüfbar zu machen [7]. Aufgrund der Tatsache, dass es sich dabei um ein eigenständiges – publikationswürdiges – Arbeitsergebnis handelt, gelten für die Erstellung von Software ebenfalls die Prinzipien der guten wissenschaftlichen Praxis. Daneben stellen sich bei der Publikation von Forschungssoftware auch urheber-, patent- und haftungsrechtliche Fragen, insbesondere wenn die Software als Service angeboten oder kommerziell nachgenutzt werden soll [8]. Urheberrechtliche Fragen sind insbesondere auch dann relevant, wenn Software kollaborativ erstellt wird, was in der Open-Source-Community üblich ist. Diese Fragen werden unter anderem in der Schwerpunktinitiative „Digitale Information“ der Allianz der Deutschen Wissenschaftsorganisationen im Handlungsfeld „Digitale Werkzeuge – Software und Dienste“ adressiert [9]. Mit der Anerkennung von Forschungssoftware als ein Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit müssen auch Zitierregeln entwickelt werden. Eine Arbeitsgruppe in Force11 (https://www.force11.org/) hat hierzu die Software Citation Principles [10] entwickelt. Hiermit werden zudem Anreize geschaffen, Software zu publizieren, weil zitierfähige Publikationen sowie Zitationen beim wissenschaftlichen Reputationsaufbau eine zentrale Rolle spielen. Mit der Zunahme der datengetriebenen Wissenschaft werden darüber hinaus auch Daten- sowie Programmierkompetenzen immer wichtiger. Initiativen wie Data und Software Carpentries schaffen hier Community-basierte Ausbildungsangebote (https://carpentries.org/).
Zugänglichmachung von Forschungsdaten unter FAIR-Prinzipien
Im Sinne von Open Science sollten Forschungsdaten weitestgehend zur Nachnutzung zur Verfügung gestellt werden. In diesem Zusammenhang wird die Anwendung der FAIR-Prinzipien diskutiert, d.h. Forschungsdaten sollen „findable“ (auffindbar), „accessible“ (zugänglich), „interoperable“ (interoperabel) und „reusable“ (nachnutzbar) sein, um eine optimale Nutzung zu gewährleisten. Diese Prinzipien sehen hierbei aber nicht zwingend eine freie Verfügbarkeit vor, was insbesondere mit Blick auf Gesundheitsdaten nicht immer ohne weiteres zu realisieren ist. Hier hat sich die Forderung “As open as possible, as closed as necessary” durchgesetzt [11]. Aufgrund der Diversität von Forschungsdaten hinsichtlich Beschaffenheit, Größe, aber auch notwendiger Metadaten zur sinnvollen Beschreibung dieser, nicht nur über Disziplinengrenzen hinweg – auch innerhalb einer Disziplin können Forschungsdaten sehr divers sein – stellt die jeweilige Umsetzung der FAIR-Prinzipien eine große Herausforderung dar. Daneben stellt sich immer auch die Frage nach der Publikationswürdigkeit und somit der Selektion von Daten für die Publikation, aber auch diverse rechtliche Fragen (z.B. Urheberschutz für Forschungsdaten, datenschutzrechtliche Aspekte z.B. bei Patientendaten). Diverse Initiativen beschäftigen sich mit der Umsetzung der FAIR-Prinzipien, hierzu gehören unter anderem die GO FAIR-Initiative (https://www.go-fair.org/) und FAIRsharing (https://fairsharing.org/). Als eine der Hauptherausforderungen für die Bereitstellung und Nachnutzung von FAIRen Forschungsdaten wurde die Notwendigkeit einer disziplinenspezifischen Infrastruktur erkannt. In Deutschland wird hierzu eine Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) aufgebaut (https://www.nfdi.de/). Initiativen wie Re3data (https://www.re3data.org/) erleichtern zudem das Auffinden von Forschungsdatenrepositorien entweder zur Recherche nach bereits vorhandenen Forschungsdaten oder zur Publikation eigener Daten. Die Publikation von Daten als Ergebnis wissenschaftlicher Forschung auch mit Blick auf den Reputationsaufbau gewinnt zunehmend an Anerkennung: Forschungsdaten werden als zitierfähig angesehen und es können Persistente Identifikatoren (wie z.B. DOIs über DataCite: https://datacite.org/) hierfür vergeben werden. Zudem wird daran gearbeitet, Zitationszahlen und sonstige Nutzungen (z.B. in Social-Media-Diensten) auch für Forschungsdaten zu erfassen [12].
