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Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

"Researchers and Open Access - the new scientific publishing environment": Tagungsbericht von der "1st European Conference on Scientific Publishing in Biomedicine and Medicine" in Lund / Schweden, 21. - 22. April 2006

Tagungsbericht

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  • corresponding author Christian Gumpenberger - Novartis Institutes for BioMedical Research, Novartis Knowledge Center Vienna, Vienna, Austria Externer Link

GMS Med Bibl Inf 2006;6(1):Doc10

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/mbi/2006-6/mbi000028.shtml

Veröffentlicht: 31. Mai 2006

© 2006 Gumpenberger.
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Gliederung

Tagungsbericht

Einleitung

Unter dem Titel "Researchers and Open Access - the new scientific publishing environment" veranstaltete die Universität Lund im dezentral gelegenen Konferenzhotel Scandic Star die "1st European Conference on Scientific Publishing in Biomedicine and Medicine".

Insgesamt 123 zum Großteil (nord-)europäischeTeilnehmerInnen (inkl. der Vortragenden) folgten dem Ruf nach Schweden, doch auch Amerika, Asien, Afrika und Australien waren durch vereinzelte RepräsentantInnen vertreten. Fachlich betrachtet war das Publikum ein Mix aus WissenschaftlerInnen, Publishern sowie InformationsspezialistInnen aus dem universitären Umfeld sowie der Industrie.

Die zweitägig angelegte Veranstaltung bot den TeilnehmerInnen durchwegs hochkarätige Vortragende, welche das Thema Open Access am ersten Tag in interessanten und professionellen Vorträgen präsentierten und am zweiten Tag in diversen Workshops vertieften.

Freitag, 21.4

Das Grußwort hielt Bo Ahrén (Medizinische Fakultät, Universität Lund), der alle TeilnehmerInnen der Konferenz herzlich willkommen hieß, Lund als historische Universitätsstadt würdigte und vor allem die Medizinische Fakultät mit ihren modernen Einrichtungen in Lund und Malmö hervorhob, welche wesentliche Bestandteile des Medicon Valley (= Biotechnologie Cluster der Region Kopenhagen (DK) und der schwedischen Skane) darstellen.

Eugene Garfield (Gründer und Chairman Emeritus des Institute for Scientific Information / Thomson) eröffnete den Vortragstag mit dem Thema "Identifying Nobel Class Scientists and the Vagaries of Research Assessment". Garfield führte aus, dass die Anzahl der Publikationen von NobelpreisträgerInnen 5 mal größer ist als bei durchschnittlichen WissenschaftlerInnen, ihre Arbeiten aber 30 bis 50 mal häufiger zitiert werden. NobelpreisträgerInnen finden sich folglich auch in ‚ISIs Highly Cited authors listings' und haben meist auch einen hohen h-Index. ‚Nobel Class Scientists' folgen dem "Law of Concentration' und publizieren nur in wenigen Zeitschriften mit hohem Impact-Faktor. Garfield zeigte sich skeptisch, dass Open Access an diesem Verhalten so schnell etwas ändern würde.

AutorInnen von "hot papers" (= häufig zitiert) sind mit höherer Wahrscheinlichkeit auch als potenzielle PreisträgerInnen zu sehen.

Garfield ging abschließend kurz auf die von ihm entwickelte Software HistCite ein, mit welcher diverse bibliographische und historiographische Analysen durchgeführt und die Ergebnisse auch visualisiert werden können.

Jean-Claude Guédon (Montreal University, Kanada) stellte weniger die WissenschaftlerInnen, dafür aber vermehrt die ÄrztInnen fernab von Forschungseinrichtungen sowie die PatientInnen als Enduser in den Fokus seiner Präsentation "Open access in the bio-medical fields: why it is important for researchers, practising physicians and patients" und sieht in Open Access einen Wendepunkt in der Disseminierung von Wissen, das somit nicht nur mehr auf zugriffsberechtigte ExpertInnen beschränkt bleibt.

Frederick Friend (JISC UK) gab einen guten Einblick in die diversen Aktivitäten führender Organisationen in Großbritannien (Research Councils UK, Wellcome Trust, JISC = the Joint Information Systems Committee) unter dem Motto "Improving access to biomedical and clinical research literature: the work of UK organizations".

Friend zeigte den Mißstand auf, dass sich die Disseminierung von Forschungsergebnissen zunehmend auf Zeitschriften mit hohem Impact-Faktor konzentriert, welche in ‚Big Deals' gekauft werden müssen. Publikationen in Zeitschriften, welche nicht in diesen Paketen enthalten sind, erfahren folglich eine deutlich eingeschränkte Verbreitung. JISC ist durch mehrere Initiativen bestrebt, den Zugang zu wissenschaftlicher Literatur zu verbessern und unterstützt sowohl Open Access Publishing als auch Open Access Archiving, u.a. die Entwicklung einer ‚UK version' von PubMedCentral.

