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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Auftragsrecherche-Service an der Medizinischen Fakultät Mannheim

Search service at the Mannheim Medical Faculty

Case Report Evidenzbasierte Medizin und Systematic Review

Suche in Medline nach

  • corresponding author Volker Braun - Bibliothek, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, Mannheim, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2020;20(1-2):Doc12

doi: 10.3205/mbi000469, urn:nbn:de:0183-mbi0004695

Veröffentlicht: 1. September 2020

© 2020 Braun.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Recherche-Services sind eine Möglichkeit zur Profilierung medizinischer Bibliotheken. Hier wird knapp dargestellt, wie sich der Service an der Medizinischen Fakultät Mannheim ab 2012 entwickelt hat und was Aufgaben für die Zukunft sein können.

Schlüsselwörter: systematische Literaturrecherchen, Auftragsrecherchen, Recherche-Service

Abstract

Literature search services are one way to distinguish medical libraries. Here is a brief description of how our service has developed since 2012 and what may be tasks in the future.

Keywords: systematic literature searches, literature search service


Entstehung der Dienstleistung

2011 wurden zwei systematische Literaturrecherchen von der Chirurgischen Klinik bei der Bibliothek in Auftrag gegeben (einmal als Vorbereitung auf ein Systematic Review und einmal im Rahmen einer Antragsstellung für eine klinische Studie). Aus der Erfahrung dieser Aufgaben entwickelte die damalige Mitarbeiterin, die seit 2014 als Informationsspezialistin bei einer Cochrane Group arbeitet, die Idee und ein Grundkonzept für die Entwicklung einer Dienstleitung „systematische Literaturrecherche in medizinischen Fachdatenbanken und Studienregistern“. Das Konzept wurde mit der Bibliotheksleitung abgestimmt, die das Projekt mit den entsprechenden Personal- und Fortbildungskosten aus Bordmitteln der Bibliothek bewilligt hat. Es wurde dann zunächst innerhalb der Universitätsmedizin Mannheim vor allem der Abteilung für Medizinische Statistik, Biomathematik und Informationsverarbeitung sowie der Medizinische Fakultät Heidelberg sondiert, welche entsprechenden Services ggf. bereits vorhanden waren. Auch wurden nationale und internationale Suchexperten kontaktiert, z.B. vom IQWiG oder der Cochrane Collaboration. Die weitere Entwicklung des Service erfolgte in enger Abstimmung mit der Bibliotheksleitung, die wiederum die Frage der Kostenstruktur für den zukünftigen Service mit der Fakultätsleitung klärte.

Die Konzeption 2012/2013 sah Auftragsrecherchen als Teil eines abgestuften Service an:

1.
Fakultative Teilnahme an einem einführenden Kurs zur Literaturrecherche in PubMed und der Cochrane Library und/oder EndNote
2.
Kurzberatung in der Bibliothek vor Ort oder telefonisch
3.
„Hausbesuch“ in Kliniken/Instituten als 90-minütige bis halbtägige Fortbildung, z.B. zum Thema Einführung in die systematische Literaturrecherche
4.
Durchführung der „systematischen Literaturrecherche“ bei Bedarf

Die Grobplanung zu 4) sah folgendes vor: Der zeitliche Aufwand für Personen, die einen Systematic Review schreiben, beträgt ca. 30–40 Stunden. Es erfolgen mindestens zwei ausführliche Gespräche mit dem Aufraggeber. Als Ergebnis werden geliefert: Dokumentation der Recherchestrategie pro Datenquelle sowie die Ergebnisse der Recherche für jede Datenquelle im Originalformat sowie als EndNote-Library. Ggf. kann auch der Abschnitt des Reviews nach den Kriterien der Cochrane Collaboration geschrieben werden, dabei sollte dann eine Ernennung als Autor*in erfolgen. Die Aufwandskalkulation (30–40 Std.) beinhaltet die Recherche in 5 Datenbanken (PubMed, Cochrane Library, Web Of Science, LILACS, Medpilot) sowie zwei Studienregistern (ICTRP und CT.gov). Zusätzlich sind auf Wunsch folgende Quellen durchsuchbar: Embase (verursacht weitere Kosten), CINAHL (Pflege), PsycInfo (Psychologie, Neurologie) und MEDITEC (Medizinische Technik). Die Kosten betragen 50 Euro pro Stunde und werden genau dokumentiert und abgerechnet.