Qualitätssicherung: Von Peer Review zu Open Peer Review
Die Öffnung des Begutachtungsprozesses wird bereits seit längerer Zeit diskutiert, insbesondere auch weil damit die Hoffnung verbunden ist, die zahlreichen Schwächen der gängigen Peer-Review-Verfahren aufzufangen (z.B. Voreingenommenheit von Begutachtenden, wenig hilfreiche Gutachten). Zu beachten ist allerdings hierbei, dass der Begriff „Open Peer Review“ lediglich ein Sammelbegriff für unterschiedliche Abstufungen der Öffnung ist. Folgende Möglichkeiten werden genannt:
- Offenlegung der Identitäten sowohl der Begutachtenden als auch der Begutachteten – und somit eine Abkehr vom „blind peer review“,
- Veröffentlichung der Gutachten zusätzlich zum Artikel,
- Kommentierungsmöglichkeiten mit Einbeziehung der Öffentlichkeit in den Begutachtungsprozess,
- offene Diskussion zwischen Autorinnen und Autoren und Gutachterinnen und Gutachtern,
- Veröffentlichung von Preprints vor dem Begutachtungsprozess,
- Eröffnung von Kommentierungsmöglichkeiten für die finale Version eines Artikels,
- Entkopplung des Peer-Review-Verfahrens von der Zeitschrift unter Einbeziehung eines Dienstleisters, der die Begutachtung organisiert [13].
Ob und für welche Art der Öffnung sich Herausgebende einer Zeitschrift schlussendlich entscheiden, orientiert sich an den Gepflogenheiten einer Disziplin, verbunden mit der jeweiligen Bereitschaft zur Öffnung. Zudem sind die einzelnen Modelle auch wieder mit neuen Herausforderungen verbunden: So kann eine Veröffentlichung mit den Namen der Begutachtenden das Einwerben von Gutachten erschweren. Das Einrichten einer Kommentierungsfunktion birgt auch die Gefahr für unqualifizierte Kommentare. Neben erfolgreichen Implementierungsbeispielen wie z.B. bei der Open-Access-Plattform F1000 (https://f1000research.com/) gibt es auch weniger erfolgreiche Versuche, Öffnungen im Peer-Review-Prozess zu implementieren. Bekanntestes Beispiel ist hier die Zeitschrift Nature [14]; diese startete allerdings einige Jahre später einen neuen Versuch, welcher vorsieht, dass Gutachten sowie die Kommentare und Antworten von Autorinnen und Autoren veröffentlicht werden, sofern Autorinnen und Autoren dem zustimmen. Eine Veröffentlichung der Namen der Begutachtenden ist ebenfalls möglich, falls diese das ausdrücklich wünschen [15].
Insgesamt sind die Gestaltungsmöglichkeiten und deren Vor- und Nachteile weitestgehend bekannt, es fehlt aber noch an Analysen, wie sich konkrete Öffnungsszenarien tatsächlich auswirken [16]. Daneben gibt es aber auch Initiativen aus der Wissenschaft, die dafür plädieren, dass Gutachterinnen und Gutachter ihre Berichte namentlich unterzeichnen. Mit der Zustimmung zum sogenannten „Open peer review oath“ verpflichten sich Begutachtende zudem, auch beim Peer Review die Grundsätze der guten wissenschaftlichen Praxis zu beachten, Kritik konstruktiv zu äußern und gleichzeitig auch als Botschafterinnen und Botschafter für Open Science aufzutreten [17].
Open Access: Weitestgehend etabliert
Open Access als ein Publikationsweg – möglichst einhergehend mit der Einräumung von diversen Nutzungsrechten für Lesende sowie unter Wahrung der Rechte von Autorinnen und Autoren – ist aus der wissenschaftlichen Kommunikation nicht mehr wegzudenken. Wenngleich die Zahlen je nach Datenbasis und Art der Erhebung variieren, lässt sich eine Steigerung des Open-Access-Anteils beobachten. Für Publikationen aus Deutschland sieht der Open-Access-Monitor (http://open-access-monitor.de) mit Stand November 2020 mittlerweile einen Anteil von 51%. Die Frage „Open Access: ja/nein?“ wird über die Disziplinen hinweg zwar immer noch unterschiedlich beantwortet, mittlerweile verlagert sich die Diskussion aber zunehmend hin zu Detailfragen bei der Umsetzung, also Vor- und Nachteile von Open-Access-Geschäftsmodellen, Realisierung von Open Access auch für andere Publikationstypen wie z.B. Monographien, Erkennen von unseriösen Angeboten (Stichwort „Predatory Publishing“) oder Integration von Open Access in die Erwerbungsprozesse einer Bibliothek.
Mit der raschen Zunahme der Covid-19-Forschung ab Frühjahr 2020 gewinnen zudem Preprints, also frei zugängliche Vorabveröffentlichungen von Manuskripten noch bevor sie den Peer-Review-Prozess durchlaufen haben, auch in der Medizin zunehmend an Bedeutung [18].
