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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

"Go West, Young Man!" - Praktikum an der Lane Medical Library der Universität Stanford

Bericht

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  • corresponding author Helmut Dollfuß - Medizinische Universität Wien, Universitätsbibliothek, Wien, Österreich

GMS Med Bibl Inf 2006;6(3):Doc33

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/mbi/2006-6/mbi000051.shtml

Veröffentlicht: 28. Dezember 2006

© 2006 Dollfuß.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Der vorliegende Artikel erzählt von einem fünfwöchigen Bibliothekspraktikum an der Lane Medical Library der Universität Stanford in Kalifornien. Neben den persönlichen Eindrücken wird auch über die Universität, die Geschichte der Bibliothek, deren Organisation und ihre Zukunftspläne berichtet.

Schlüsselwörter: Bibliothekspraktikum, Auslandspraktikum, Lane Medical Library, Universität Stanford

Abstract

This is an account of a five weeks internship at Lane Medical Library which is part of Stanford University, California. The story depicts personal impressions and reports on the university, on the library's history, organisation and its future development.

Keywords: internship, practical, Lane Medical Library, Stanford University


Bibliothekspraktikum in Stanford

Vorgeschichte

"Go West, Young Man!" Ob mich damit der längst verstorbene New Yorker Zeitungsverleger Horace Greeley in seinem 1865 geschrieben Aufruf auch gemeint hat? So jung bin ich doch nicht mehr, aber in den Westen wollte ich schon lange, um zu sehen, wie die dort ihre Bibliothekarssuppe kochen.

Meine Teilnahme am Universitätslehrgang "Library and Information Studies" der Universität Wien bot mir in idealer Weise die Gelegenheit, über den österreichischen Bibliotheksrand hinaus zu sehen. Mit etwas Geduld und Unterstützung konnte ich mir ein fünfwöchiges Internship in Amerika, als Teil des Lehrganges organisieren (siehe Danksagung).

In Stanford

So stand ich dann also am Montag, dem 31. Juli 2006 im Büro meines Betreuers Dick Miller, seines Zeichens "Associate Director for Resource Management" der Lane Medical Library an der berühmten Universität Stanford. Ein schlanker alter, weißhaariger Bibliothekshase, der mich die letzten beiden Tage geduldig bei der Herbergssuche unterstützt hatte. Sein BMW Modell Z3 passte irgendwie nicht zu ihm, oder aber genau zu ihm. Sein baldiger Pensionsantritt war ihm keinesfalls anzusehen und im Umgang mit elektronischen Medien und deren Technik war er ein sattelfester XML-Buchautor. Rund 50 Kollegen und Kolleginnen galt es nun kennen zu lernen. Fünfzig Namen und Gesichter, die ein guter Spiegel der internationalen Zusammensetzung der kalifornischen Bevölkerung sind. Ich wurde herzlich aufgenommen, bekam einen eigenen Computerarbeitsplatz, jede Gelegenheit den Kollegen und Kolleginnen Löcher in den Bauch zu fragen und trotzdem bald eine Einladung zur gemeinsamen Betriebsfeier.

Zwei Drittel der Belegschaft sind ausgebildete Bibliothekare oder IT-Experten mit akademischem Abschluss. Der Ausbildungsstand ist generell sehr hoch und dass der Kunde, dort besser bekannt unter dem Namen Patron, König ist, ist in den Köpfen aller Angestellten fest verankert.

2003 übernahm Ms. Debra Ketchell die Leitung der Lane Medical Library und verschrieb der medizinischen Bibliothek von Stanford einen radikalen Neuerungskurs: "Develop a digital library of knowledge and learning content available anytime, anywhere" lautete das ausgegebene Motto. Das schwerfällige Bibliotheksschiff stellte seine Segeln in den frischen Wind und fährt nun unter der Flagge "Lane Knowledge Management Center". Um in der Informationsflut flott voranzukommen wurde gedruckter Ballast ausgelagert und die Frau- bzw. Mannschaft auf Service eingeschworen. In Zusammenarbeit und im Verband mit den anderen 18 Bibliotheken am Campus ergibt das eine beeindruckend große, moderne Bibliotheksflotte im Dienste der Universität Stanford.