Unter dem Titel "Journal Publishing: The Future of Science Publishing" nahm Graham V. Lees (Founding Editor & Publishing Director of TheScientificWorldJOURNAL) die TeilnehmerInnen mit auf einen Streifzug durch die kurze Geschichte des Open Access Publishing. Lees betonte die Bedeutung des Internets als die eigentliche Innovation und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, Informationen (= validierte Datasets) losgelöst von der traditionellen Verpackung (= traditionelle Artikel) als Primärliteratur zu verbreiten. Basierend auf diesen Überlegungen kam es zur Gründung von TheScientificWorldJOURNAL, einer nicht traditionellen, multidisziplinären Open Choice Zeitschrift.

Jan Velterop (Springer Verlag) knüpfte an das Open Choice Konzept an. In seiner höchst informativen und auch optisch sehr ansprechenden Präsentation "Open Access, the choice is yours" komplementierte er die historischen Ausführungen seines Vorredners und ging zurück bis zum Beginn des wissenschaftlichen Publizierens. Velterop machte klar, dass für die Kommunikation von wissenschaftlichen Ergebnissen weder Zeitschriften noch Publisher benötigt werden und für diesen Zweck Open Access Archiving ausreichend wäre. Allerdings fehlte dann die Validierung und Zertifizierung der Forschungsergebnisse, weswegen den Publishern hier nach wie vor eine bedeutende Rolle zukommt. Der Validierungs- und Zertifizierungprozess kostet Geld, und unter Berufung auf das Bethesda Statement sollten Publikationskosten als essentieller Bestandteil der gesamten Forschungskosten angesehen werden. Es wäre den AutorInnen freigestellt, sich einerseits für das traditionelle oder das Open Access Publikationsmodell zu entscheiden - die Publisher könnten lediglich beide Optionen anbieten. In irgendeiner Weise müßte aber immer für das Publizieren bezahlt werden.

In den folgenden beiden Vorträgen demonstrierten Mark Patterson (PLoS = Public Library of Science) und Natasha Robshaw (BioMedCentral UK) eindrucksvoll das stetige Wachstum und den zunehmenden Impact ihrer Open Access Publishing Produkte. Patterson zitierte Antonio Panizzi (1836, Principle Librarian of the British Museum) und zeigte, dass die Inspiration für PloS nicht gerade eine neue Idee ist:
"I want a poor student to have the same means
of indulging his learned curiosity,
of following his rational pursuits,
of consulting the same authorities,
of fathoming the most intricate inquiry
as the richest man in the kingdom…"

Plakativ war die Projektion eines Cartoons mit fünf Affen, die verzweifelt nach einem über ihnen hängenden, aber unerreichbaren Journal greifen. Das Ganze war noch mit dem Text versehen: "You write the papers, you review the papers .... Why should you pay to read them?" Aber wie die TeilnehmerInnen bereits von Velterop erfahren haben - auch Open Access Publishing ist nicht kostenfrei.

Alma Swan (Key Perspectives Ltd.) erinnerte nachfolgend daran, was zur Zeit wohl am vielversprechendsten erscheint: "Open Access by self-archiving: it's an author thing." Aus ihrer Präsentation ging eindrucksvoll hervor, dass trotz zunehmend vorhandender Selbstarchivierungsmöglichkeiten und zunehmender Erlaubnis der Publisher nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der AutorInnen Gebrauch vom ‚grünen Weg' macht. Die Ursachen liegen in Ignoranz, falschen Vorbehalten und nicht vorhandenen verpflichtenden Policies.

Dabei ist längst erwiesen, dass Open Access Artikel häufiger gelesen und zitiert werden, was eigentlich das primäre Ziel aller AutorInnen darstellt.

Swan stellte die wenigen (derzeit 5) Institutionen vor, die Selbstarchivierung bereits verpflichtend eingeführt haben und konnte mit beeindruckenden Zahlen den Erfolg dieser Strategie belegen.

Stevan Harnad (Université du Quebec, Montreal und University of Southampton, UK) schlug mit seiner Präsentation in die selbe Kerbe wie Alma Swan: "Extending Institutional ‚Publish of Perish' Policies and Incentives to "Provide Open Access to Publications". Die Einrichtung eines Institutional Repository und die Intervention der Bibliothek bei der Selbstarchivierung wären allein nicht ausreichend, erst durch eine verpflichtende Policy könne sich der gewünschte Erfolg einstellen. 2 internationale, multidisziplinäre JISC Studien belegen, dass >90% der AutorInnen eine solche Policy befolgen würden.

