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ISSN 1865-066X

Plagiate und Plagiatsvermeidung an der MedUni Wien: 11 Fragen an Curriculumsdirektor Stefan Böhm von Helmut Dollfuß

Plagiarism and its prevention at the Medical University Vienna. An 11-question interview with curriulum director Stefan Böhm, by Helmut Dollfuß

Interview Plagiate und Plagiatsvermeidung

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  • Stefan Böhm - Zentrum für Physiologie und Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien, Österreich
  • corresponding author Helmut Dollfuß - Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien, Österreich

GMS Med Bibl Inf 2015;15(1-2):Doc07

doi: 10.3205/mbi000334, urn:nbn:de:0183-mbi0003345

Veröffentlicht: 12. August 2015

© 2015 Böhm et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Dr. Stefan Böhm, Curriculumsdirektor für den Bereich der Doktoratsstudien, berichtet in diesem 11-Fragen-Interview über die Einführung und Organisation der Plagiatsprüfung an der Medizinischen Universität Wien (MedUni Wien). Weiters werden mögliche Beweggründe für das Plagiieren und Maßnahmen zur Vermeidung von Plagiaten angesprochen.

Schlüsselwörter: MedUni Wien, Medizincurriculum, Dissertation, Doktoratsstudium, Plagiatsprüfung, Plagiatsvermeidung

Abstract

This is an 11-question interview with Dr. Stefan Böhm who is curriculum director for PhD studies. He reports on the implementation and organisation of plagiarism assessment at the Medical University Vienna. Furthermore motives for plagiarism and measures to prevent plagiarism will be presented.

Keywords: Medical University Vienna, medical curriculum, dissertation, PhD studies, plagiarism assessment, plagiarism prevention


Interview

1.
Herr Professor Böhm, Sie sind Curriculumsdirektor an der MedUni Wien. Können Sie bitte kurz Ihre Tätigkeiten für diesen Aufgabenbereich beschreiben.

In dieser Funktion bin ich für zahlreiche studienrechtlichen Angelegenheiten im Bereich der Doktoratsstudien zuständig. In der Satzung der MedUni Wien erstreckt sich die Auflistung aller Aufgaben über mehr als eine Seite, sodass ich diese hier nicht komplett widergeben will. Im täglichen Leben sind meine häufigsten Aufgaben: Organisation der Plagiatsprüfung für alle eingereichten Dissertationen (weit über 100 pro Jahr), hernach Auswahl von Gutachtern für ebendiese Dissertationen, und zuletzt Auswahl von Prüfungskomitees für die nachfolgenden Abschlussprüfungen. Daneben bin ich für die Entwicklung der Studienpläne zuständig, für die Abhaltung von akademischen Abschlussfeiern und von Seminaren für Dissertationsbetreuer, sowie für die Akkreditierung von Dissertationsprogrammen und Dissertationsbetreuern. Die meisten dieser Aufgaben erfülle ich in enger Kooperation mit der zuständigen Senatskommission für Doktoratsstudien.

2.
In der Richtlinie „Good Scientific Practice“ der MedUni Wien wird Plagiarismus explizit als wissenschaftliches Fehlverhalten angeführt. Wie weit ist Ihre Arbeit als Curriculumsdirektor durch Plagiate betroffen?

Wie oben angedeutet, wird jede eingereichte Dissertation einer strengen Plagiatsprüfung unterzogen. Hierfür gibt es eine eigens eingerichtete Plagiatsprüfungsstelle an unserer Universität, die diese Aufgabe durch Einsatz kommerzieller Plagiatsprüfungsprogramme erfüllt. Werden im Rahmen dieser Plagiatsprüfung auf Plagiarismus verdächtige Textstellen gefunden, so liegt es danach in meinem Verantwortungsbereich, über die weitere Vorgehensweise zu entscheiden.

