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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

„Zukunft Wissenschaftlicher Bibliotheken?!“ – Bericht über eine Online-Konferenz von ZB MED und OPEN PASSWORD

“Zukunft wissenschaftlicher Bibliotheken?!” [The Future of Research Libraries?!] – report on an online conference organized by ZB MED and OPEN PASSWORD

Tagungsbericht

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  • corresponding author Jasmin Schmitz - ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften, Köln, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2020;20(1-2):Doc04

doi: 10.3205/mbi000461, urn:nbn:de:0183-mbi0004617

Veröffentlicht: 1. September 2020

© 2020 Schmitz.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Der Beitrag umfasst einen Bericht zur virtuellen Fachtagung „Zukunft Wissenschaftlicher Bibliotheken?!“, die am 18.05.2020 stattfand und fasst die Aussagen der Vorträge und der abschließenden Statement-Runde zusammen.

Schlüsselwörter: wissenschaftliche Bibliotheken, Konferenz, Berufsbild, Digitalisierung

Abstract

The article covers a report on the virtual conference “Zukunft Wissenschaftlicher Bibliotheken?!” [The future of Research Libraries?!] which took place on 18th May 2020 and summarizes the conclusions of the presentations and final statement discussion.

Keywords: research libraries, conference, job profile, digitization


Von der geplanten Vor-Ort-Tagung hin zur Online-Konferenz

Die Veranstaltung war zunächst vom Pech verfolgt: Ursprünglich geplant für einen Termin im Januar 2020, musste sie kurzfristig wegen eines Bombenfunds in der Nähe des ZB MED-Standorts in Köln und einer damit verbundenen Evakuierung abgesagt werden. Schnell war ein neuer Termin gefunden, allerdings war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhersehbar, dass im Mai die Covid-19-Pandemie Deutschland fest im Griff haben würde, einschließlich Verbot von Veranstaltungen dieser Art und erheblicher Reiseeinschränkungen für Mitarbeitende in wissenschaftlichen Bibliotheken. So wurde die Fachtagung schließlich mit leichten Modifikationen am Programm virtuell abgehalten: https://www.zbmed.de/ueber-uns/presse/neuigkeiten-aus-zb-med/artikel/einladung-zur-virtuellen-fachtagung-zukunft-wissenschaftlicher-bibliotheken/


Die Fachtagung als Spin-Off zur Debatte über die Zukunft der Informationswissenschaft

In einer Videobotschaft erläuterte Willi Bredemeier, Herausgeber des Nachrichtendienstes für die Informationsbranche „OPEN PASSWORD“ und Mitorganisator, die Idee zur Fachtagung: Das 2019 erschienene Buch „Zukunft der Informationswissenschaft – Hat die Informationswissenschaft eine Zukunft?“ [1] greift neben der Zukunft der Informationswissenschaft auch die Perspektiven wissenschaftlicher Bibliotheken auf. Eine erste Veranstaltung am 5. September 2019 an der TU Berlin nahm zunächst die Zukunft der Informationswissenschaft in den Blick, auf dieser Veranstaltung standen die Wissenschaftlichen Bibliotheken im Fokus. Willi Bredemeier sieht als wesentliche Herausforderungen für Wissenschaftliche Bibliotheken unter anderem die Themen Open Access, Forschungsdatenmanagement, Informations- und Datenkompetenz, Langzeitarchivierung, Künstliche Intelligenz, Citizen Science, Personalgewinnung als neuer Engpass und die Anpassung der bibliothekswissenschaftlichen Lehre an neue Anforderungen. Die virtuelle Fachtagung soll einen Beitrag zur Debatte liefern, wie sich Wissenschaftliche Bibliotheken künftig aufstellen können.


Keynote zu „Herausforderungen, Lösungen, Perspektiven wissenschaftlicher Bibliotheken“

Die Keynote wurde gehalten von Dietrich Nelle vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), ehemaliger Interimsdirektor von ZB MED. Er stellte die Herausforderungen und Aufgaben heraus, denen sich wissenschaftliche Bibliotheken stellen müssen. Für den Bereich „Open Access“ unterstrich Dietrich Nelle zunächst insbesondere die Durchbrüche, die erzielt werden konnten: Zu nennen ist hier der Wiley-DEAL-Vertrag, der dazu geführt hat, dass die Zugriffe auf Publikationen des Verlages um die Hälfte zugenommen haben. Die im Rahmen des Vertrages publizierten Open-Access-Artikel haben ein Volumen in der Größenordnung von mehr als 10 Millionen Euro gemessen an den Publikationsgebühren. Dietrich Nelle nutzte die Gelegenheit, berechtigte Einrichtungen zu ermuntern, sich auch am SpringerNature-DEAL zu beteiligen.