Als letzter Redner bezog Robert Terry (Wellcome Trust UK) als Vertreter einer unabhängigen Forschungsstiftung Stellung zum Thema "Research Funding and Open Access". Er behandelte die Wirtschaftlichkeit des Open Access Publishing und gab Einblick in die anfallenden Kosten, die der Stiftung durch Förderung aller alternativen Publishing Modelle erwachsen. Der Wellcome Trust unterstützt weiters die Selbstarchivierung und ist bisher die einzige Forschungsstiftung mit einer diesbezüglichen verpflichtenden Policy zur Ablieferung in PubMedCentral.

Der Vortragstag wurde abgerundet von einer lebhaften Panel Discussion, in der es neben der Rekapitulation bereits angesprochener Punkte auch um den Themenkomplex Peer-Review mit allen bereits bekannten Problemen ging.

Samstag, 22.4.

Am zweiten Tag der Konferenz hatten die TeilnehmerInnen die Qual der Wahl zwischen diversen (großteil parallel) stattfindenen Workshops.

Folgende Veranstaltungen standen auf dem Programm:

Vormittag:

1.
Entrez Life Sciences Hands-on Training → David Herron (Karolinska Institute)
2.
Research Output as the basis for Resource Input → Hampus Rabow (Lund University)
3.
The New World of Webmetric Performance Indicators: Mandating, Monitoring, Measuring and Maximising Research Impact in the Open Access Age → Stevan Harnad (Southampton University)

Nachmittag:

4.
Practical Use of the Impact Factor and Citation Analysis using ISI Web of Knowledge, plus the introduction of a new archive from BIOSIS → Simon M. Pratt (Thomson Scientific)
5.
Publishing of research results - what are the copyright issues? → Annette Persson (Lund University)
6.
Peer-review training → Sara Schroter & Trish Groves (BMJ Training, UK)
7.
Faculty of 1000 - Medicine and Biology workshop - demonstrating the literature awareness services of the future. Hands-on Training → Natasha Robshaw (BioMedCentral)

Der Autor wählte 3. und 4. und kann somit leider nur von diesen beiden Workshops berichten.

3.
Stevan Harnad entführte die TeilnehmerInnen in eine perfekte Zukunftsvision des wissenschaftlichen Publizierens: Alle geschätzten jährlich publizierten 2,5 Millionen Artikel in den 24.000 peer-reviewed Publikationen wären frei und legal zugänglich und untereinander auch durch die Zitationen verlinkt. Und natürlich würden alle ‚OAI-compliant' Metadaten sowie die Volltexte von Services wie Google, OAIster etc. erfasst, gesammelt, invertiert und indexiert sowie die Bool'sche Volltextsuche durch Künstliche Intelligenz (AI) erweitert. .... Basierend auf diesen und weiteren Annahmen erläuterte Harnad diverse Methoden zur Messung des Research Impact.

Wie das Ganze - zumindest im Mikrokosmos - funktioniert, kann unter (http://www.citebase.org) ausprobiert werden. Die Suchmaschine verwendet als Datenbasis die UK arXiv Mirrorsite.

4.
Simon M. Pratt holte die TeilnehmerInnen nach dem Lunch wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und gab fundierte Einblicke in das Web of Science, die Journals Citation Reports und in BIOSIS. Pratt rief in Erinnerung, dass der Impact Faktor nur einer von vielen szientometrischen Indikatoren ist, der auch nur zur Evaluierung von Zeitschriften, und nicht von Artikeln dient. Bei der Evaluierung von Forschung sollten mehrere Indikatoren, mehrere Statistiken und vor allem Hausverstand zum Einsatz kommen. Wichtig wäre es, die Daten in einen Kontext zu setzen und nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

Abschließend gab Pratt noch einen Ausblick auf zukünftige Thomson Produkte, wobei hier angesichts der Open Access Thematik vor allem der Web Citation Index erwähnt sei. Thomson plant diesen Sommer den Launch eines Index aller Institutional Repositories mit direkter Verlinkung zu diesen.

Die Präsentationen aller Vortragenden sind unter folgendem Link abrufbar:

(http://www.med.lu.se/english/library/ecspbiomed)

Resümee

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es sich um eine sehr interessante und gut organisierte Konferenz mit reichlich Möglichkeit zum Austausch mit Vortragenden und KollegInnen gehandelt hat.

Open Access ist ja bereits seit den letzten Jahren ein beliebtes Thema. Doch zum ersten Mal hatte der Autor den Eindruck, dass es nicht mehr um die Frage "Ja oder Nein?" sondern eher um das "Wie bald und in welcher Form?" ging.

Es erfolgte bereits die Ankündigung, in 2 Jahren die "2nd European Conference on Scientific Publishing in Biomedicine and Medicine" abhalten zu wollen. Man darf gespannt sein, wie sehr sich bis dahin die Welt des wissenschaftlichen Publizierens verändert haben wird.