3.
Durch die große mediale Berichterstattung über Plagiatsfälle und Aberkennung der akademischen Grade rückte das Thema ins öffentliche Interesse. Registrieren Sie eine verstärkte Nachfrage von verunsicherten Studenten, Dissertanten und Wissenschaftlern?

Nach Einführung der flächendeckenden Plagiatsprüfung im Bereich der Doktoratsstudien an der MedUni Wien im Jahr 2010 gab es initial eine beträchtliche Zahl eingereichter Dissertationen mit fraglichen Plagiatsstellen. Dies hat dann auch zu einer gewissen Verunsicherung und zu zahlreichen Anfragen geführt. Mittlerweile halten wir regelmäßig Informationsveranstaltungen ab, die Dissertationsbetreuer werden in verpflichtenden Betreuerfortbildungen dahingehend informiert, und es gibt auf der Internetseite für die Doktoratsstudien ausführliche Informationen. Infolge dieser Maßnahmen ist die Zahl der Verdachtsfälle in Dissertationen deutlich gesunken, sind die Anfragen stark zurückgegangen, und ich vermute, dass die Verunsicherung ebenso abgenommen hat.

4.
Viele Institutionen verwenden bereits EDV-Unterstützung bei der Kontrolle akademischer Arbeiten. Setzen Sie Software für die Plagiatsprüfung ein und wie sind Ihre Erfahrungen im Umgang mit dieser Software?

Natürlich setzten wir, wie auch zuvor erwähnt, Software zur Plagiatsprüfung ein. Anders ließe sich das ja überhaupt nicht durchführen, denn man muss bei der Überprüfung einer Dissertation simultan auf Tausende Quellen zugreifen können, die auch teilweise gar nicht kostenfrei zur Verfügung stehen.

5.
Angenommen bei einer medizinischen Abschlussarbeit taucht ein Plagiatsverdacht auf. Könnten Sie uns bitte beschreiben, wie die Vorgangsweise in diesem Fall aussehen würde.

Hierfür gibt es an unserer Universität eine genau festgelegt SOP. Das Procedere beginnt damit, dass ich den Betreuer über vermutete Plagiatsstellen informiere, ohne letztere aber auf den Buchstaben genau zu definieren. Es gibt also Hinweise auf Kapitel und eventuell Seiten, aber der exakte Wortlaut der Textstellen wird nicht bekannt gegeben. Der Betreuer diskutiert den Sachverhalt mit dem Einreicher der Dissertation, welcher einmalig die Möglichkeit zur Einreichung einer neuen Version erhält. Prinzipiell könnten Studierende sich weigern, eine neue Version einzureichen, dann müsste der Rat für Wissenschaftsethik involviert werden. Bis heute ist dies aber noch nicht passiert.

6.
Über welche Sanktionsmöglichkeiten verfügt die MedUni Wien, wenn Plagiate oder sonstiges wissenschaftliches Fehlverhalten aufgedeckt wurden?

Das ist eine Frage, die mich in meiner Funktion als Curriculumdirektor nicht direkt betrifft. Ich kann maximal in die Zwangslage kommen, wissenschaftliches Fehlverhalten den Leitungsgremien der Universität bekanntgeben zu müssen. Die eventuell resultierenden Sanktionen liegen weit außerhalb meines Einflussbereichs.

7.
Die akademischen und beruflichen Konsequenzen von Plagiarismus können ja sehr schwerwiegend sein. Wieso gehen Ihrer Meinung nach Studenten und Dissertanten, oder auch Wissenschaftler dieses hohe Risiko ein?

Darüber kann ich bestenfalls spekulieren. In sehr vielen Fällen wird bei Doktoranden wohl ein gewisses Maß an Unwissenheit verantwortlich sein. Bei erfahrenen Wissenschaftlern hingegen werden sicherlich andere Gründe im Vordergrund stehen. Dazu trägt wohl auch der stetig zunehmende Konkurrenzdruck unter Wissenschaftlern bei, der nicht zuletzt durch die immer knapper werdenden Ressourcen gefördert wird.