Auch das BMBF ist im Bereich Open Access mit folgenden Maßnahmen aktiv:

  • Derzeit werde an einer Neuauflage des Ideenwettbewerbs gearbeitet.
  • Für die im letzten Jahr ausgeschriebene Kompetenz- und Vernetzungsstelle für Open Access wurde mittlerweile der Zuschlag erteilt; mit der Einrichtung einer solchen Stelle soll die Open-Access-Community effektiv unterstützt werden.
  • Publikationsgebühren für Open-Access-Publikationen sind im Rahmen der BMBF Projektförderung förderfähig.

Mit der Zunahme von Open Access ändert sich auch der Sammelauftrag von Bibliotheken, es müssen beispielsweise Erwerbungsmittel in Publikationsfonds umgeschichtet werden. Zudem ergibt sich ein Bedarf an Publikationsinfrastruktur, neuen Publikationsformaten und digitaler Langzeitarchivierung.

Darüber hinaus ändern sich im Zeitalter der Digitalisierung sowohl die Wissensproduktion als auch der Wissenskonsum. Der Umstand, dass Wissenschaft immer datengetriebener wird, macht neue Formen der Forschung überhaupt erst möglich. Gleichzeitig besteht die Herausforderung, Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammenzuführen, um neue Erkenntnisse generieren zu können. Daraus ergeben sich allerdings auch große Chancen, beispielsweise in den Bereichen personalisierte Medizin und Agrarwissenschaften.

Durch die zunehmende Nutzung von Preprint-Servern und Forschungsdatenrepositorien in vielen wissenschaftlichen Communities können Publikationen und Originaldaten sehr schnell publiziert werden. Hieraus ergeben sich auch neue Bezugspunkte für Bibliotheken, die längst nicht mehr nur für die klassischen Publikationen wie Bücher und Journalartikel zuständig sind. Zudem sei es nicht ausreichend, bestehende Formate einfach nur digital anzubieten, sondern auch wirklich neue Wege zu gehen, so Dietrich Nelle. Als neue Aufgaben sind hier zu nennen:

1.
„Forschungsdatenmanagement“ mit der geordneten Sammlung von Daten und deren Erfassung mittels Metadaten sowie ihrer inhaltlichen Erschließung beispielsweise mittels Thesauri sowie Zugänglichmachung über intelligente Suche (also klassische bibliothekarische Aufgaben angewendet auf andere „Produkte“ wissenschaftlicher Arbeit), aber auch Begleitung und Unterstützung von Forschenden sowie
2.
„Digitale Langzeitarchivierung“ allerdings nicht nur von Texten, sondern auch von Daten und der dazugehörigen Software. Auch hier werden klassische bibliothekarische Kompetenzen benötigt, weil eine qualitätsgesicherte Auswahl dahingehend, welche Inhalte archivierungswürdig sind, getroffen werden muss. Daran schließen sich auch Fragen nach der Ausgestaltung von Repositorien und zum Datenschutz an.

Neben einer Lehr- und Forschungsunterstützung sei es aber auch wichtig, dass Bibliotheken selbst Forschung betreiben und eine aktive, gestalterische Rolle im Rahmen der Digitalisierung einnehmen. Dietrich Nelle plädiert hier für eine Kooperation von Bibliotheken, Rechenzentren und ggf. auch Digitalfirmen.

Zudem können Bibliotheken die Lehre unterstützen, z.B. durch die Auswahl, Bereitstellung und langfristige Erhaltung von Open Educational Resources. Weiterhin die Lernenden zu erreichen, sei für Bibliotheken ebenfalls enorm wichtig, um diese langfristig zu binden. Ein Vorschlag wäre die Anreicherung des Vorlesungsverzeichnisses mit Quellen, die zum Lehrangebot gut passen.

