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Automatisierte Artikelbestellverwaltung: Doctor-Doc – ein bibliothekarisches Verwaltungswerkzeug
Automation in Interlibrary Loan: Doctor-Doc – a tool for librarians
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Veröffentlicht: | 12. Mai 2010 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Die Beschaffung von Artikelkopien aus Beständen anderer Bibliotheken stellt eine wichtige Dienstleistung als Ergänzung zum eigenen Bibliotheksangebot dar.
Um den Ablauf bei Bestellungen über externe Lieferanten für 6 Spitalstandorte zu organisieren und zu standardisieren, wurde für die Solothurner Spitäler AG soH ein Online-Verwaltungswerkzeug geschaffen. Das resultierende Tool unter http://www.doctor-doc.com/ steht interessierten Bibliotheken kostenlos zur Verfügung. Der Betrieb, die Wartung und die Weiterentwicklung wird von einem eigens dafür gegründeten Verein sichergestellt.
Doctor-Doc ist kein Artikellieferant, bietet aber eine Plattform um die Bestellungen bei existierenden Lieferanten wie Subito, British Library oder beliebigen Bibliotheken zentral zu verwalten.
Doctor-Doc ist OpenURL-fähig und kann Identifikatoren wie PMIDs auflösen. Im Zusammenhang mit einem bestehenden EZB-Account lässt sich Doctor-Doc deshalb auch als Linkresolver nutzen.
Das Tool hat sich in der soH als unverzichtbares Werkzeug für eine effiziente Bearbeitung der internen Artikelbestellungen erwiesen und wird von zahlreichen Bibliotheken in Deutschland und der Schweiz eingesetzt.
Abstract
Interlibrary loan has always been an important service to supplement own library holdings.
To organize and standardize the order process of journal articles for 6 hospitals, we did create an online tool for the Solothurner Spitäler AG. The resulting application is available for libraries free of charge under http://www.doctor-doc.com/. The application is maintained and will be further developed by an association founded specially for this purpose.
Doctor-Doc is not a supplier of articles, but rather a platform to organize orders at existing suppliers like Subito, British Library or any other supplying libraries.
Doctor-Doc is OpenURL compliant and is able to resolve identifiers like PMIDs. In combination with an existing account from the german EZB, libraries can use the application as a linkresolver.
The application has become an essential tool to efficiently manage interlibrary loan for the Solothurner Spitäler AG. The tool is also used by many libraries in Germany and Switzerland.
Doctor-Doc – ein bibliothekarisches Verwaltungswerkzeug
Ausgangslage
Im Jahr 2006 wurden im Kanton Solothurn die Spitäler unter einer gemeinsamen Dachgesellschaft, der Solothurner Spitäler AG soH, zusammengefasst. Damit veränderten sich die Anforderungen an die Bibliothek fundamental: Neben der Schaffung eines standortübergreifenden Online-Angebots, wurde es notwendig eine grosse Anzahl an externen Artikelbestellungen durch das Bibliotheksteam über mehrere dezentrale Bibliotheksstandorte gemeinsam zu verwalten.
Es stellte sich die Frage nach einem zentralen Verwaltungswerkzeug für diese Aufgabe. Da wir für die europäische ILL-Situation keine passende Software finden konnten, haben wir uns entschlossen, eine Softwarelösung in Eigenregie zu entwickeln.
Anforderungen
Die Zielsetzung war eine weitgehende Automatisierung des gesamten Bestellablaufes. Folgende Anforderungen wurden dabei umgesetzt:
- Freie Websuche anhand des Artikeltitels
- Automatisches Ergänzen der Artikelangaben anhand des Artikeltitels
- Prüfung der internen und externen Verfügbarkeit über OpenURL
- Bestellformular für die eigene Kundschaft
- Bestellschnittstellen zu Subito, GBV, IDS etc.
- Kundenverwaltung
- Bestellnachverfolgung für das Bibliothekspersonal
- Bestellnachverfolgung für die Kunden
- Statistiken
- Mehrsprachige Oberfläche
- Mandantenfähig
Freie Websuche anhand des Artikeltitels
Im naturwissenschaftlichen Bereich sind Artikel durch den Artikeltitel sehr oft bereits eindeutig identifizierbar. Artikeltitel bestehend aus einem guten Dutzend Wörter sind keine Seltenheit (z.B. „Balance dysfunction resulting from acute inner ear energy failure is caused primarily by vestibular hair cell damage“). Deshalb können Artikel über Google als Phrase und mit Zusatzbegriffen wie filetype:pdf sehr direkt lokalisiert werden.