Die „Besprechung mit den Auftraggebern“ beinhaltete folgende Aspekte:

1.
Hintergrund der Recherche. Wofür, welcher Anspruch?
2.
Thema (medizinische Fachsprache erklären lassen, selbst verstehen, was gesucht werden soll, auf welchen Teilaspekt besonders Wert gelegt wird, sich Synonyme des Themas nennen lassen, viele Fragen stellen)
3.
Welcher Zeitraum?
4.
2–5 relevante Publikationen
5.
In welchen Sprachen?
6.
In welchen Datenbanken? (Falls er/sie diese nennen kann, sonst über DIMDI ermitteln, evtl. auf Kosten hinweisen.)
7.
Welches Studiendesign? (RCTs, CCTs, alle Studien ... auch „normale“ Literatur? → Beeinflusst DB-Auswahl.)

Die Schritte für die Entwicklung der Recherchestrategie nach PICO-Schema wurden analog aufgelistet. Die Dokumentation des Service erfolgte von Anfang an in einem internen Wiki, die der Aufträge auf einem Netzlaufwerk.

Ende 2012 gab es eine interne Fortbildung für die Bibliotheksmitarbeiter, um den Service besser verständlich zu machen.

Als Öffentlichkeitsarbeit an der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) wurde per Poster und E-Mails zum zweistündigen Kick-off Meeting „Besser entscheiden durch gesichertes Wissen – Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis“ am 29. April 2013 eingeladen, mit dem der Service vorgestellt wurde. Es war eine gemeinsame Veranstaltung der Bibliothek und der Chirurgischen Klinik, zu der als besonderer Gast und Referent Gerd Antes, der damalige Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums, eingeladen war (siehe Anhang 1 [Anh. 1]).


Weiterentwicklung des Service

Seit 2014 betreuen zwei Bibliothekare mit der Qualifikationsstufe Dipl.-Bibliothekar und MLIS diesen Service.

Als zweite Stufe wird seit dem WS 2016 der Service „Book a Librarian“ angeboten, der genaue Terminvereinbarungen online zu rund 30minütigen Beratungsgesprächen ermöglicht. Außerdem fanden ab 2015 Hausbesuche zum Thema in neun Einrichtungen statt.

Der Service heißt schon seit einigen Jahren „Auftragsrecherchen“. Für UMM-Angehörige sind sie generell kostenlos, für Angehörige der Universität außerhalb der Medizinischen Fakultät Mannheim fallen pro Stunde Kosten in Höhe von 50 Euro ohne MwSt., bei Externen plus MwSt. an. Anfangs war auch eine Vorab-Recherche in DIMDI Smartsearch zur Ermittlung der relevanten Datenbanken angedacht, was allerdings nie genutzt wurde (und inzwischen nicht mehr zur Verfügung steht).

Auftraggeber sind schon seit 2014 verpflichtet, die Informationen zur Vorbereitung auf ein persönliches Gespräch über ein Online-Formular [1] zu liefern (auf der Homepage der Bibliothek verlinkt), die dann als strukturierte E-Mail an ein spezielles Postfach gesendet wird. Meist gibt es nur ein persönliches Gespräch und die weitere Kommunikation findet über E-Mail und seltener Telefon statt. Zielgruppe sind auch Doktoranden, die sich teils noch im Studium befinden. Es werden breitere und engere Recherchen in mehr oder weniger Datenbanken durchgeführt, je nach Bedarf des Auftraggebers – es sind also auch reine PubMed-Recherchen denkbar. Zum Service gehört auch die Lieferung einer EndNote-Datei, dabei war die Dublettenbereinigung ursprünglich nur auf Wunsch vorgesehen, ist inzwischen jedoch Standard. Von den oben genannten Datenbanken wurde in der Vergangenheit über kollegiale Hilfe selten Embase genutzt (aus Kostengründen gibt es keine Lizenzierung), kaum LIVIVO (früher Medpilot), kaum LILACS und kaum MEDITEC (aktuell ist keine Lizenz mehr vorhanden), bei Studienregistern wurde vor allem in ClinicalTrials.gov recherchiert.