Über die Digitalisierung ändert sich auch die Interaktion mit dem Nutzenden: Längst ist der Bibliotheksbesuch nicht mehr zwingend notwendig, es sei vielmehr wichtig, dass die Bibliothek zu den Nutzenden kommt.

Bibliotheken sind nicht mehr nur darauf beschränkt, am Universitäts- und Hochschulstandort zu wirken, sondern auch darüber hinaus in die Gesellschaft hinein. Bibliotheken könnten als „Dritter Ort“ hierbei Zugang zu Wissen bereitstellen und zum wissensbasierten Handeln anleiten. So bleibt die physische Bibliothek weiterhin attraktiv.


Impulsvorträge

Im nächsten Programmteil folgten vier Impulsvorträge.

Digitale Dienste im Zentrum und mehr Wow-Effekte in Wissenschaftlichen Bibliotheken

Den Anfang machte Anne Christensen mit fünf Thesen für erfolgreiche Strategien bei der Umsetzung von digitalen Diensten in Bibliotheken:

1.
Digitale Dienste gehören in das Zentrum einer Bibliotheksstrategie, weil das Digitale mittlerweile der Dreh- und Angelpunkt für alles ist. Allerdings seien digitale Dienste in Bibliotheken noch sehr orientiert an analogen Werkzeugen, wie am Beispiel „Bibliothekssysteme“ deutlich wird, die der Systematik von Zettelkästen folgen.
2.
Mehr Wow-Effekte auch für die digitalen Dienste, nicht nur für die räumliche Umgestaltung. Hier gelte es, neue Tools zu entwickeln, die diese Effekte erzeugen.
3.
Digitale Dienste brauchen neue Formen der Zusammenarbeit. Solche Dienste waren ursprünglich über Projektgelder finanziert und hatten daher Projektstatus. Ziel muss aber sein, Produkte zu entwickeln. Im Bibliotheksbereich sei man noch sehr auf kommerzielle Anbieter angewiesen, es gelte aber, Systeme als Open Source zu entwickeln, damit sich darum eine offene Anwendungs- und Entwicklungscommunity sammeln kann, die das Produkt weiterentwickelt. Durch dezentrales Arbeiten würden diese Communities sich dann auch wieder über digitale Werkzeuge abstimmen und zusammenarbeiten.
4.
Selbstreflexion und Empathie werden gefordert: Der Hang zum Perfektionismus von Bibliotheken sollte selbstkritisch hinterfragt werden. In bestimmten Bereichen wie z.B. der Metadatenerstellung stellt er eine Tugend dar, in anderen Bereichen könnte er aber hinderlich wirken. Zudem müssen neue Formen des Zuhörens entwickelt werden, um sich auf den Bedarf der Nutzenden einstellen zu können.
5.
Digitale Dienste treiben Veränderungen in Bibliotheken an. Durch die Fokussierung auf Produkte muss auch Personalentwicklung und Personalrekrutierung stärker in den Fokus rücken. Aktuell versammelt sich die IT-Kompetenz in IT-Abteilungen, sinnvoller wäre es aber, dass IT-Wissen stärker in die Breite auch auf Abteilungsebene zu streuen.

Insgesamt bedeute dies, dass man veränderte Bedingungen in Bibliotheken hat: Ein neues Informationsverhalten der Zielgruppen, neue Formen der Zusammenarbeit und andere „Mindsets“ von Mitarbeitenden (die teilweise aus andere Berufsgruppen kommen), prägen nun die bibliothekarische Arbeit. Dies fordere aber auch eine generelle Offenheit und Bereitschaft zur Diversität einschließlich neue Herausforderungen an das Führungspersonal, so Anne Christensen.