Doctor-Doc sucht nach der Eingabe des Artikeltitels in Google und Google Scholar nach Treffern. Es werden dabei mehrere Suchläufe ausgeführt. Zuerst mit sehr engen Suchkriterien und falls keine Treffer auftreten in zusätzlichen Suchläufen mit immer weniger strengen Kriterien.
Gefunden werden dabei sowohl kostenpflichtige Angebote als auch frei verfügbare Artikel. In der Statistik der soH liegt die Rate, der durch im Internet frei verfügbare Artikel erledigten Bestellungen, bei ungefähr 7–8%.
Automatisches Ergänzen der Artikelangaben anhand des Artikeltitels
Gleichzeitig mit der freien Websuche ermittelt Doctor-Doc anhand des Titels sämtliche Artikelangaben wie ISSN, Jahr, Jahrgang, Seitenzahlen etc. Die vorgeschlagenen Werte können kontrolliert und ggf. korrigiert werden. Es steht ebenfalls ein ISSN-Assistent zur Verfügung um eine ISSN anhand eines Zeitschriftenartikels zu bestimmen.
Prüfung der internen und externen Verfügbarkeit über OpenURL
Falls ein eigener EZB-Account zur Verfügung steht, prüft Doctor-Doc im nächsten Schritt, ob der Artikel von der eigenen Bibliothek abonniert oder ev. frei zugänglich ist. Dabei wird ein Direktlink auf den Artikel, so wie er von der Verfügbarkeitsanzeige der EZB/ZDB zur Verfügung gestellt wird, ausgegeben.
Ebenfalls stehen mehrere Links zur Verfügung um manuell zu überprüfen, ob eine Zeitschrift in einem der zahlreichen Verbundkataloge verzeichnet und der Artikel ggf. bestellbar ist.
Bemerkenswert ist, dass Doctor-Doc die fehlenden Fähigkeiten der Verfügbarkeitsanzeige der EZB/ZDB ergänzt: Doctor-Doc kann zusätzlich Identifiers wie PMIDs und DOIs auflösen und bietet ein IP-basiertes Bestellformular für die interne Kundschaft. In dieser Kombination kann Doctor-Doc als freier Linkresolver in beliebigen Datenbanken eingesetzt werden. Linkresolver für Bibliotheken konnten bisher in der Regel nur relativ teuer über spezialisierte Anbieter eingekauft werden.
Bestellformular für die eigene Kundschaft
Das Bestellformular dient dazu möglichst standardisierte Bestellaufträge der Kundschaft z.Hd. der eigenen Bibliothek zu erhalten. Das Formular ist fast beliebig mit zusätzlichen Feldern, Optionen und Links auf Gebührenordnungen etc. anpassbar. Das Formular ist IP-basiert oder über eine statische Zusatzkennung zugänglich.
Bestellschnittstellen
Neben zahlreichen über externe Links manuell abfragbare Verbundkataloge, besteht für GBV-Bibliotheken die Möglichkeit Bestellungen automatisiert über das ILL-Protokoll an den GBV zu übermitteln. Dabei wird die zugeteilte GBV-Bestellnummer automatisch in Doctor-Doc abgespeichert. Sobald sich von Seiten des GBV eine Statusänderung der Bestellung ergibt, wird der Bestellstatus wiederum über das ILL-Protokoll an Doctor-Doc kommuniziert und vermerkt.
Bei Subito wird das übliche Subito-Preorder-Formular verwendet. Hier werden alle Artikelangaben aus Doctor-Doc zur weiteren manuellen Bearbeitung in Subito übernommen.
Kundenverwaltung
Kundenangaben können in Doctor-Doc hinterlegt werden und stehen zur Auswahl um eine Bestellung einem Kunden zuzuordnen. Kundenangaben können auch per Klick aus dem Email des Bestellformulares übernommen werden.
Bestellnachverfolgung für das Bibliothekspersonal
Hier können die Bibliotheksmitarbeiter jederzeit den Status einer Bestellung bei einem beliebigen Lieferanten nachverfolgen. Es stehen Such- und Sortierfunktionen zur Verfügung und es können Notizen zu einer Bestellung hinzugefügt werden. Die Kundendaten zu den Bestellungen werden nach einem Jahr aus Gründen des Datenschutzes anonymisiert.