8.
Kontrollen und Sanktionen sind wohl nötig, wichtig sind aber sicherlich auch Maßnahmen zur Plagiatsvermeidung. Wie und wann werden die Studierenden der MedUni mit den korrekten Zitierregeln und mit „Good Scientific Practice“ vertraut gemacht?

In den Diplomstudien an unserer Universität werden Zitierregeln und „Good Scientific Practice“ schon im 3. Semester erstmals unterrichtet, und zwar in Seminaren mit Anwesenheitspflicht. Im Doktoratsstudium gibt es ein für alle DoktorandInnen verpflichtendes Propädeutikum zu „Good Scientific Practice“.

9.
Einen großen Einfluss auf die Studierenden haben auch die Lehrenden und die Betreuer von medizinischen Abschlussarbeiten. Welche Maßnahmen würden Sie diesen Personen empfehlen um Plagiarismus oder wissenschaftliches Fehlverhalten bei Studentinnen und Studenten von Anfang an zu vermeiden?

Es ist ganz wesentlich, Doktorandinnen zu regelmäßigem Schreiben zu motivieren: Übung macht den Meister. Und wann immer Betreuer Texte von Studierenden korrigieren, sollten Letztere darauf hingewiesen werden, dass jegliches Kopieren (oder wörtliches Abschreiben) unbedingt zu vermeiden ist. Ich persönlich empfehle immer, das Verfassen von Texten nur an Computergeräten vorzunehmen, die über keinen Internetzugang verfügen, und beim Schreiben keinerlei Unterlagen bei der Hand zu haben. Dies macht Plagiieren praktisch unmöglich.

10.
Sie sind ja selbst auch Wissenschaftler. Es scheint in der medizinischen Forschung eine Zunahme von Fällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu geben, von nichtberechtigter Autorenschaft bis zu Datenfälschungen. Entspricht das auch Ihrer Wahrnehmung und wie könnte man dem entgegentreten?

Wie oben erwähnt konnten wir in den Dissertationen keine Zunahme wissenschaftlichen Fehlverhaltens feststellen, da entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen wurden. Ob in der medizinischen Forschung im Allgemeinen die Häufigkeit wissenschaftlichen Fehlverhaltens zunimmt, kann ich persönlich nicht beurteilen. Ebenso schwierig ist es, solchem Fehlverhalten entgegenzutreten. Letztendlich ist dies eine Frage von Ehrlichkeit und Anstand, und beides lässt sich nicht erzwingen.

11.
Die Leitungen von Hochschulen haben weltweit zum Teil recht spät oder unzureichend auf die Problematik von Plagiarismus und wissenschaftlichem Fehlverhalten reagiert. Welche Empfehlungen würden Sie den Universitätsleitungen aufgrund Ihrer Erfahrungen gerne weitergeben und welche Wünsche hätten Sie für den zukünftigen Umgang mit dieser Thematik?

Meines Erachtens kann man nur danach trachten, dieses Problem immer wieder zu thematisieren, damit es niemals aus dem Bewusstsein schwindet. Daneben könnte man allen Mitarbeitern ein „Plagiatsservice“ anbieten, in welchem man alle Texte überprüfen lassen kann, bevor diese die Universität verlassen. Die Plagiatsprüfungsstelle der MedUni Wien kann dies gegenwärtig nicht leisten, da sie personell und informationstechnisch dafür nicht ausreichend ausgestattet ist. Eine entsprechende Vergrößerung der Plagiatsprüfungsstelle würde enorme Kosten verursachen, sodass an eine Umsetzung eines solchen Vorhabens angesichts der finanziellen Lage der Universitäten wohl eher nicht zu denken ist.