Die Suchstring-Dokumentation wurde anfangs noch in Word mit Tabellenspalten je Datenbank gemacht, im Laufe des Jahres 2014 aber bereits der Übersicht halber mit zweispaltigen Tabellen je Datenbank, die rechte Spalte dient u.a. für Anmerkungen (siehe Anhang 2 [Anh. 2] als Beispiel). Die Aufteilung der Suchaspekte erfolgt ggf. nach PICO oder einfach nur mit A1, A2 usw. Die Suchstring-Tabellen werden so erstellt, dass die komplette Spalte mit allen Suchaspekten und Filtern je Zelle markiert/kopiert und in die jeweilige Datenbank eingefügt werden kann oder dass jeder Suchaspekt einzeln gesucht und diese nachträglich in den Datenbanken mit Operatoren verknüpft werden können. Die Dublettenbereinigung erfolgt vereinfacht in einem Schritt oder in mehreren Schritten (vereinfacht nach Bramer [2]). Auf Wortabstandsoperatoren wird meistens verzichtet, im Einzelfall wird jedoch Ovid Medline statt PubMed zu diesem Zweck genutzt. Textworte werden in PubMed entweder mit [tiab] oder mit [tw] gesucht.

Die Anzahl der bearbeiteten Aufträge nahm kontinuierlich zu, von 19 im Jahr 2014 bis zu 74 im Jahr 2018 (inklusive Updates). Es Teilauswertung für 31 Recherchen (davon 1 Update) 2018 ergab folgendes: Im Durchschnitt wurden rund 3 Stunden je Auftrag benötigt, wobei 30% der Auftraggeber Ärzte/Wissenschaftler waren, der Rest Doktoranden. In 16 Fällen wurde nach Absprache nur in PubMed recherchiert, in 11 Fällen in 3 oder mehr Datenbanken.


Weiterbildung

Die Weiterbildung funktioniert in der Regel über Kollegen, Mailinglisten, Tagungen (AGMB und EAHIL), Workshops, Artikel und diverse Webquellen. Neben der erwähnten Dokumentation im Wiki und auf Netzlaufwerken gibt es eine intern erstellte online frei zugängliche Datenbankenübersicht [3]. Eine Teilübersicht über die Themen der bisher erledigten Aufträge und zugehörige Besonderheiten (z.B. spezielle Filter oder genutzte Datenbanken) existiert zwar, sicher sinnvoll wäre aber eine gemeinsame Gesamtübersicht, sowohl für statistische Zwecke als auch als Nachschlagewerk für künftige Recherchen.


Diskussion

Dieser Service ist nur eine Aufgabe von vielen im Arbeitsalltag, so dass eine wissenschaftliche Begleitung der Arbeit schwierig ist. Viele Anfragen können „handwerklich“ aufgrund von Erfahrung gelöst werden, jedoch müsste man zur Klärung einiger spezieller Fragen viel lesen, mit anderen Experten weltweit diskutieren und ggf. eigene Studien planen. Dazu reicht bisher die Zeit oft nicht aus, wäre aber eine Herausforderung für die Zukunft.