Bestellnachverfolgung für die Kunden
Es ist möglich Kunden eine Loginberechtigung zu erteilen. Diese Kunden können dann den Status ihrer eigenen Bestellungen online nachverfolgen.
Statistiken
Doctor-Doc liefert zahlreiche Statistiken über die erfolgten Bestellungen eines beliebigen Zeitraumes. Auswertbar sind u.a.: Anzahl Bestellungen und Kosten pro Zeitschriftentitel, Anzahl Bestellungen pro Lieferant, Anzahl Bestellungen pro Abteilung u.v.m.
Mehrsprachige Oberfläche
Die Benutzeroberfläche wurde mehrsprachig umgesetzt. Momentan stehen eine deutsche und eine englischsprachige Oberfläche zur Verfügung. Die Anzeige erfolgt automatisch anhand den Spracheinstellungen des zugreifenden Browsers. Sämtliche Textausgaben wurden in zentralen Sprachdateien als key/value-Pairs abgelegt. Übersetzungen in weitere Sprachen sind deshalb sehr einfach möglich.
Mandantenfähig
Doctor-Doc wurde mandantenfähig umgesetzt. D.h. das Tool ist nicht nur intern für eine einzelne Bibliothek nutzbar, sondern es können beliebig weitere Konti von Bibliotheken in der gleichen Applikation angelegt und verwaltet werden.
Umsetzung und Betrieb
Da nach der Erhebung der Anforderungen klar war, dass der Aufwand für die Umsetzung für die soH zu gross war, haben wir einen Verein gegründet und Doctor-Doc als privates Projekt innerhalb von rund 2 Jahren umgesetzt. Doctor-Doc steht heute als Webservice betreuten Bibliotheken kostenlos zur Verfügung. Über 80 Bibliotheken aus der Schweiz und aus Deutschland nutzen den Dienst.
Offene Fragestellungen
Da das Projekt in privater Initiative und ohne kommerzielle Grundlage betrieben wird, eröffnen sich mit der stetig steigenden Nutzung neue Fragestellungen. Obwohl die Applikation dem professionellen Bibliotheksumfeld vorbehalten ist, erweist sich insbesondere der Kundensupport und die Gewährleistung eines möglichst störungsfreien Betriebes als zentral gehostete Applikation als enorm zeitintensiv.
Um diese Problemstellungen anzugehen, wird Doctor-Doc im Laufe des Jahres 2010 als OpenSource veröffentlicht. Wir erhoffen uns folgende Vorteile daraus:
- Weitere Mitentwickler aus dem akademischen Umfeld
- Entlastung als zentraler Hoster durch lokale Installationen vor Ort
- ev. Projektführung innerhalb einer Universität
Technisches
Doctor-Doc basiert auf Java 1.5, Tomcat 5, Struts Classic mit JSP und nutzt als Datenbank MySQL.
Spezielle Einsatzszenarien
Doctor-Doc lässt sich als institutionsübergreifender Linkresolver in beliebigen Repositorien einsetzen. Aktuell wird das z.B. in http://www.careum-explorer.ch/ (Sektion Medline) realisiert. Artikelbestellungen aus in Doctor-Doc registrierten IP-Bereichen werden an die betreffende Bibliothek weitergeleitet. Zusätzlich lässt sich eine Standardbibliothek für Artikelbestellungen aus unbekannten IP-Bereichen einrichten.
Schlussfolgerungen
Doctor-Doc wurde für den Einsatz in der Solothurner Spitäler AG konzipiert, wird heute aber von zahlreichen Bibliotheken als kostenloses Tool zur Verwaltung der externen Artikelbestellungen eingesetzt. Dank Schnittstellen z.B. zur EZB/ZDB und einem beliebig parametrisierbaren Bestellformular für die interne Kundschaft lässt sich das Tool auch als freier Linkresolver nutzen. Mit zunehmender Nutzung steigt der zu leistende Betreuungsaufwand. Als Konsequenz wird Doctor-Doc im Jahr 2010 als OpenSource veröffentlicht. Wir hoffen damit Doctor-Doc als Beitrag an das professionelle Bibliotheksumfeld breiter abstützen und etablieren zu können.