Services für den kompletten Forschungskreislauf

Mit seinem Impulsvortrag stellte Dietrich Rebholz-Schuhmann, wissenschaftlicher Direktor von ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften, vor, wie sich ZB MED als forschendes Datenzentrum und zentrale Fachbibliothek für die Zukunft aufstellt. Ein Vergleich mit dem Positionspapier des Deutschen Bibliotheksverbands „Wissenschaftliche Bibliotheken 2025“ [2] zeigt, dass mit Blick auf die dort angeführten Handlungsfelder, ZB MED schon recht gut aufgestellt ist und dazu entweder bereits entsprechende Services anbietet oder aktuell entwickelt. Darüberhinaus orientiert man sich auch an der Strategie der National Library of Medicine und bereitet hier gerade vergleichbare Services vor, wie z.B. zur Data Literacy. Zudem werden für unterschiedliche Zielgruppen Services angeboten, im Fokus stehen aber insbesondere die Forschenden. Zu nennen sind hier, z.B. Zugang zur Literatur über das Discovery-System LIVIVO und Publikationsmöglichkeiten für Texte und Forschungsdaten über das Portal PUBLISSO. Insgesamt sollen für jedes Stadium im Forschungskreislauf entsprechende Dienste angeboten werden. Zudem wurde auf die Kooperation zwischen ZB MED und dem Institut für Bioinformatik-Infrastruktur in Bielefeld (BIBI) eingegangen. Hierbei werden die Inhalte von ZB MED mit der Cloud-Infrastruktur von BIBI gebündelt und so ein Mehrwert generiert, indem Literatur und Daten gemeinsam analysiert werden und Ergebnisse in spezifische Datenbanken der Communities zurückgeführt werden können. Insgesamt soll bei ZB MED auch die Datenanalyse weiterausgebaut werden, um aus bestehenden Daten neue Erkenntnisse abzuleiten. Die Bereitstellung von Wissen insbesondere über digitale Zugänge sowie die Förderung von Open Access und Open Science, Lizenzierung und Konsortienbildung sowie Training spielen aber künftig weiterhin eine große Rolle bei ZB MED.

Mit Wissensgraphen zu neuen Erkenntnissen

Sören Auer von der Technischen Informationsbibliothek (TIB) in Hannover zeigte sehr eindrucksvoll, dass die Digitalisierung und Vernetzung von Daten zwar unseren Alltag verändert hat, bislang in der wissenschaftlichen Praxis aber eher noch eine ausbaufähige Rolle spielt. Dies zeigt sich insbesondere an dem hohen Stellenwert von PDFs bei der Verarbeitung von Wissen, die eigentlich nur eine elektronische Repräsentation von gedruckten Texten sind und die die Möglichkeiten der Digitalisierung nicht voll ausschöpfen. Hauptprobleme hier: Unstrukturierte Daten liegen in Form von Texten vor, die in einem PDF nicht maschinenlesbar sind und so nicht automatisiert zusammengeführt werden können. Zudem kommen noch zu selten persistente Identifikatoren zum Einsatz. Sören Auer schlägt hier die Anreicherung von PDFs durch Wissensgraphen vor, über die Informationen aus den bibliographischen Angaben, aber auch solche inhaltlicher Art beispielsweise zur angewendeten Methodik, Art des Organismus und externe Quellen wie zugrundeliegende Forschungsdaten miteinander verknüpft werden. Diese Wissensgraphen können dann über Queries so abgefragt werden, dass Forschungsfragen anders beantwortet werden können. Zudem ermöglichen sie es, schneller einen Überblick zu einem bestimmten Forschungsgebiet zu erhalten. Der von der TIB entwickelte Open Research Knowledge Graph (https://www.orkg.org/orkg/) wurde an einem Beispiel zur COVID-19-Forschung demonstriert. Hierzu wurden bestimmte Daten (wie unter anderem der R0-Wert, geographische Angaben) aus unterschiedlichen Studien semi-automatisch extrahiert und in einer Zusammenschau dargestellt. Es besteht auch die Option, Werte manuell nachzuarbeiten, weil automatische Verfahren nur bedingt zuverlässig sind. Denkbar ist der Einsatz solcher Graphen für ganz unterschiedliche Disziplinen, hierbei ist aber ein enger Austausch auch mit den Fachwissenschaftlern notwendig.