Kontakt und biographische Daten

Kontaktadresse

Abbildung 1 [Abb. 1]

Univ. Prof. Dr. med. Dr. h.c. Stefan Böhm
Curriculumdirektor für Doktoratsstudien
Leiter der Abteilung Neurophysiologie und Neuropharmakologie
Zentrum für Physiologie und Pharmakologie
Medizinische Universität Wien
Währinger Strasse 13a
1090 Wien
Österreich
Email: Stefan.Boehm@meduniwien.ac.at
Website des Institutes: http://www.meduniwien.ac.at/hp/zpp/institute-abteilungen/neurophysiologie-und-neuropharmakologie/

Biographische Daten

Universitätsprofessor Dr. Stefan Böhm leitet die Abteilung für Neurophysiologie und Neuropharmakologie am Zentrum für Physiologie und Pharmakologie der MedUni Wien. Er fungiert auch als Curriculumdirektor für die Doktoratsstudien an der MedUni Wien. Stefan Böhm erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter der Preis der Hoechst-Stiftung für Biomedizinische Forschung, der Wissenschaftspreis des Landes Niederösterreich und der Otto-Loewi-Preis der österreichischen Gesellschaft für Neurowissenschaften. Stefan Böhm ist Mitglied mehrerer Editorial Boards internationaler Journale und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurowissenschaften (Quelle: Archiv der MedUni Wien).

Publikationen (in Auswahl)

  • Boehm S, Betz H. Somatostatin inhibits excitatory transmission at rat hippocampal synapses via presynaptic receptors. J Neurosci. 1997 Jun;17(11):4066-75.
  • O’Connor V, El Far O, Bofill-Cardona E, Nanoff C, Freissmuth M, Karschin A, Airas JM, Betz H, Boehm S. Calmodulin dependence of presynaptic metabotropic glutamate receptor signaling. Science. 1999 Nov;286(5442):1180-4. DOI: 10.1126/science.286.5442.1180
  • Boehm S. ATP stimulates sympathetic transmitter release via presynaptic P2X purinoceptors. J Neurosci. 1999 Jan;19(2):737-46.
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  • Lechner SG, Hussl S, Schicker KW, Drobny H, Boehm S. Presynaptic inhibition via a phospholipase C- and phosphatidylinositol bisphosphate-dependent regulation of neuronal Ca2+ channels. Mol Pharmacol. 2005 Nov;68(5):1387-96. DOI: 10.1124/mol.105.014886
  • Schicker K, Hussl S, Chandaka GK, Kosenburger K, Yang JW, Waldhoer M, Sitte HH, Boehm S. A membrane network of receptors and enzymes for adenine nucleotides and nucleosides. Biochim Biophys Acta. 2009 Feb;1793(2):325-34. DOI: 10.1016/j.bbamcr.2008.09.014
  • Schicker KW, Chandaka GK, Geier P, Kubista H, Boehm S. P2Y1 receptors mediate an activation of neuronal calcium-dependent K+ channels. J Physiol. 2010 Oct 1;588(Pt 19):3713-25. DOI: 10.1113/jphysiol.2010.193367
  • Yousuf A, Klinger F, Schicker K, Boehm S. Nucleotides control the excitability of sensory neurons via two P2Y receptors and a bifurcated signaling cascade. Pain. 2011 Aug;152(8):1899-908. DOI: 10.1016/j.pain.2011.04.016
  • Buchmayer F, Schicker K, Steinkellner T, Geier P, Stübiger G, Hamilton PJ, Jurik A, Stockner T, Yang JW, Montgomery T, Holy M, Hofmaier T, Kudlacek O, Matthies HJ, Ecker GF, Bochkov V, Galli A, Boehm S, Sitte HH. Amphetamine actions at the serotonin transporter rely on the availability of phosphatidylinositol-4,5-bisphosphate. Proc Natl Acad Sci U S A. 2013 Jul 9;110(28):11642-7. DOI: 10.1073/pnas.1220552110

Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.