Lane versorgt dabei hauptsächlich die 740 Ärzte und Wissenschaftler sowie die rund 350 Medizinstudenten am Stanford Medical Center mit Literatur und Zugang zu elektronischen Medien. Die Benutzung der Bibliothek ist aber auch allen Interessierten möglich. Die private Universität will kein intellektueller Sperrbezirk sein, sondern versucht mit Führungen, frei zugänglichen Vorlesungen sowie Kultur- und Sportveranstaltungen gute Nachbarschaftsbeziehungen in der dicht besiedelten "Bay-Area" von San Francisco aufzubauen.

Lane legt seit einigen Jahren besonderen Wert auf den Erwerb digitaler Archive und die Lizenzierung elektronischer Medien. Selten verwendete Druckwerke werden in ein eigens errichtetes, klimatisiertes Speichergebäude, etwa 50 Meilen vom Campus entfernt, ausgelagert. Von dort können benötigte Bücher und Zeitschriften innerhalb von zwei Werktagen zurückgeholt werden.

Der frei gewordene Platz ist schon verplant. Ab 2007 soll die Bibliothek renoviert werden, um ihre Aufgabe als Medical Knowledge Center auch räumlich erfüllen zu können. Bessere Lern- und Leseplätze, mehrere Gruppenarbeitsräume und viele moderne Computerarbeitsplätze als Wissenstankstellen sind geplant, Wireless LAN ist ohnehin schon Standard in allen Bibliotheksräumen.

Die alte Literatur wird aber trotz der Modernisierung nicht vergessen. Die umfangreiche Sammlung wertvoller Medizinbücher, darunter auch handgeschriebene aus dem arabischen Raum, wird sukzessive erschlossen und in den Online-Katalog eingearbeitet. Gerade heuer, zum hundertjährigen Bestehen der Bibliothek, wird auf die Wurzeln und die Entstehungsgeschichte mit Sonderausstellungen und Veranstaltungen besonders hingewiesen.

Lane Medical Library versteht sich auch als sogenannte "Teaching Library". EDV- und Bibliotheksspezialisten betreuen die räumliche und die komplexe technische Infrastruktur der Stanford Medical School. In Zusammenarbeit mit dem Lehrpersonal entstehen hochwertige Unterrichtsmaterialien und Videos. Der Betrieb eines Lern- und Informationsportals für Studierende ist ebenfalls Aufgabe der Bibliothek und im modernst ausgestatteten PC-Raum werden Kurse angeboten, die von der klassischen PubMed-Schulung bis zum Verfassen wissenschaftlicher Publikationen gehen.

Die Teaching Library machte zum Glück keine Ferien im August und so konnte ich das interessante Angebot an Kursen voll nutzen, von der Führung zur Architektur Stanfords bis zum Seminar über amerikanisches Copyright. Die außergewöhnlichen PubMed-Kenntnisse der Reference Librarians beeindruckten. Eine gezielte Abfrage nach Literatur für Evidence Based Medicine nach dem PICO-Prinzip ist für sie eine Fingerübung, dessen Ergebnis so manchen erfahrenen Kliniker staunen lässt. Mich sowieso. Das hohe Niveau der Mitarbeiter passt auch zu den Anforderungen an die nur 87 Medizinstudenten, die pro Jahr aufgenommen werden. Die Auswahlkriterien sind streng und das Ausbildungsziel ein hehres: "Our students are best characterized by a strong desire to develop into exceptional clinicians, leaders of the profession, and innovators in biomedical science, public health and clinical care". Uff!