Zertifikatskurs Data Librarian – Vermittlung von Kenntnissen für die Digitalisierung von Bibliotheken

Im letzten Impulsvortrag stellten Marvin Lanczek vom Zentrum für Bibliotheks- und Informationswissenschaftliche Weiterbildung (ZBIW) und Konrad Förstner von ZB MED / Technische Hochschule Köln den Zertifikatskurs „Data Librarian“ vor. Ziel ist es, Grundkenntnisse in den Bereichen Big Data, Open Science und Forschungsdaten zu vermitteln, da diese aufgrund der Digitalisierung neue Themenfelder in wissenschaftlichen Bibliotheken sind. Der Kurs richtet sich an Mitarbeitende aus wissenschaftlichen Bibliotheken, die über mindestens ein Jahr Berufserfahrung verfügen. Es werden keine Vorkenntnisse benötigt, die Bewerbung erfolgt über ein Motivationsschreiben. Ziel ist es, den Teilnehmenden Grundkenntnisse und Konzepte zu vermitteln, die aber danach selbstständig vertieft werden müssen. Es geht also in erster Linie darum, Hemmschwellen abzubauen, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Insgesamt werden im Blended-Learning-Format zu den Themen Programmieren, Behandlung von Datenbanksystemen, automatisches Erschließen, Retrievalsysteme, Statistik, Künstliche Intelligenz, Datenvisualisierung, Forschungsdatenprozesse, wissenschaftliches Publizieren, Bibliometrie, Lizenzen, ethische Aspekte und Langzeitarchivierung Inhalte vermittelt, verteilt auf sechs Module. Am Ende folgt eine Projekt-Abschlussarbeit. Der erste Kursdurchgang fand von November 2019 bis Juni 2020 mit 14 Teilnehmenden statt – beworben hatten sich ursprünglich 40 Personen, was für den Bedarf an einem solchen Kurs spricht. Der Zeitaufwand beträgt ca. 210 Stunden, einschließlich Präsenztagen und E-Learning-Phasen.


Statement-Runde

Aufgrund der fehlenden Möglichkeit, die ursprünglich angedachte Podiumsdiskussion stattfinden zu lassen, wurden die Diskutanten gebeten, sich zu einer Reihe von Statements zu äußern:

  • Statement #1: Wissenschaftliche Bibliotheken zwischen Formalerschließung und Forschungsdatenmanagement: Was ist Kunst und was kann weg?

Generell ist keine pauschale Beantwortung der Frage möglich. Vielmehr geht es darum: Was wird von den Nutzenden nachgefragt und was ist von längerfristigem (Mehr-)Wert? Es sollte nicht an Dingen festgehalten werden, die man ohnehin nur macht, weil sie gerade en vogue sind oder man sie immer schon gemacht hat. Auch sollte geprüft werden, inwieweit man bestimmte Aufgaben von Bibliotheken nicht automatisieren kann. Hierbei muss aber auch klar sein, dass tiefgreifende Veränderungen oder Ablegen von bestimmten Aufgaben bei den Mitarbeitenden auch Ängste oder Trauer auslösen, für die es Raum geben muss.

  • Statement #2: Data Librarian, Systembibliothekar und Co.: Welche Qualifikationen brauchen wir und wie lassen sich diese rekrutieren?

Ein Statement hob die Bedeutung von Managementkompetenzen hervor, ohne die sich fachliche Kompetenzen nicht entfalten könnten. Ebenso wichtig sind Kommunikationsfähigkeit, lebenslanges Lernen und eine damit verbundene Selbstlernfähigkeit. Idealfall wäre eine Profilbildung mit Einarbeitung in ein Hauptthemengebiet, zu dem man sich anschließend ständig weiterbildet. Darüberhinaus ist eine Kombination aus Informationswissenschaften, IT-Kompetenz und Kenntnissen in den Fachwissenschaften ideal. Insgesamt müssten Bibliotheken agiler sowie ausprobier- und experimentierfreudiger werden. Für Berufsgruppen, die im bibliothekarischen Bereich nach wie vor gebraucht werden, ist ein gutes Fortbildungsangebot wichtig.

  • Statement #3: Citizen Science: Die breite Öffentlichkeit als wichtige Zielgruppe für Wissenschaftliche Bibliotheken?

Citizen Science wird nicht als Kernaufgabe von Bibliotheken gesehen. Sie könnte allerdings stärker eine Brücke zwischen Bürger*innen und Fachwissenschaftler*innen schlagen, um zu vermitteln, wie Wissenschaft tatsächlich arbeitet und was qualitätsgesicherte wissenschaftliche Informationen sind. Wenden sich Bibliotheken solchen Projekten zu, dann sollten sie darauf achten, dass die Bürger*innen stärker in den Erkenntnisgewinn einbezogen werden und nicht nur Daten sammeln.