Zudem wird im Rahmen der Initiative i4OA (https://i4oa.org/) die freie und maschinenlesbare Zugänglichmachung von Abstracts auch für Publikationen, die hinter einer Bezahlschranke liegen, diskutiert, um zumindest diese unter anderem für Text- und Data Mining-Anwendungen nutzen zu können und darüber neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren.
Offene Zitationsdaten, Open Educational Resources, Open Innovation und Citizen Science
Während mit der Publikation der Forschungskreislauf geschlossen ist bzw. die Ergebnisse so zur Verfügung stehen, dass weitere Forschung darauf aufbauen kann, werden im Zusammenhang mit Open Science weitere Themen diskutiert, die entweder übergeordnet sind, oder einen Bezug zum Forschungskreislauf haben.
Offene Zitationsdaten
Die Publikation in wissenschaftlichen Zeitschriften mit Begutachtung dient in vielen Disziplinen dem Reputationsaufbau eines Forschenden. Des Weiteren spielen Zitationen – als Stellvertreter dafür, dass auf den Erkenntnissen in einer Publikation in irgendeiner Form aufgebaut wurde bzw. dass diese Berücksichtigung fanden – beim Reputationsaufbau eine wichtige Rolle. Zitationsdaten, mit deren Hilfe sich ermitteln lässt, wie häufig eine Publikation zitiert wurde, und die die Grundlage für weitere Indikatoren bieten (z.B. Journal Impact Factor, h-Index) waren lange Zeit ausschließlich in proprietären Händen (Web of Science von Clarivate Analytics, Scopus von Elsevier) oder von ausbaufähiger Qualität (Google Scholar) [19]. Initiativen wie Initiative for Open Citations (I4OC (https://i4oc.org/)) setzen sich dafür ein, dass Referenzen in Publikationen frei verfügbar gemacht werden, um darauf aufsetzend dann frei zugängliche Zitationsdatenbanken oder -Analysetools zu entwickeln. Die Referenzen sollen hierzu in das entsprechende Metadatenfeld bei CrossRef (https://www.crossref.org/) eingetragen werden. Hauptherausforderung bei der Zugänglichmachung von Zitationsdaten ist, dass möglichst viele wissenschaftliche Verlage die Referenzen in guter Qualität einspielen. Eine Anwendung, die auf diesen Zitationsdaten aufsetzt, ist die Datenbank Dimensions (https://www.dimensions.ai/), die in einer Basisversion frei verfügbar ist.
Open Educational Resources (OER)
Wissenschaftliche Publikationen (aber nicht nur diese) spielen für die Lehre eine wichtige Rolle. Mit einer freien Zugänglichkeit werden die Nachnutzungsmöglichkeiten verbessert. Open Educational Resources meint die Übertragung von Open-Access- bzw. Open-Science-Prinzipien auf Lehrmaterialien, die allerdings nicht auf wissenschaftliche Publikationen oder sonstige Materialien in der Hochschullehre begrenzt sein müssen. Insgesamt werden also alle Formen der Lehre mitgedacht, was die in Betracht zu ziehenden Lehrmaterialien sehr divers macht. Gemeint sein können z.B. Info- oder Arbeitsblätter, Lehrbücher oder ganze Video-Kurse. Was die Zugänglichmachung angeht, geben die 5R-Prinzipien den Rahmen vor. Diese stehen für [20]:
- 1.
- Behalten von Nutzungsrechten (retain),
- 2.
- umfassende Nachnutzungsmöglichkeiten (reuse),
- 3.
- die Möglichkeit, Veränderungen an den Materialien vornehmen zu können (einschließlich Übersetzungen anfertigen zu dürfen) (revise),
- 4.
- Möglichkeit, verschiedene Inhalte miteinander zu kombinieren (remix),
- 5.
- Weiterverbreitung von Inhalten, unabhängig davon, ob man sie selbst erstellt hat, überarbeitet oder Inhalte kombiniert hat (redistribute).
Neben der Diversität der Materialien sind die Herausforderungen u.a. Infrastruktur und Auffindbarkeit, da diese bislang eher verstreut im Internet liegen, Entwicklungen von Mechanismen der Qualitätssicherung und insbesondere Rechtsfragen mit Blick auf die Nachnutzung der Materialien. Die vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Informationsstelle OER (https://open-educational-resources.de/) stellt umfassende Informationen zu unterschiedlichen Aspekten bereit.
Open Innovation
Mit diesem Schlagwort ist die Öffnung des Entwicklungsprozesses gemeint bzw. die Steigerung des Potenzials durch Einbeziehung der Öffentlichkeit. Unternehmen oder andere Einrichtungen veröffentlichen dazu spezifische Probleme über Online-Plattformen (wie z.B. Innocentive (https://innocentive.wazoku.com/)) und loben für die Lösung Preise aus. Herausforderungen dürften hier insbesondere die Klärung der Frage sein, wem das geistige Eigentum an den Problemlösungen tatsächlich gehört. Im Vergleich zu Open Science, welches die komplette Öffnung des Forschungskreislaufs vorsieht, ist hier eine komplette Öffnung aller Unterlagen eher nicht erkennbar, da die Nutzungsrechte am entwickelten Know-How dem Unternehmen und nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden [21].