In seiner neuen Organisationsform besteht Lane aus drei Abteilungen:

  • "Educational Technology Services" wurde speziell zur Unterstützung des Lehr- und Lernbetriebes der Medizinischen Schule von Stanford eingerichtet.
  • Die Abteilung "Research & Instruction" richtet sich in erster Linie direkt an die Bibliotheksbenutzer. Entlehnung, Information, Computerarbeitsplätze und Schulungen gehören ebenso zum weiten Betätigungsfeld wie der Dokumentenlieferdienst. Artikel, die in keiner der 19 Stanfordbibliotheken vorhanden sind, werden den Universitätsangehörigen kostenlos zugestellt. Die klinischen Abteilungen finden hier auch ihre speziell zugeteilten Liaisons, konstante Ansprechpartner für alle Bibliotheksbelange.
  • Abteilung Nummer 3 heißt "Resource Management" und arbeitet, ähnlich einem Back Office, im Hintergrund. Die Mitarbeiter kaufen Druckwerke, lizenzieren und verwalten elektronische Medien und tragen diese Ressourcen in das zentrale Katalogsystem ein. Durch die Erstellung von fachspezifischen Portalen und Suchmaschinen soll dem Benutzer bei der Suche in den unendlichen Weiten der Bibliotheks- und Internetquellen geholfen werden.

Fazit

25 Arbeitstage lang konnte ich Stanfords "Luft der Freiheit" schnuppern und interessante Einblicke in die Bibliothekswelt einer amerikanischen Eliteuniversität gewinnen. Wie erwartet wird auch dort nur mit Wasser gekocht, aber würzige Zutaten wie der hohe Ausbildungsstand der Mitarbeiter, moderne Technik, hervorragender Kundenservice und nicht zuletzt auch beachtliche Budgetmittel ergeben ein hochgelobtes Süppchen, von dem ich einen Schöpflöffel voller Ideen nach Hause mitnehmen konnte.

Danksagung

Herrn Dr. Dorn und Herrn Michael Rausche von der Firma Harrassowitz sowie Herrn Mag. Bauer von der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien möchte ich für die wertvolle Unterstützung beim Zustandekommen dieses Auslandspraktikums herzlich danken.


Hintergrundstory: Stanford & Lane

Stanford University - gut, aber sauteuer

Am 1. Oktober 1891 öffnete die etwa 60 km südlich von San Francisco gelegene Universität ihre Pforten. Von Jane und Leland Stanford in Erinnerung an ihren mit 15 Jahren an Typhus verstorbenen Sohn gegründet, lautet der volle Name Leland Stanford Junior University. Von Beginn an wurden für die damalige Zeit ungewöhnliche Standards eingeführt, wie zum Beispiel der gemeinsame Unterricht für Studenten und Studentinnen, die auch zusammen in den Unterkünften am Campus wohnen konnten. Das Motto von Stanford lautet "Die Luft der Freiheit weht" und umrankt das Universitätssymbol in deutschen Lettern. Dieses Zitat geht zurück auf Ulrich von Hutten, ein deutscher Humanist und Verehrer Martin Luthers.

Die Gebäude der Universität entstanden auf einer ehemaligen, rund 32 km2 großen Ranch. Das erklärt auch den gerne von Studenten verwendeten Nicknamen "The Farm" für Stanford. Pro Jahr beginnen rund 2500 "Newhands" ihr Studium an dieser Privatuniversität, die zu den besten Amerikas gezählt wird. Nur etwa jeder zehnte Bewerber wird aufgenommen und muss mit geschätzten jährlichen Kosten von $ 45.000,- rechnen. Dafür bietet die Eliteuniversität ein reichhaltiges Campusleben, eine erlesene Professorenschaft mit Nobelpreisträgern und fantastische Karriereaussichten.

Auch die Bibliothekseinrichtungen können sich sehen lassen. Insgesamt versorgen 19 Bibliotheken die rund 17.000 Wissenschaftler und Studenten mit Literatur. Dafür steht ein Einkaufsbudget von 18 Millionen Dollar zur Verfügung. Der Gesamtbestand weist stolze 8 Millionen Bände auf und wächst um 100.000 Volumes pro Jahr.