  • Statement #4: Wissenschaftliche Bibliotheken und Privatwirtschaft: Notwendig, sinnvoll oder verwerflich?

Eine Zusammenarbeit wird als sinnvoll erachtet und daher nicht als verwerflich betrachtet. Grundsätzlich werden die Entwicklerkapazitäten der Privatwirtschaft gebraucht und können einen Schub bei der Entwicklung im Bibliotheksbereich geben (Beispiel Folio). Die Rahmenbedingungen müssen allerdings stimmen und Bibliotheken und Privatwirtschaft sollten auf Augenhöhe zusammenarbeiten können; Abhängigkeiten oder gar Lock-Ins sind in jedem Fall zu vermeiden. Plädiert wird daher für Konstellationen mit offenen Systemen und Schnittstellen, bei denen sich ein freier Markt etablieren kann. Firmen sollten in erster Linie Dienstleistungsaufgaben übernehmen, bei Bedarf sollte ein schneller Anbieterwechsel vollzogen werden können.


Online statt Präsenz?!

Zu Spitzenzeiten haben mehr als 260 Personen an der Konferenz teilgenommen. Klar ist, dass die hohe Zahl der Teilnehmenden bei einer Präsenzveranstaltung allein aus räumlichen Kapazitätsgründen nicht ansatzweise erreicht worden wäre. Einige Teilnehmende machten auch deutlich, dass nur aufgrund der „Verlegung“ ins Virtuelle eine Teilnahme – auch unabhängig von der Covid-19-Pandemie – überhaupt möglich gewesen sei, weil eine Reise nach Köln entweder zeitlich nicht zu realisieren gewesen wäre oder gerade in kleineren Einrichtungen hierfür kein Reisebudget vorgesehen sei. Die fehlenden Möglichkeiten zum realen Austausch und Networking wurden durch engagierte Diskussionen im Chat und auf Twitter unter #ZukunftWB kompensiert, wo einzelne Thesen aus den Vorträgen ebenfalls weiter kommentiert und diskutiert wurden. Einen großen Anteil am Gelingen der Veranstaltungen haben (neben den Vortragenden) somit insbesondere jene Teilnehmenden, die durch Rückfragen, Kommentierungen und engagierte Beteiligung an den Diskussionen Lebendigkeit in das Format gebracht haben. Kleinere technische Probleme und Aussetzer sind im Rahmen einer solchen Veranstaltung kaum vermeidbar und waren im Rahmen dieser Konferenz in erster Linie darauf zurückzuführen, dass sich aufgrund der Beschränkungen ein Großteil der Beteiligten im Home Office befunden hat und aufgrund der Distanz Übergänge und Abstimmungen nicht immer reibungslos möglich waren. Zudem machte sich hin und wieder die in Deutschland unterschiedlich gut ausgebaute Internetinfrastruktur bemerkbar. Dennoch war man seitens der Veranstalter am Ende positiv überrascht, wie gut die Verlegung ins Virtuelle dann tatsächlich doch funktioniert hat.

Die Vorträge wurden aufgezeichnet und sind über den YouTube-Kanal (https://www.youtube.com/user/ZBMED) von ZB MED verfügbar. Die Präsentationen sind zusätzlich auf der Website von ZB MED abrufbar: https://www.zbmed.de/ueber-uns/presse/neuigkeiten-aus-zb-med/artikel/tagung-im-neuen-normal-zukunft-wissenschaftlicher-bibliotheken-als-virtuelles-event-starke-vo/


Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Willi Bredemeier, Hrsg. Zukunft der Informationswissenschaft. Hat die Informationswissenschaft eine Zukunft? Berlin: Simon Verlag; 2019.
2.
Deutscher Bibliotheksverband (dbv). Wissenschaftliche Bibliotheken 2025 – beschlossen von der Sektion 4 „Wissenschaftliche Universalbibliotheken“ im Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) im Januar 2018. 2018. Verfügbar unter: https://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/Sektionen/sektion4/Publikationen/WB2025_Endfassung_endg.pdf Externer Link