Citizen Science
Im Rahmen der Bürgerwissenschaften soll die breite Öffentlichkeit am Forschungsprozess beteiligt werden. Während das Thema seit einigen Jahren im Zusammenhang von Open Science diskutiert wird, handelt es sich streng genommen lediglich um die Formalisierung von Aktivitäten, die es immer schon gegeben hat. Zu nennen sind hier die Arbeit in Geschichtsvereinen oder Naturverbänden, in denen auch Laien forschend tätig sind. Durch die Digitalisierung ergeben sich allerdings neue Möglichkeiten zur Partizipation, wie beispielsweise die Teilnahme an überregionalen oder nicht-ortsgebundenen Projekten. Die vom Deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Plattform „Bürger schaffen Wissen“ (https://www.buergerschaffenwissen.de/) bündelt, präsentiert und kategorisiert entsprechende Projekte. Neben rechtlichen Fragen (z.B. Wem gehören die Daten, die in Citizen-Science-Projekten gesammelt wurden?) und der Vereinheitlichung von gesammelten Daten, ist eine der Hauptherausforderungen sicherlich die Partizipation der Bürger am gesamten Forschungsprozess. Momentan sind diese vornehmlich an einer Stelle des Forschungskreislaufs beteiligt, nämlich im Rahmen der Datenerzeugung. Ziel muss es aber sein, diese auch an anderen Stellen des Forschungskreislaufs einzubinden bzw. schon von Projektstart an und auch im Rahmen der Entwicklung von Forschungsfragen und Hypothesenbildung einzubeziehen [22].
Allgemeine Herausforderung Open Science in Gänze betreffend
In der Diskussion um Open Science gibt es immer wieder die Tendenz, einzelne Aspekte wie z.B. Open Access oder offene Forschungsdaten herauszugreifen und diese mit Open Science gleichzusetzen. Der Beitrag dürfte deutlich gemacht haben, dass es Ziel der Open-Science-Bewegung ist, den Forschungsprozess in Gänze zu öffnen und eine entsprechende Implementierung an Forschungs- und Hochschuleinrichtungen voranzutreiben [23]. Hauptherausforderung dabei ist die Heterogenität der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen, die eine spezifische Anpassung erfordert. Eine einheitliche Lösung wird es nicht geben können [24], wie sich allein schon bei den Forschungsdaten (siehe oben) gezeigt hat. In der Literatur werden unter anderem folgende Punkte als weitere Herausforderungen diskutiert:
- Schaffung von Anreizen für Forschende, offene Forschung zu betreiben [25], [26], insbesondere da die Open-Science-Praxis auch Mehrarbeit bedeutet [27],
- Konflikte zwischen „klassischem Reputationsaufbau“ und der Forderung nach Open Science [28]; dies ist auch verknüpft mit der Frage, wie man „Offenheit“ misst [29],
- Konfligieren der Anforderungen unterschiedlicher Stakeholder: es braucht einen Ansatz, der alle Interessen berücksichtigt und die Erwartungen der unterschiedlichen Interessengruppen deutlich macht, sowie entsprechende Policies zur Umsetzung [28],
- Schaffung von Ausbildungs- und Unterstützungsangeboten an Hochschul- und Forschungseinrichtungen neben dem Aufbau von Infrastruktur [25],
- Angebot oder Aufkauf von Open-Science-Anwendungen durch kommerzielle Anbieter [30].
Fazit
Mit Open Science ist die komplette Öffnung des Forschungskreislaufs gemeint. Die Bemühungen zur Öffnung sind bei den einzelnen Schritten des Forschungskreislaufs unterschiedlich weit fortgeschritten und geprägt von spezifischen Herausforderungen oder Problemen, die jeweils disziplinenspezifisch gelöst werden müssen. Trotz allem hat Open Science das Potenzial, die Transparenz in der Wissenschaft, Nachnutzbarkeit von Daten und Teilhabe an wissenschaftlichen Ergebnissen bzw. an wissenschaftlichen Prozessen zu ermöglichen und damit auch die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit von Wissenschaft zu erhöhen. Dies sind alles Aspekte, die die Integrität von Wissenschaft fördern und selbstverständlich sein sollten. Oder wie der Leitspruch der Open-Science-Bewegung es formuliert, der als Sticker auf vielen Laptops von Open-Science-Advokaten prangt: Open Science: Just Science done right [31].
Anmerkung
Interessenkonflikte
Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.
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