Lane Medical Library - in 100 Jahren vom College Library zum Knowledge Center

Eine Stiftung von Dr. Lane im Jahre 1906 war der Anlass, die bestehende Bibliothek des Cooper Medical Colleges San Francisco als Lane Medical Library zu begründen. Die Universität Stanford kaufte 1908 das College und damit wurde auch Lane Teil von Stanford. College und Bibliothek blieben zunächst weiterhin in San Francisco. Erst im Jahr 1959, mit der Eröffnung des Stanford Medical Centers, wanderte die Bibliothek in ihre jetzigen Räumlichkeiten, im Spitalsbau am Universitätscampus. Ab 1971 bot die Bibliothek ihren Nutzern die Online-Suche in Medline an und seit 1987 kann man auch den Katalog mittels Computer durchsuchen. Mit der Etablierung des Internets entstand 1994 die erste Bibliothekshomepage.

Lane ist eine medizinische Fachbibliothek. Sie versorgt 740 Ärzte und Forscher sowie etwa 350 Studenten des Stanford Medical Centers mit Literatur und Zugang zu elektronischen Medien, bei einem Erwerbsbudget von 2,5 Millionen Dollar pro Jahr. Der Bestand ist auf über 400.000 Bände angewachsen. Seit einigen Jahren wird das Hauptaugenmerk aber auf den Erwerb digitaler Archive und die Lizenzierung elektronischer Medien gelegt. Ältere, selten verwendete Druckbestände werden in ein eigens errichtetes Speichergebäude, etwa 1 Autostunde vom Campus entfernt, ausgelagert. Der damit gewonnene Platz dient der endgültigen Umwandlung der klassischen Bibliotheksbereiche in ein Medical Knowledge Center. Das Ausbildungsniveau der Mitarbeiter ist sehr hoch. Von den rund 50 Angestellten der Bibliothek sind 29 Librarians oder IT-Experten, besitzen also einen akademischen Abschluss. Spezialisten von Lane betreuen auch die Lehrsäle der medizinischen Schule mit ihrer komplexen technischen Infrastruktur und ein Internetportal zur Lernunterstützung der Medizinstudenten.

Dieses Jahr feiert Lane sein hundertjähriges Bestehen. Die Technologie hat sich radikal geändert, aber dem Grundsatz, die Patientenbetreuung, die medizinische Ausbildung und Forschung bestmöglich zu unterstützen, blieb die Bibliothek stets verpflichtet.

Bücher und Zeitschriften - say Good Bye

Seit 2004 lagern Stanfords Bibliotheken selten verwendete Bücher und Zeitschriften in ein 50 Meilen entferntes Gebäude aus. Der enorme Zuwachs an Literatur überfüllte ab den 80er Jahren die Regale der 19 Bibliotheken und bald darauf auch die beiden zusätzlich errichteten Speichereinheiten am Campus. In Livermore, etwa eine Autostunde von Stanford entfernt, kaufte die Universität ein Grundstück am Lande. Experten meinen, es würde maximal von einem Hochwasser betroffen sein, wie es nur einmal in 500 Jahren zu erwarten ist. Das Stanford Auxilliary Library III (SAL3) bietet also eine trockene Heimat für rund 3 Millionen Bände. An den weiteren Ausbau wurde gedacht und das Gebäude bereits für eine Erweiterung in späteren Jahren konzipiert. Beim Eintreffen werden die ausgelagerten Neuankömmlinge gereinigt, registriert und in säurefreie Kartons gepackt. Danach bekommen sie ihren Platz im 10°C kalten Lagerraum. Dieser ähnelt mehr einem Warenhochlager als einer Bibliothek. Sortiert nach dem Format warten hier die Ausgelagerten auf Abruf. Sollte, wider Erwarten, ein SAL3-Besiedler von einem Leser angefordert werden, so gelangt der Band innerhalb von 2 Werktagen zurück auf den Campus.