Für die Zukunft sind einige Fragen zu diskutieren:

  • Sollte Google Scholar als Ergänzungsdatenbank bei Systematic Reviews genutzt werden, und wenn ja, wie?
  • Wann sollten Wortabstandsoperatoren getestet werden?
  • Sollte man den Zuwachs an neuen Treffern für jeden Begriff einzeln testen?
  • Sollte grundsätzlich in PubMed auf [tw]-Begriffe verzichtet werden?
  • Sollten Suchstrings erst zusammen mit dem Auftraggeber entwickelt werden oder schon in Vorbereitung auf ein Treffen?
  • Ist Embase für Systematic Reviews unabdingbar?
  • Können CINAHL-Textworte ohne Feldkennungen gesucht werden?
  • Kann die Cochrane Library ohne MeSH-Feldkennungen durchsucht werden?
  • Welche methodologischen Filter sind empfehlenswert und welche sollten anpasst werden?
  • Ist die Optimierung von Textworten nach Bramer [4] immer sinnvoll?
  • Welche Methode sollte für die Dublettenbereinigung und Rechercheupdates genutzt werden?
  • Sollte Peer Reviewing der Suchstrategie extern oder über Arbeitskollegen ein Standard sein?
  • Sollten Checklisten bei jedem Auftrag als Qualitätskontrolle abgearbeitet werden?
  • Welche Methode ist für enge Suchen geeignet?
  • Sollte man Grenzen für den zeitlichen Aufwand ziehen – wenn ja, in welchen Fällen?
  • Besteht Bedarf an statistischem und medizinischem Zusatzwissen – was nutzt das ggf.?

Die Antworten des Autors auf diese Fragen sind subjektiv und haben sich im Lauf der Zeit verändert. Daraus haben sich beispielsweise folgende Veränderungen in der Praxis ergeben:

  • Auf Feldkennungen für Textworte in CINAHL wird inzwischen verzichtet, weil der Aufwand zu hoch ist.
  • Die Optimierung von Textworten nach Bramer wird relativ häufig genutzt, seitens der Auftraggeber wird die gemeinsame Durchsicht der Trefferlisten aber nicht sonderlich geschätzt. Zum Teil wird diese Arbeit von den Bibliothekaren allein erledigt und der Auftraggeber dann um Einschätzung gebeten, bei engen Suchen wird manchmal ganz darauf verzichtet.

Andere Service-Fragen wie eine Verzahnung mit anderen Abteilungen (Statistik, Methodik) oder parallelem Support für Zitierung/Literaturverwaltung und Textverarbeitung sind auch überlegenswert.

Beiträge auf Tagungen und Rechercheprotokolle zeigen, dass Suchexperten recht unterschiedlich arbeiten, was sich teilweise auch im Mannheimer Team zeigt – aber je mehr Vernetzung und Austausch entsteht, desto eher kann man sich in Zukunft auf begründete einheitliche Vorgehensweisen einigen.


Anmerkung

  • DIMDI: Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information
  • ICTRP: International Clinical Trials Registry Platform (World Health Organization)
  • IQWiG: Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
  • LILACS: Literatura Latinoamericana y del Caribe en Ciencias de la Salud (Latin American and Caribbean Health Sciences Literature)
  • UMM : Universitätsmedizin Mannheim

Anmerkung

Interessenkonflikte

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Bibliothek der Medizinischen Fakultät Mannheim. Online-Formular Auftragsrecherche. [letzter Zugriff am 07.07.2020]. Verfügbar unter: https://www.umm.uni-heidelberg.de/bibliothek/suchen-finden/artikel-mehr/auftragsrecherchen/ Externer Link
2.
Bramer WM, Giustini D, de Jonge GB, Holland L, Bekhuis T. De-duplication of database search results for systematic reviews in EndNote. J Med Libr Assoc. 2016 Jul;104(3):240-3. DOI: 10.3163/1536-5050.104.3.014 Externer Link
3.
Braun V. Suche in biomedizinischen Literaturdatenbanken. [letzter Zugriff 07.07.2020]. Verfügbar unter: https://www.umm.uni-heidelberg.de/bibl/literatursuche/tabelle-datenbanken.html Externer Link
4.
Bramer WM, de Jonge GB, Rethlefsen ML, Mast F, Kleijnen J. A systematic approach to searching: an efficient and complete method to develop literature searches. J Med Libr Assoc. 2018 Oct;106(4):531-41. DOI: 10.5195/jmla.2018.283 Externer Link